Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




26. Februar 2021
Elisabeth Nagy
für satt.org




Streammania
im Februar 2021 - I


Im Kino war ich das letzte Mal Ende Oktober. Seitdem ist Streamen angesagt. Das ist mal unterhaltsam, mal weniger. Die Plattformen stellen zum Teil die Kinos, die Bibliotheken bieten auch jede Menge Filme an, dazu braucht es nur einen Bibliotheksausweis, dann gibt es noch die großen Anbieter und die kleineren Anbieter. Eine Übersicht werde ich nicht bieten. Ich schaue mal und berichte dann.

Bliss
(Mike Cahill)

Science Fiction / Drama, USA 2021, Drehbuch: Mike Cahill, Bildgestaltung: Markus Förderer, Montage: Troy Takaki, Musik: Will Bates, Szenenbild: Kasra Farahani, Kostüm: Annie Bloom, Make-Up: Julie Hewett, Denise Paulson, Tina Jesenkovic, Ton: Bartek Swiatek, Viktor Grabar, Casting: Marisol Roncali, Chelsea Ellis Bloch, mit Owen Wilson, Salma Hayek, Nesta Cooper, Jorge Lendeborg Jr., Ronnie Chieng, Steve Zissis, Madeline Zima, Josh Leonard, Bill Nye, Slavoj Žižek

seit dem 5. Februar 2021 bei Amazon Prime Video

Bliss, das steht für einen Zustand des Glücks, für ein Glücksgefühl. Der Name Mike Cahill (Regisseur von Another Earth und I Origins - Im Auge des Ursprungs) verheißt eigentlich zumindest intelligente Unterhaltung und / oder eine Geschichte, über die man sich den Kopf zerbrechen könnte. Bliss, der dritte Film von Cahill, schickt seine Protagonisten auf die Suche nach einer Glückseligkeit, vermag sein Publikum aber nicht mitzunehmen auf die Reise.

Bitte nicht verwechseln. Vor genau einem Jahr kam bereits ein Film mit diesem Titel in die Kinos. Damals brachte der kollektiv geführte Verleih Drop-Out Cinema einen Film mit dem Titel Bliss in die Kinos, der auch auf dem Fantasy Filmfest gelaufen war. Regie führte Joe Begos. Es ging um eine Künstlerin, die ihre Kreativität mit Drogen und Exzessen pushen wollte. Drogen stehen auch bei Mike Cahills Bliss im Mittelpunkt. Es geht aber nicht um Kreativität, sondern um die Existenz an sich. Owen Wilson spielt einen etwas langweiligen und trübsinnigen Angestellten, der, nachdem schon seine Ehe zu Bruch ging, nun auch noch seinen Job verliert. Sein Boss ruft ihn ins Büro. Es kommt zu einem Wortgefecht, was nicht gut ausgeht. Bis dahin ist die Handlung ansprechend. Wenn man nur nicht genau hinschaut. Denn die Elemente im Bild verraten bereits plakativ, wohin die Reise geht.

Greg ist keine Alice im Wunderland, statt dessen begegnet er Salma Hayek. Sie spielt Isabel, und wenn er ihr Glauben schenken sollte, so steckt er bereits irgendwo in der Matrix, zumindest all die Figuren um ihn herum, sie sollen nicht real sein. Sie sind Simulationen. Das könnte ja ganz spannend werden, wenn man denn zumindest herausfinden würde, was Cahill hier eigentlich erzählen wollte und warum. Vielleicht ist Bliss nur ein Suchtfilm. Vielleicht steckt doch mehr dahin. So gern ich Greg durch seine Sinnkrise gefolgt bin, mit seiner leicht tapsigen Art, die wirklich nur Owen Wilson hinkriegt, desto ratloser ließ mich die Figur der Isabel, die wie ein uneinlösbares Versprechen auftaucht und deren Rolle für mich eher nur Behauptung blieb. Die Realität hinter der Realität, wenn diese denn Realität sein sollte, sie blieb mir verschlossen. Vielleicht fehlten mir auch nur die entsprechenden Kristalle, mit denen Isabel Greg füttert. Die Welt hinter der Welt ist dabei vielleicht sogar gar nicht das Versprechen an sich, sondern bereits der Einstieg in den Ausstieg mit Hilfe von Substanzen, die einem die Augen vor zumindest einer Realität verschlisst. Wenn man sich diesem Gefühl hingeben sollte, könnte sich auch ein Gefühl der Glückseligkeit einstellen. Doch Greg hat etwas zu verlieren.

Mike Cahill schwebte sicherlich ein intelligent vertrackter Science-Fiction-Thriller vor, davon zeugt schon die Besetzung des Philosophen Slavoj Žižek in einer Nebenrolle, doch bei all den Wendungen, den Fallstricken und der Künstlichkeit des Settings ist es zunehmend schwer, sich für diese Sinnfragen zu interessieren. Schade eigentlich.

◊ ◊ ◊

One Night in Miami
(Regina King)

Drama, USA 2020, Drehbuch: Kemp Powers, Bildgestaltung: Tami Reiker, Montage: Tariq Anwar, Musik: Terence Blanchard, Szenenbild: Barry Robison, Kostüm: Francine Jamison-Tanchuck, Make-Up: Scott Wheeler, Sabrina Cruz Castro, Ton: Amanda Beggs, Casting: Kimberly L. Hardin, mit Kingsley Ben-Adir, Aldis Hodge, Leslie Odom Jr., Eli Goree, Lance Reddick, Joaquina Kalukango, Michael Imperioli, Jerome A. Wilson, Beau Bridges, Aaron D. Alexander

Seit dem 5. Februar 2021 bei Amazon Prime Video

Eine Nacht in einem Motel in Miami. An dem Abend besiegte Cassius Clay Sonny Liston und wurde Weltmeister im Schwergewichtsboxen. Statt zu feiern, traf er sich mit Freunden. Dazu gehörte der Bürgerrechtler Malcolm X, der Footballspieler Jim Brown und der Musiker Sam Cooke. Dieses Treffen ist verbürgt. Malcolm X lud die drei in sein Motel ein. Allerdings schwebte Malcolm X keine Party vor. Worüber die vier gesprochen haben, weiß man nicht. One Night in Miami war zuerst ein Theaterstück. Kemp Powers versuchte gar nicht erst, historisch akkurat zu sein. Ihm ging es mehr um die emotionale Wahrheit. Powers hat übrigens bei Pixars Soul als Drehbuchautor und als Co-Regisseur mitgewirkt, war im Drehbuchteam von Star Trek: Discovery der einzige Nicht-Weiße und er fragte sich insgeheim, wie sehr er sich wohl verbiegen muss, um in der Runde angenommen zu werden. Seine Gedanken flossen in sein erstes Theaterstück ein, das nun unter dem gleichen Namen von Regina King verfilmt worden ist, wobei Powers sein Stück selbst zu einem Drehbuch umsetzte.

One Night in Miami ist weitgehend ein Kammerspiel. Die Handlung spielt überwiegend in einem Motelzimmer und ist sehr dialoglastig. Aber nichts davon ist zu viel, keine Einstellung langweilig. Die Filmzeit verfliegt im Nu. Dabei setzt die Handlung etwas früher ein, vor jener besagten Nacht. Die Figuren, diese US-amerikanischen Ikonen, werden einzeln und jeweils in einem Moment der Demütigung vorgestellt. Das Interesse für diese Figuren, wenn man denn eventuell Malcolm X kennt, aber mit dem Namen Jim Brown nichts anfangen kann, als Beispiel, ist geweckt. Eben jener Jim Brown, um bei dem Beispiel zu bleiben, begegnet einem Bekannten seiner Familie auf dessen Plantagenterrasse. Der ältere Weiße bewundert ihn, den Schwarzen, für seine Erfolge in der NFL, doch als Jim Brown ihn seine Hilfe anbietet, als die Frauen des Haushalts ein paar Möbel verrückt haben wollen, da wird ihm brüsk der Eintritt verwehrt. Der schwarze Mann bleibt gefälligst vor der Tür.

Sam Cookes Song A Change is Gonna Come, der zu der Zeit entstanden war, aber erst nach seinem Tod als Single ausgekoppelt wurde, wurde zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung. Die Veränderungen lagen in der Tat in der Luft. Kemp Powers lässt in seinem Stück die vier Figuren mit ihren unterschiedlichen Positionen und ihren politischen, gesellschaftlichen und persönlichen Erfahrungen zusammentreffen. Cassius Clay wollte seinen Sieg feiern, Malcolm X strebte nach Austausch. Die vier reden über ihre Überzeugungen und ihre Vorbilder. Sie reden über Freiheiten und das Fehlen von Freiheiten. Es geht um Gleichberechtigung und Veränderung. Regina King macht daraus keine Geschichtsstunde, man kennt sie als Schauspielerin aus Ray oder aus der Serie 24. Für ihre Rolle in Beale Street erhielt sie den Oscar für die beste Nebenrolle, dieser Film ist nun ihr Regiedebüt. Das Theaterhafte spürt man der Inszenierung zwar noch an, aber das macht nichts. King machte aus One Night in Miami kein dröges Stück, sondern ein spannendes, flüssiges Drama, das grundsätzliche Werte aufgreift und damit auch darauf verweist, wo wir heute in der Gesellschaft stehen.

◊ ◊ ◊

What You Gonna Do When the World's on Fire?
(Robert Minervini)

Dokumentarfilm, Italien / Frankreich / USA 2018, Drehbuch: Roberto Minervini, Bildgestaltung: Diego Romero Suarez-Llanos, Montage: Marie-Hélène Dozo, Ton: Bernat Fortiana Chico

Grandfilm, ab jetzt im Stream vom Kino fsk

Ursprünglich wollte Roberto Minervini (The Other Side (Louisina)) einen Film über den Folk Blues in der afroamerikanischen Community im Süden der USA, in New Orleans drehen. Seine Dokumentation ist nun weiter gefasst. Was Minervini mit What You Gonna Do When the World's on Fire? auf die Leinwand bringt, thematisiert den alltäglichen Rassismus, dem sich die schwarze Bevölkerung ausgesetzt sieht. Er drehte 2017, kurz nachdem, man könnte sagen mal wieder, Schwarze durch die Polizei ihr Leben verloren. Minervini blieb in der Rolle des Beobachters, der Geschehnisse dokumentiert. Erst im Schnitt der Cutterin Marie-Hélène Dozo wurde daraus ein Film. Minervini und sein Kameramann Diego Romero Suarez-Llanos bleiben nahe an den Figuren dran, folgen ihnen so dicht, dass man streckenweise denken könnte, es sei ein Spielfilm. Noch dazu wählten sie Schwarzweiß in seiner schönsten Form als Stilmittel. Gewalt auf der einen Seite und Bürgerengagement auf der anderen Seite sind zwei Stränge, die Minervini in den Fokus stellt, als er den Mitgliedern der New Black Panther Party for Self-Defense folgt, die Sandwiches und Wasser verteilen, aber sich auch klar für ihre Rechte einsetzen und sich gegen die Polizeigewalt positionieren. In einem anderen Strang setzt er Szenen, in denen die Kamera zwei Halbbrüdern durch den Alltag folgt. Die beiden sind jung, Kinder, und doch müssen sie im Hinterkopf behalten, dass sie, wenn sie zur falschen Zeit an der falsche Stelle spielen, ihr Leben verlieren könnten. Der italienisch-französische Dokumentarfilm wurde 2018 zuerst in Venedig vorgestellt. Das Filmfest München zeigte den Film 2019, wo er den Fritz-Gerlich-Preis gewann. Der engagierte Verleih Grandfilm brachte ihn im Sommer 2020 in die Kinos.