Liebesdings
(Anika Decker)
Deutschland 2022, Buch: Anika Decker, Kamera: Motitz Anton, Schnitt: Charles Ladmiral, Musik: Jean-Christophe Ritter, Szenenbild: Michael Binzer, Kostüme: Lotte Sawatzki, Choreographie: Julia Fidel, mit Elyas M'Barek (Marvin Bosch), Lucie Heinze (Frieda), Peri Baumeister (Sammy), Alexandra Maria Lara (Bettina Bamberger), Denis Moschitto (Hakan Celik), Linda Pöppel (Jacky), Maren Kroymann (Zelda), Lucas Reiber (Markus), Rick Kavanian (Rainer), Michael Ostrowski (René), Anton Weil (Milan), Simon Pearce (Hans), Anna Thalbach (Wiebke), Jochen Schropp (Hansjörg), Steven Gätjen (Himself), Paul Zichner (Rocco), 100 Min., Kinostart: 7. Juli 2022
Auf dem Presseserver von Constantin gibt es zu diesem Film für nahezu jeden Prominenten mit Cameo-Auftritt ein passendes Szenenfoto. Deshalb habe ich mich entschieden, meinen Text entlang der Bilder zu verfassen und statt meiner üblichen vier Fotos gleich mal Stücker sieben zu präsentieren. Wer jetzt glaubt, ich biete dem Film unnötig viel Werbefläche und unterstütze ihn dadurch, der sollte erst mal den Text lesen, der nicht unbedingt der Lobhudelei frönt. An dieser Stelle übrigens die Warnung, dass ich verdammt viel von der Handlung preisgebe, inkl. einigen Entwicklungen ganz zum Schluss (auch, wenn die nicht eben überraschend ausfallen).
Für einen Film, der vermeintlich kritisch mit den Klischees der Romantic Comedy umgeht, torpediert nicht nur schon das Wort »Liebe« im Titel den eigenen Ansatz - auch das Plakat, das ähnlich nichtssagend ist wie die kaum unterscheidbaren Poster zu den beiden früheren Regiearbeiten von Anika Decker, Traumfrauen und High Society, zeigt eigentlich nur ein aus zwei jungen gutaussehenden Menschen bestehendes Hetero-Paar. Hauptdarstellerin Lucie Heinze trägt zwar das wie eine Regenbogenforelle schillernde Kleid auch mal im Film, aber meistens (zumindest im ersten Drittel des Films) ist sie mit dunklen kajaltriefenden Augen eher die männerfressende Feministin, die sich bei so einem Filmplakat vermutlich den Finger in den Hals stecken würde.
© Constantin Film
Noch während des Vorspanns (der nicht völlig misslungen ist, zumindest hat die nach Babelsberg verlegte Hollywood-Parodie (sehr) frei nach Robert Altmans The Player einige nette Momente) sieht man Frau Heinze, wie sie - im Kern ähnlich einer umgedrehten Version von Notting Hill - am Plakat eines »Superstars«, der vielleicht nicht ganz mit Julia Roberts mithalten kann, vorbeiläuft. Natürlich ohne es eines Blickes zu würdigen, wodurch ihr auch entgeht, wie hier jemand wohl mit einem Lineal daran gearbeitet hat, den titelgebenden »Traummann« als Clown zu »entstellen«. Dummerweise sieht er mit Clownsmaske fast noch sympathischer aus, was aus meinem limitierten Verständnis ein wenig so wirkt, als hätte man hier wenig überzeugende Regieentscheidungen gefällt.
Apropos fehlendes Wissen (meinerseits). Als ich auf dem innerfilmischen Plakat sah, dass die Produktionsfirma »Decker Bros« heißt, hielt ich das anfänglich noch für einen Scherz. Erst später kapierte ich, das dies der reale Name des aus Regisseurin Anika Decker und ihrem Bruder Jan bestehenden Team von »Co-Produzent*innen« ist. Womöglich also immer noch witzig, aber vor allem Schleichwerbung. Was vielleicht sogar wieder als witzig erachtet werden könnte, ist, dass Filmfigur Frieda (Lucie Heinze) sich zu Beginn des Film mal folgendes fragt:
»Bin ich noch Feministin, wenn ich mir zu Selbstbefriedigungszwecken 'Bums-Bus' anschaue?«
Hier wollte ich vor allem darauf zu sprechen kommen, dass man für einen »Bums-Bus« vor allem eines gebrauchen kann: »Decker Bros«... wenn auch eher als Darsteller.
© Constantin Film
Elyas M'Barek als Marvin Bosch steht im Zentrum des Films, der kurz vor der »Weltpremiere« seines neuen Films Traummann beginnt. Die Promotion-Maschine ist gerade in vollem Gange und noch am Tag der Premiere ist ein Interview vorgesehen. Bei Bettina Bamberger (Alexandra Maria Lara), die ihre eigene Fernsehshow hat und ihre Interview-Partner gerne etwas härter rannimmt. In diesem Fall hat sie vor allem zwei Pfeile im Köcher: Marvins Filmpartnerin hat offenbar ein ausgeprägtes Alkoholproblem und Bettina ahnt, dass Marvin in seiner Neuköllner »Asozialenkindheit« ein Geheimnis, irgendeinen »Dreck«, verborgen hat.
Damit liegt sie - abgesehen von der unangemessenen Wortwahl, die sie schnell als Antagonistin des Films festmacht - gar nicht mal so falsch, und im Verlauf des Films gibt es immer mal wieder Flashbacks, die mehr und mehr über Marvins Kindheit preisgeben, die aus ihm und den Jugendfreunden Sammy und Hakan ein eingeschworenes Trio machten, das an seiner Filmkarriere nicht zerbrach (die beiden sind jetzt Managerin und Assistent), aber das Geheimnis, das lange Zeit eine große Rolle im Drehbuch spielt, knabbert tatsächlich an Marvin - und durch ein paar Fragen von Bettina, die in den persönlichen Bereich treffen, stolpert Marvin aus seiner Star-Routine heraus in etwas menschlichere Gedankengänge...
© Constantin Film
Während Bettina (als Fieslingin ist die Lara vergleichsweise erträglich) weiter daran arbeitet, ohne moralische Bedenken eine Nachrichten-Sensation aufzudecken, kommt Marvin ins Grübeln über sein Leben (und das seiner beiden besten Freunde, die auf den Wechsel in eine Luxuswelt mehr Wert legen als Marvin als Motor ihrer gemeinsamen Erfolgsgeschichte). Was dazu führt, dass er tatsächlich seine eigene Premiere verpasst, wo sich stattdessen andere auf die Publicity-Möglichkeiten stürzen (Rick Kavanian hat auch nicht eben eine Sympathen-Rolle abbekommen).
© Constantin Film
Marvin geht stattdessen spazieren und landet so in einem Off-Theater, in dem man offenbar ohne Eintrittskarte direkt in den Backstage-Bereich kommt. Dort erlebt er einen Auftritt von Frieda als Stand-Up-Comedienne mit anschließendem »Tampon-Tanz«, trinkt aber (immer diese Verwicklungen!) nebenbei auch noch eine ganze Flasche selbstkredenzten »Zauberpilztee«, den die Ensemble-Mitglieder des kurz vor der Schließung stehenden feministischen Theaters höchstens mal in homöopathischen Dosen zu sich nehmen. Und abgesehen davon, dass er so auf Frieda trifft (das traditionelle meet-cute, also das erste Treffen des Paars in einer RomCom, findet hier übrigens mehr oder weniger in dem mannsgroßen Modell einer Vulva statt...) führt das auch dazu, dass er ohne eigenes Verschulden ruckzuck noch zugedröhnter ist als die bereits erwähnte Filmpartnerin (die übrigens abgesehen von einer Kotz-Szene nahezu gar nicht im Film auftaucht.)
© Constantin Film
Doch Marvins »Premieren-Nacht« ist noch nicht vorbei. Ihm wird das Leben gerettet, er wird von einem metaphorischen Blutsauger verfolgt ... und landet, als Klitoris getarnt, in einer Bar. Und später natürlich im Bett mit Frieda (heutzutage enden RomComs nicht mehr mit einem Kuss, sondern beginnen mit einer gemeinsamen Liebesnacht).
© Constantin Film
Bis zu diesem Punkt ist der Film noch ganz unterhaltsam, und ich als Neuling im Œuvre von Anika Decker (ich hatte so meine Gründe, Keinohrhasen nur im Verlauf eines Jahrzehnts bei diversen Fernsehausstrahlungen in kleinen Häppchen peu à peu nachzuholen und Zweiohrküken sowie Rubbeldiekatz noch erfolgreicher zu meiden) konnte die Konstruktion des Drehbuchs durchaus als vielversprechend auffassen.
Doch die zweite Hälfte (ich hab's nicht gestoppt, vielleicht verschätze ich mich auch stark) des Films war dann keineswegs mehr besonders durchdacht. Dafür, dass hier immens viele Figuren eingeführt wurden, von denen einige sehr eingeschränkte oder gar keine wirkliche Funktionen haben (Anna Thalbach als Wiebke ist verschenkt, Simon Pearce als Hans und Linda Pöppel als Jacky sind vor allem Stellvertreter für das Thema Diversität) ist es besonders sträflich, dass viele dieser Figuren scheinbar im Verlauf der Geschichte komplett vergessen wurden. Bettina Bamberger hat etwa zwei Szenen mit ihrem Freund René, die nicht besonders komisch sind und kaum etwas aussagen über diese Figuren. Das große Kindheits-Geheimnis von Marvin könnte kaum antiklimaktischer ausfallen und beweist in der Ausformulierung der »Menschlichkeit« von Marvin eigentlich nur, wie überflüssig die ganze Thematik ist.
Ein häufig formulierter Leitsatz für Drehbuchautoren (und -innen) lautet ja »Kill your Darlings«, Szenen, die für sich genommen gelungen ausfallen, helfen dem Film als Ganzem nicht unbedingt weiter. Anika Decker hat offenbar durch ihre Erfolge an der Kinokasse (teilweise feiert auch der Medienzirkus, der deutsche Erfolgsstorys liebt, sie unglaublich ab) eine Art Narrenfreiheit und so gibt es in diesem Film reichlich Szenen mit vermutlich befreundeten Darstellern einer gewissen Prominenz, die die Filmhandlung über Gebühr zerfasern lassen (mein persönlicher Favorit ist da ein Auftritt ganz zum Schluss des Films, der einer Darstellerin eine Bühne beschert, eine Szene, die plötzlich und unerwartet die beiden Hauptfiguren fast ins Abseits drängt ... und diese Szene ist weder besonders witzig oder offenbart besondere Ideen oder Talente, sie wirkt einfach nur wie ein Geschenk an die gefeaturete Schauspielerin - ohne Rücksicht auf Verluste.)
Das sicher am häufigsten diskutierte Thema des Films werden die Aspekte des gesellschaftlichen Alltags sein, die Anika Decker laut eigenen Angaben erstmals in einem deutschen Mainstream-Film unaufdringlich und nicht belehrend einbringen wollte. Feminismus und starke Frauenrollen, die früher automatisch an Männer gegangen wären (außer Managerin Sammy und ein paar Theater-Verantwortlichen fand ich da nicht viel), Diversität, Genderfragen etc.
© Constantin Film
Leider klappt das nicht wirklich. Mal erklärt man dem angenommenerweise unzureichend informiertem Zielpublikum (zu) ausgiebig, was ein CIS-Mann ist, dann wirkt es so, dass zur Diversität auch gehört, dass vier Nebenfiguren in der Berliner Medienwelt unbedingt ausgiebig schwäbeln müssen, was unwitzig und ein blödes Klischee ist (dafür gibt es im Film kaum eine Figur, die älter als Maren Kroymann ist oder einen höheren Body Mass Index als Denis Moschitto, Simon Pearce oder Rick Kavanian hat - soviel zum Thema Diversität). Wenn gegen Ende des Films so ziemlich jedes Theatermitglied einen kurzen Stand-Up-Auftritt hat, sind die leider allesamt nicht wirklich witzig (auch wenn das Publikum im Theater natürlich regelrecht ausflippt), und wenn dann auch noch Marvin als geläuterter, jetzt menschlicherer Künstler auftritt, zeigt er vor allem, dass er (und womöglich seine Autorin?) selbst eine der wohl wichtigsten Regeln im toleranten, diversität-liebenden Teil der Menschheit nicht begriffen hat (nicht mitgeschrieben, nur paraphrasiert):
»Dies ist kein normales Theater, sondern ein feministisches Theater.«
Den Begriff »normal« benutzt man nicht, wenn man Diversität fördern will. Es geht ja gerade darum, dass man die Schnauze voll hat vom Patriarchat der alten weißen Hetero-Männer, die am liebsten alles so beibehalten wollen, wie es vor 10, 40 oder 250 Jahren war. Der einzige Grund, warum »Normalität« aktuell einigermaßen im Trend ist, sind die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Und das ist eben eine gänzlich andere Verwendung des Begriffs.
Ich sehe einfach nur wenig Sinn in einem Film, der so tut, als sei er besonders fortschrittlich oder gar modern, sich aber dann bei einem Publikum anbiedert, das dafür nur eingeschränkt zugänglich ist. Besonders auffällig ist dies bei der sehr verhuschten Liebesgeschichte zwischen Jacky und Sammy, zwei Frauen, die jeweils Männernamen tragen (sogar mit y geschrieben, nicht mit ie) und wie ein Zwillingspaar zu Marvin und Frieda ebenfalls aus zwei sehr unterschiedlichen kulturellen Lagern kommen. Oder anders gesagt: die zur Hälfte nur angedeuteten Vorzeige-Lesben entsprechen auch nur Klischees und man gibt peinlich darauf acht, bloß nicht irgendwo anzuecken.
Und über die gescheiterten Ambitionen hinaus ist auch der Ansatz der romantic comedy, wo Frau Decker ja eine gewisse Expertise entwickelt hat, ziemlich misslungen. Dieses Genre benötigt normalerweise eine gewisse Spannung, selbst, wenn die notwendigen Konflikte und Hindernisse natürlich nach uralten Regeln verlaufen. In Liebesdings ist es hingegen so: das Paar ist sich sympathisch, man landet im Bett, dann entfernt man sich voneinander, weil andere Teile der Handlung erzählt werden müssen. Und zum Schluss trifft man sich wieder, ist sich einig, dass man noch aneinander interessiert ist, und dann geht es ohne die geringste Reibung ins Happy End über. So unbefriedigend und langweilig wie eine Shakespeare-Tragödie, die man mit den Schlümpfen oder Teletubbies besetzt hat.
An dieser Stelle muss ich einfach mal wieder mein liebstes Zitat eines Kritiker-Kollegen einbringen, ein Statement des seinerzeit ca. elfjährigen Constantin Dagobert Gerstner zur Disney-Verfilmung The Hunchback of Notre Dame:
»Und am Ende sind alle gute Freunde.«
Liebesdings ist ein Feelgood-Movie, nach dem ich mich nicht gut fühlte, weil ich blöderweise mal wieder den Fehler gemacht habe, beim Betreten des Kinos mein Gehirn nicht auszuschalten. Wenn man sich in geselliger Runde vorher zwei Prosecco (Prosecci?) reinpfeift, sieht man es vielleicht anders.
Hinweis als Nachtrag: Mir ist nicht entgangen, dass ich relativ häufig in meinem Text Szenen als »nicht besonders witzig« oder mit minimalen Variationen dieser Worte beschreibe. Da hätte ich mir natürlich jeweils eine andere Umschreibung ausdenken können (die Oliver-Kalkofe-Schule des kreativen Schreibens), aber irgendwie dachte ich mir wohl: wenn die Komödien-Expertin sich keine Mühe gibt (bzw. einfach spektakulär dabei scheitert) Humor in den Film einfließen zu lassen, warum soll ich dann bei der Beschreibung der misslungenen Szenen die vermissten Anstrengungen nachholen? Da bleibe ich lieber auch einfallslos und fad und liefere dadurch ein kongeniales Abbild.