Meine Stunden
mit Leo
(Sophie Hyde)
Originaltitel: Good Luck to you, Leo Grande, UK 2021, Buch: Katy Brand, Kamera, Schnitt: Bryan Mason, Musik: Stephen Rennicks, Kostüme: Sian Jenkins, Production Design: Miren Maranon, mit Emma Thompson (Nancy Stokes), Daryl McCormack (Leo Grande), Isabella Laughland (Becky), 97 Min., Kinostart: 14. Juli 2022
Die pensionierte Religionslehrerin Nancy Stokes (Emma Thompson) trifft sich in einem für sie etwas zu teuren Hotelzimmer mit dem auch nicht zum Schnäppchenpreis bereitstehenden, deutlich jüngeren Callboy* Leo Grande (Neuentdeckung: Daryl McCormack).
*Im Film benutzt man diese Bezeichnung (oder »Escort«) übrigens nicht, sondern immer den politisch korrekten Begriff »Sexarbeiter«. Selbst, wenn im Film erklärt wird, dass im Vereinigten Königreich speziell das Anbieten von sexuellen Leistungen gesetzwidrig ist, nicht aber, sich als Begleitung gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen - und wenn es dabei dann zu sexuellen Vorgängen kommt, findet dies nur zwischen den beteiligten Parteien statt ... und man unterschlägt einfach, dass dies Bestandteil der Vereinbarung war.
© Wild Bunch Germany
Die von Selbstzweifeln verfolgte und zunächst ziemlich verklemmte Nancy war 31 Jahre mit ihrem vor zwei Jahren verstorbenen Robert verheiratet, in denen der eheliche Beischlaf jeweils auf exakt die selbe Weise vollzogen wurde. Der Illusion, jemals in ihrem Leben einen Orgasmus zu erleben, gibt sich Nancy längst nicht mehr hin.
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Der einfühlsame Leo schafft es, Nancy in diesem größtenteils im selben Hotelzimmer stattfindenden Kammerspiel langsam auftauen zu lassen. Nachdem er erwähnt hat, dass seine bisher älteste Klientin 82 Jahre alt war, begreift Nancy, dass sie nicht komplett abstoßend auf den gutaussehenden Leo wirkt, der zwar bereit ist, all ihre Wünsche zu erfüllen, ihr aber auch zu erklären versucht, dass Sex nach einem zuvor erstellten Zeitplan nicht jenes Lustempfinden mit sich bringen wird, das Nancy als Mensch auch verdient hat.
Der Film sprüht von Humor, spritzigen, aber sensiblen Dialogen und sogar Situationskomik. Zu den Kernthemen gehören sich parallel spiegelnde Erzählungen über die benachbarte Familiengeneration: Nancy erzählt davon, wie sie ihre Kinder enttäuscht haben und befragt Leo zu seiner Mutter. Dabei zeigt sich, dass beide Geheimnisse vor der Familie haben (nicht zuletzt die Treffen der beiden), und im Fall von Leo stellt sich heraus, dass er seine Persona mit dem eleganten Pornonamen selbst kreiert hat und Wert darauf legt, seine Dienste und sein Privatleben streng zu trennen - während Nancy unbedingt mehr vom »richtigen« Leo erfahren will - was zum größten Konflikt in der Filmhandlung führen wird.
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Doch auch Nancy mag zwar einige Empfindungen preisgeben, die man normalerweise nicht ausplaudert, aber gerade ihre Lehrerinnenkarriere verlief nicht ganz so, wie sie es zunächst darstellt.
Dramaturgisch ist der Film geprägt von den durchgezählten Treffen, die zum Teil sehr unterschiedlich verlaufen. Ich möchte hier nicht die Anzahl ausplaudern, aber für diese Anzahl hat man im Drehbuch clever entsprechend viele Entwicklungen der Geschichte und der »Beziehung« von Leo und Nancy bereitgehalten.
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Der Konflikt zwischen den beiden, auf den ich bereits hingewiesen habe, ist vielleicht nicht die beste Idee des Films, zumindest mir erscheint er etwas zu sehr bestehenden dramaturgischen Schemata entsprechend. Aber dafür ermöglicht er die Entwicklung zum »letzten« Treffen von Leo und Nancy im Film, und die letzten Einstellungen des Films sind auch die genialsten, die die Kernbotschaft des Films tragen, die über eine zu erwartende Entwicklung durchaus hinausgehen und den Film als Ganzes geradezu beflügeln.