Benedetta
(Paul Verhoeven)
Originaltitel: Benedetta, Frankreich 2021, Buch: David Birke, Paul Verhoeven, Lit. Vorlage: Judith C. Brown, Kamera: Jeanne Lapoirie, Schnitt: Job ter Burg, Musik: Anne Dudley, Songs: Hildegard von Bingen, Kostüme: Pierre-Jean Larroque, Szenenbild: Katia Wyszkop, mit Virginie Efira (Benedetta Carlini), Daphné Patakia (Bartolomea), Charlotte Rampling (Schwester Felicita, die Äbtissin), Lambert Wilson (Alfonso Giglioli, der Nuntius), Louise Chevillotte (Christina), Olivier Rabourdin (Alfonso Cecchi), Hervé Pierre (Paolo Ricordati), Clotilde Courau (Midea Carlini), David Clavel (Giuliano Carlini), Guilaine Londez (Schwester Jacopa), Elena Plonka (junge Benedetta), 131 Min., Kinostart: 2. Dezember 2021
Mit seinem letzten Film Elle hat Paul Verhoeven einiges gewagt, und er wurde dafür größtenteils abgefeiert. Bei Benedetta, einer Adaption des Romans Immodest Acts - The Life of a Lesbian Nun in Renaissance Italy, den Judith C. Brown 1988 veröffentlichte, geht Verhoeven unerschrocken weiter, und knüpft dabei bei früheren Filmen an. Am deutlichsten wohl bei Showgirls, einst vor allem durch diverse Auszeichnungen mit »Goldenen Himbeeren« aufgefallen, später aber zum Teil von ernsthaften Filmexperten rehabilitiert. Wie auch in Elle oder Basic Instinct geht es in diesem Teil von Verhoevens Werk um Frauen, die sich selbstbestimmt ihre Sexualität »nehmen«, wobei die gesellschaftlichen Begleitumstände jeweils eine Art Skandal umschreiben. Bei Benedetta ist es vermutlich am deutlichsten ausdefiniert, dass die gesellschaftlichen Vorschriften längst veraltet sind, während man hier mit voller Überzeugung hinter der Frau stehen kann.
Die erzählte Geschichte, die laut Einblendung auf wahren Begebenheiten beruht (dieser Aspekt hat mich nicht interessiert, weshalb ich da auch nichts recherchiert habe), beginnt schon, als Benedetta ca. 12 Jahre alt ist (Kinderdarstellerin Elena Plonka überzeugt fast noch mehr als Hauptdarstellerin Virginie Efira) und gerade ins Kloster geschickt werden soll. Ihre gut betuchten Eltern begleiten sie, und es kommt dazu, dass einige Wegelagerer / Räuber hinzu kommen. Man verhält sich pietätlos gegenüber Benedettas Mutter, und mit einer festen Überzeugung mischt das Mädchen sich ein: »Die heilige Jungfrau wird sie bestrafen!« Wenn an dieser Stelle ein Vogel aus einem Baumwipfel auftaucht und im Flug dem unangenehmsten Räuber zielgenau (oder reiner Zufall?) ins Auge scheißt, dann bekommt man die erste Vorstellung davon, was für einer Art Film man hier beiwohnt.
Geht es hier um Wundertaten oder um die satirische Brechung solcher? Diese Frage kann man sich während des Film mehrfach stellen, und für mich, der eine ausgeprägte Religions-Allergie hegt und pflegt, ist der Film mit seinen eigentümlichen Fragestellungen dennoch hochinteressant.
© 2021 capelight pictures / Koch Films
Fast ein bisschen anekdotenhaft wird der weitere Verlauf von Benedettas Leben geschildert. Ihr Vater feilscht um die zu zahlende Mitgift, Benedetta sorgt dafür, dass ein weiteres unglückliches Mädchen namens Bartolomea aufgenommen wird. Und sie hat Visionen von Jesus. Da tauchen etwa garstige (CGI-)Schlangen auf und greifen sie an, bis eine Art Actionheld sie wie eine Currywurst in Scheibchen hackt.
»Ich bin doch seine Braut.«
Benedetta (der Film hat inzwischen einen Zeitsprung von 18 Jahren gemacht) ist ein sehr kluges Kind. Und Klugheit ist gefährlich.
© 2021 capelight pictures / Koch Films
Zwischen Benedetta und Bartolomea entwickelt sich eine besondere Beziehung. Das Lumpenmädchen, das von ihrem Vater »zur Frau genommen wurde«, nachdem die Mutter an der Pest gestorben war, ist ganz anders als die adrette Schulsprecherin mit den Visionen von Jesus (»Ich muss mal kacken, wo geht man hier?«), aber Benedetta findet sie dennoch sehr schön, und nach einem Unfall mit kochendem Wasser kümmert sie sich (zu?) aufopfernd um die Schwester mit den weltlichen Erfahrungen.
Doch bevor der Film vollends in Softporno-Bereiche abdriften kann, wird parallel gezeigt, wie Bendetta in der Klosterhierarchie aufsteigt. Ihr erscheinen Wundmale an den Händen, und trotz des verdächtigen Auftauchens von Scherben bei diesem Stigmata-Wunder wird sie zur Oberin anstelle der Oberin. Was weder Charlotte Rampling als Äbtissin Felicita noch deren umtriebigen Tochter mit Filmnamen Christina wirklich gefällt. Und so kommt es zu einer Art Schlagabtausch an unterschiedlich geschickten Intrigen
© 2021 capelight pictures / Koch Films
Dann steht für längere Zeit ein rot leuchtender Komet über dem Kloster (inwieweit dies überhaupt sinnvoll erscheint, mag jeder für sich entscheiden), »eine Warnung Gottes«. Und eine Tendenz des Films wird immer deutlicher: wenn hier irgendwas »schiefgehen« kann, dann wird dies auch geschehen. Mehrfach stelle ich mir zwischendurch Fragen wie »Sie wird doch nicht etwa ...?« oder »Wird der Mob in seiner Raserei zur Lynchjustiz greifen?« und Verhoeven, der mit 83 keineswegs zur Altersmilde neigt, lässt fast nichts aus.
Es ist auch eine merkwürdige Qualität des Films, was er nach und nach alles an grässlichen Attraktionen bietet. Pest - check! Scheiterhaufen - check! Zweckentfremdung religiöser Objekte - check! Selbst eigentümliche Schauwerte, die man eher aus Hardcore-Filmen kennt, baut Verhoeven in die Handlung ein, und dies mit einer klaren Botschaft.
Actionheld Jesus steht zwischendurch auch etwas neben sich wie eine Witzfigur (als würde er demonstrieren, wie Benedetta ihr coming-of-age mit erweitertem Erfahrungshorizont durchlebt), und mit dem Nuntius Lambert Wilson steigt man ein in den letzten Akt, wo es noch mal um Intrigen à la spanische Inquisition, den Kampf des individuellen Feminismus gegen das alles beherrschende Patriarchat und solche Themenbereiche geht.
© 2021 capelight pictures / Koch Films
Mit einem Haufen an »Blasphemie, Ketzerei und Bestialität« liefert Benedetta auch einen Showdown, der sich gewaschen hat, und bis auf Charlotte Ramplings letzte Szene und das Versteck im Buch wirkt alles an diesem Film wirklich gut durchdacht. Die Tricksereien, Intrigen und Wunder, die Versuchungen, Belohnungen und Strafen - und nicht zuletzt einfach die etwas andere Moral, die zwischen der Liebe Gottes (oder was hier dafür verkauft wird) und einem deutlich weltlicheren Liebesbegriff entscheidet.
»Ihre kleine Komödie mit Schwester Felicita gestatte ich - schließlich müssen wir alle unsere Rolle bis zum Schluss spielen.«
Das »bis zum Schluss spielen« passt hier nicht nur auf nahezu jede Filmfigur und wie sie den Film beenden wird, sondern vor allem auf Verhoeven selbst, der sich mit dem Film ein Denkmal setzt, das länger bestehen wird als seine großen Hollywood-Mainstream-Erfolge wie Total Recall oder Basic Instinct. Im Nachhinein waren das nur Fingerübungen, die den Regisseur auf dieses Alterswerk, das kaum persönlicher ausfallen könnte, vorbereitet haben.