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25. Dezember 2021
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Tragedy of Macbeth (Joel Coen)


The Tragedy
of Macbeth
(Joel Coen)

Originaltitel: The Tragedy of Macbeth, USA 2021, Buch: Joel Coen, Lit. Vorlage: William Shakespeare, Kamera: Bruno Delbonnel, Schnitt: Lucian Johnston, Reginald Jaynes, Musik: Carter Burwell, Tonschnitt: Skip Lievsay, Kostüme: Mary Zophres, Szenenbild: Stefan Dechant, Macbeth head and prosthetic scars: Ron Savini, mit Denzel Washington (Macbeth), Frances McDormand (Lady Macbeth), Bertie Carvel (Banquo), Alex Hassell (Ross), Corey Hawkins (Macduff), Harry Melling (Malcolm), Brendan Gleeson (Duncan), Moses Ingram (Lady Macduff), Kathryn Hunter (Witch / Old Man), Miles Anderson (Lennox), Matt Helm (Donalbain), Lucas Barker (Fleance), Scott Subiono, Brian Thompson (Murderers), Stephen Root (Porter), Robert Gilbert (Angus), Ethan Hutchison (Macduff's Son), James Udom (Seyton), Richard Short (Siward), Sean Patrick Thomas (Motheith), Ralph Ineson (Captain), Jefferson Mays (Doctor), 105 Min., Kinostart: 26. Dezember 2021 (ab 14. Januar 2022 auf AppleTV)

Bei den Coen-Brüdern ist es normalerweise Ethan, der nebenbei noch im Theaterbereich tätig ist. Nun aber probiert sich Joel Coen an einer Adaption eines Shakespeare-Stückes aus, was gleichzeitig auch seine erste Filmarbeit ist, bei der sein Bruder so gar nicht beteiligt ist. Natürlich hängt dies mit Frances McDormand zusammen, die seit den 1980ern Joels Lebensgefährtin ist und im Grunde schon in Blood Simple eine Rolle spielte, die der der Lady Macbeth nicht völlig unähnlich ist. Als sie die Lady Macbeth 2016 auf der Theaterbühne spielen sollte, fragte sie ihren Mann, ob der nicht die Inszenierung übernehmen wollte, aber Theater war einfach nicht sein Ding. Und mit etwas zeitlichem Abstand liefert er jetzt eben die Filmfassung nach.

Ich habe keine Kritiken zu dem Film gelesen, bin mir aber sicher, dass viele Journalisten in ihren Texten etwas von der »Theaterhaftigkeit« dieser Macbeth-Version schreiben werden. Und deshalb möchte ich ganz klar betonen, dass The Tragedy of Macbeth vielleicht bei den Außenszenen immer eher nach durchkomponierten Studioaufnahmen aussieht - aber von einer Theaterbühne hat dieser Film wenig, weil diese halt klar umrissen ist, während man in diesem Film fast bei jedem Szenenwechsel genau sehen kann, wie Joel seine Bilder für das Rechteck der Kinoleinwand kombiniert (oder meinetwegen das eines Monitors). Da gibt es mal eine Schiller'sche »hohle Gasse«, in die das Kameraauge schaut, dann spielt er mit Lichtsprengseln, die hohe Fenster auf eine Fußboden zeichnen, den wir von oben sehen, und in einer der rätselhaftesten Szenen gibt es einen dramatischen Kampf zwischen zwei Säulenreihen, wobei Kameramann Bruno Delbonnel aber auch links und rechts der beiden Säulenreihen erkundet, was man dahinter sieht (und zwar in diesem Fall unwirkliche Waldlandschaften, die etwas von einer alten Rückprojektion haben. Dann gibt es noch Spezial-Effekt-Aufnahmen, die auch mal im Himmel spielen können (in Joels Version können sich die drei Hexen in Vögel verwandeln - und mir war nie zuvor aufgefallen, wie häufig in Shakespeares Text Vogelarten auftauchen). Auf jeden Fall hat man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, als sei dieser Film auf irgendeine Bühne begrenzt, wie es im Filmbereich ja auch etwas verpönt ist.

The Tragedy of Macbeth (Joel Coen)

© 2021 Apple Inc. Alle Rechte vorbehalten.

Der Film hat wenig mit Naturalismus oder der Natur, der realen Welt überhaupt zu tun. Aber er kreiert sich seine eigene Welt. Schon die Entscheidung, in Schwarzweiß zu drehen, entfernt sich von der Realität, und auch das Bildformat, das etwa 4:3 sein dürfte, schafft für das Publikum auch eine gewisse Distanz (passt aber auf gängige Computer-Monitore, was für diese um Renommee heischende Apple-Produktion ein Entscheidungsgrund gewesen sein könnte). Abgesehen davon ist auch die Entscheidung, einige der Rollen mit people of color zu besetzen, eher nicht von den Umständen im historischen Schottland geprägt, sondern von heutigen Gesichtspunkten. Die Coen-Brüder fielen bisher eher nicht mit einem ausgeprägten Hang zur Diversität auf ... aber wenn man mal die Chance hat, den Über-Actor Denzel Washinton einzusetzen, fängt man nicht damit an, Erbsen zu zählen.

Generell hat der Film auch hier und da den Charme einer lockeren Fingerspielerei. Zwar hat Joel den Text überarbeitet und neben dem Vogelthema zum Beispiel die Aspekte eines psychologischen Thrillers betont, aber beispielsweise die von nur einer Frau gespielten drei Hexen haben ihn inspiriert, visuell mit den Möglichkeiten herumzuspielen. Und wer sich schon länger mit den Coens beschäftigt, sieht auch hier und da kleine Spielereien, wie sie typisch für die Brüder sind. Die haben zum Beispiel längere Zeit ihre Filme unter einem gemeinsamen Pseudonym geschnitten ... und dieser Roderick Jaynes hat dann auch mal ein Vorwort zu einer Buchveröffentlichung Coen'scher Drehbücher geschrieben (Barton Fink & Miller's Crossing bei Faber & Faber), wo er putzige kleine Lügengeschichten von sich gibt. Bei The Tragedy of Macbeth taucht jetzt als zweiter Montage-Credit ein gewisser Reginald Jaynes auf, der wie ein Verwandter von Roderick klingt, dazu mit einem Vornamen, der für mich alten Lateiner natürlich auch etwas »königlich« klingt. Allzu ernst nehmen sich die beiden meist nicht.

(Ich beömmel mich noch heute, dass sie das Drehbuch zu O Brother, Where Art Thou? der alterwürdigen Academy of Motion Pictures, Arts and Sciences als Adaption von Homers Odyssey untergejubelt haben. Okay, es gibt eine Reise, Sirenen und einen Einäugigen, aber das war schon ein Gag auf Kosten der Hollywood-Maschinerie, die immer alles und jeden in Schubladen einsortieren will.)

The Tragedy of Macbeth (Joel Coen)

© 2021 Apple Inc. Alle Rechte vorbehalten.

Ungeachtet dessen nimmt Coen aber den Shakespeare-Stoff sehr ernst, übernimmt auch die Mauerschau-Szenen, die in anderen Verfilmungen auch mal als zusätzliche Szenen im Schlachtgetümmel umgesetzt wurden, und bleibt immer nah dran am Text, löst sich nur von der Bühne als Spielort, wo er anderswie etwas visuell interessanter umsetzen kann

Ein Aspekt, der bei Großaufnahmen gänzlich anders eingesetzt werden kann als auf einer Theaterbühne, wo das Publikum immer diverse Meter weg ist von den Darstellern, sind etwa die detailreichen Kostüme, die glaube ich in keinem Coen-Film jemals so meine Aufmerksamkeit erreichten wie hier. Bei den Bauten ist es ähnlich, bis auf die Tendenz zum Minimalismus, und auch die Schatten von knöchernen Ästen oder die vom Wind wie auf Befehl emporgewirbelten weiß wirkenden Blätter oder der fast wie Puderzucker wirkende Sand, in den kleine Rinnsale von Blut tropfen: die Bilder dieses Films sind schon mit Sorgfalt komponiert. Und man merkt, dass Joel sich hier mal etwas anders austobt als in den Filmen mit seinem Bruder.

Eine der bekanntesten Textstellen des Stücks (»Is this a dagger which I see before me?«) visualisiert er zum Beispiel durch einen eigentümlichen Türknauf, der aus der ferne tatsächlich wie ein in der Luft hängendes Damokles-Schwert wirkt. Wenn Coen irgendeine Idee hat, setzt er sie auch gerne um, was zumindest etwas von einer formalistischen »Theaterhaftigkeit« hat. Gerade Shakespeare-Stoffe werden ja immer wieder gerne neu interpretiert. Coen reißt den Stoff nicht aus seiner historischen Umgebung, interpretiert diese aber sehr eigenwillig.

The Tragedy of Macbeth (Joel Coen)

© 2021 Apple Inc. Alle Rechte vorbehalten.

Für ein größeres Publikum ist das vielleicht eine Herausforderung (ich kann mir jedenfalls nur schwer vorstellen, dass man am zweiten Weihnachtsfeiertag dafür ins Kino pilgert, weil man eine bestimmte Stimmung (»T'was a rough night. Horror, horror, horror.«) erleben möchte, statt mit Feiertagsplauze am Tatort hängenzubleiben, aber die Coen-Brüder haben auch nicht immer nach dem großen Publikum geschielt, sondern sich lieber ihre ganz persönliche Nische aufgebaut, wo gerade das Ungewöhnliche den Reiz ausmachte.

Meine Lieblingsszene des Films (Spoileralert für Leute, die nicht wissen, warum Shakespeares Tragödien so genannt werden), ist die, wo Denzel, der sich wegen der Prophezeiungen der Hexen für reichlich unkaputtbar hält, in einem Schwertkampf nichts besseres zu tun hat, als sich fix nach seiner zwischendurch heruntergefallenen Krone zu bücken. Und als er sie sich gerade wieder aufsetzen will, muss er dann feststellen, dass ihm zwischendurch das zum Tragen der Krone notwendige Körperteil abhanden gekommen sein muss. Das ist auch so eine Art von Coen-Humor wie aus Blood Simple.