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18. November 2022
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song (Daniel Geller, Dayna Goldfine)


Hallelujah:
Leonard Cohen,
A Journey, A Song
(Daniel Geller
& Dayna Goldfine)

USA 2021, Buch: François Decodts, Laurent Larivière, Kamera: Daniel Geller, Brian Harnick, Kuba Cachro, Schnitt: Dayna Goldfine, Bill Weber, Daniel Geller, Soundtrack: John Lissauer, Songs: Leonard Cohen, Design & Animation: Scott Grossman, mit Leonard Cohen, Larry »Ratso« Sloman, John Lissauer, Judy Collins, Dominique Isserman, Sharon Robinson, Vicky Jenson, Rufus Wainwright, Bob Dylan, John Cale, Jeff Buckley, Brandi Carlile, k.d. lang, Amanda Palmer, Eric Church, Regina Spektor u.v.a., 115 Min., Kinostart: 17. November 2022

Es gibt eine Art von Dokumentarfilm, bei der das Wissen bzw. Nichtwissen des Publikums für jede/n einzelne/n Zuschauer/in das filmische Erlebnis deutlich prägt. Mancher weiß nichts, eine andere ist vielleicht bestens informiert, findet aber noch neue oder verdrängte Details.

Meine Vorgeschichte mit Leonard Cohen fängt vielleicht mit der auch im Film erwähnten CD »I'm your Fan« an, auf der, ähnlich wie auf Scheiben wie »If I was a Carpenter«, »Red, Hot & Blue« oder »The Smiths is Dead« Cover-Versionen vom Œuvre eines Musikers oder einer Band versammelt waren, in diesem Fall eben von Leonard Cohen. Ich kann im Nachhinein nicht meine Plattenkäufe zu Beginn der 1990er rekonstruieren, aber ich erinnere es so, dass ich nicht lange nach dieser musikalischen Anthologie ein Großteil der Discographie von Leonard Cohen (ich glaube, da gab es gerade eine »Nice Price«-Aktion) zusammengekauft habe und auch ausgiebig durchgeorgelt habe. Da hatte ich glaube ich bis zu »The Future« alles beisammen, später kamen mindestens noch »Ten New Songs« und »Dear Heather« hinzu, später fehlten mir dann Geld und Freizeit, um dauernd auf dem Laufenden zu bleiben.

Auch die Cover-Version von Hallelujah vom leider viel zu früh verstorbenen Jeff Buckley kannte ich (genau wie die von John Cale), aber ich habe mir nie die Mühe gemacht, die Texte miteinander zu vergleichen. Und dass Cohen selbst gut fünf Jahre an seinem Song bastelte, ehe er dann eine »endgültige« Version veröffentlichte ... nur um bei Liveauftritten dann eine andere Fassung zu singen pflegte (die wiederum John Cale übernahm), das ging alles komplett an mir vorbei.

Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song (Daniel Geller, Dayna Goldfine)

© 2022 Prokino Filmverleih GmbH / Oliver Morris / Getty Images

Darauf bezogen war der Dokumentarfilm für mich also eine hochinteressante Informationsquelle. Vermutlich würde ich mir sogar ein (preiswertes) Buch anschaffen, in dem im Detail diverse Textfassungen verglichen werden oder man im Ansatz die Entstehung des Textes nachvollziehen kann.

Aber, wie eingangs beschrieben, für alle Betrachtenden im Kino wird der Film einen unterschiedlichen Effekt haben. Je nachdem, wie gut man sich mit Leonard Cohen auskennt - und sich für das Thema interessiert. Für manchen trifft ja auch folgender Satz zu: »You don't really care for music, do you?«

Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song (Daniel Geller, Dayna Goldfine)

© Eric Préau / Sygma via Getty Images

Die inhärente Basis des Textes des Songs Hallelujah wird auch mal treffend zusammengefasst:

»One part biblical, one part the woman he slept with last night.«

Davon ausgehend, scheint es einfach und naheliegend, aus den 150 oder so Versen, die Cohen für den Song verfasste, die zu wählen, die die Einstellung der jeweiligen Musikers trifft. Oder, wie im Fall des Animationsfilms Skrek, in den man eine Cover-Version einbaut, eine kindertaugliche Version, in der niemand an einen Küchenstuhl gebunden wird oder ähnliches. Vicky Jenson, eine der Regisseur:innen von Shrek, hat man auch zu einem Interview eingeladen.

Viel interessanter als die Grenzbereiche, die man bei der Erfolgsgeschichte des Songs alle ausleuchtet (bei Casting-Show, Hochzeiten und Beerdigungen entwickelte sich Hallelujah zum Dauerbrenner), sind aber die Stationen im Leben von Leonard Cohen, die auch über diesen einen Song hinaus erkundet werden. Da gibt es neben der Sängerin Judy Collins, die Cohen in frühen Jahren unterstützte auch seine einstige Lebensgefährtin Dominique Isserman, Photographin und Modell, seinen Arrangeur bei einem frühen Album, John Lissauer, dessen Geschichte allein eine Doku füllen könnte, oder Larry »Ratso« Sloman, der mit zahlreichen Cohen-Interviews über den gesamten Verlauf seiner Karriere, wohl zum größten Experten für den Songwriter und den Titelsong dieses Films wurde.

Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song (Daniel Geller, Dayna Goldfine)

© 1967 David Gahr / Getty Images

Cohens religiöse Orientierung ist ebenso Thema des Films wie die Entscheidungen seiner Plattenfirma Columbia, und das Regie-Team, das ein gewisses Faible für künstlerische Prozesse hat, suchte einiges an altem Archivmaterial zusammen (zum Beispiel Telefonmitschnitte von Interviews aus den 1970ern), gab sich aber auch Mühe, neue Szenen zu kreieren, die einen besonderen Bezug zu Cohens Werdegang haben (etwa ein Interview mit Judy Collins auf der Bühne, wo sie 50 Jahre zuvor Leonard zu seinem ersten Gesangsauftritt überredete).

Bei der Künstlerauswahl war ich hin und wieder etwas perplex, wenn beispielsweise der mir komplett unbekannte Country-Sänger Eric Church mit einem atmosphärisch durchaus besonderem Auftritt sehr ins Rampenlicht gerückt wurde, aber im Endeffekt gilt hier natürlich auch: wenn man gelungenes Material hat, versucht man das einzubauen, wenn man von einem anderen Künstler vielleicht nur minderwertige Aufnahmen hat, muss man sich dann halt entscheiden, wie man die zwei Stunden des Films füllt.

Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song (Daniel Geller, Dayna Goldfine)

Fotograf unbekannt, Courtesy of the Cohen Estate

Doch das betont ja nur noch mal den Aspekt des Films, das jeder Zuschauer nach unterschiedlichen (musikalischen und anderen) Vorlieben auf andere Szenen und Musikschnipsel reagiert.

Die zwei unterschiedlichen Suzannes in Cohens Leben, sein Disaster mit Phil Spector, seine Beziehung zu einem japanischen Zen-Meister, sein täglicher Arbeitstrott (auch im Vergleich zu dem von Bob Dylan), sein Ausflug, mal ein Album mit einem Elektro-Keyboard à la Trio aufzunehmen - der Song ist voller spannender Momente, auch wenn seine Dramaturgie hier und da etwas ungeschliffen wirkt. Aber hey, das passt ja wohl auch zu Leonard Cohen, oder?