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9. Mai 2024
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Teaches of Peaches (Philipp Nussenegger)


Teaches of Peaches
(Philipp Nussenegger)

Deutschland 2024, Co-Regie & Schnitt: Judy Landkammer, Kamera: Dino Osmanovic, Dramaturgie: Susanne Heuer, »Buch«: Cordula Kablitz-Post, Schyda Vasseghi, Songs: Peaches, Kostüme: Charlie Le Mindu, mit Peaches (Merrill Beth Nisker), Black Cracker (Ellison Renee Glenn), Tif »Teddy« Lamson, Federica »Fede« Dauri, Natasha Vergilio, Ixa (Kyle), Chilly Gonzales, Leslie Feist, Shirley Manson, Mignon, Charlie Le Mindu, Hilary Fox, Bryan Schall, Olivia Oyama, 122 Min., Kinostart: 9. Mai 2024

Ich bin Jahrgang 1967, Merrill B. Nisker, eine jüdische Kanadierin mit ungarisch-ukrainischen Wurzeln, ist Jahrgang 1966, also definitiv meine Generation. Ich zog 1999 zum Wintersemester nach Berlin, Peaches (so nannte sie sich inzwischen) unabhängig davon einige Monate später, und ihr Debütalbum (unter diesem Namen, es gab noch was anderes davor) The Teaches of Peaches gehörte quasi zum Soundtrack der frühen Jahre der satt.org-Redaktion. Auf sexy Elektrobeats konnten ich und alle3 uns ohne Probleme einigen, und für mich wären die 1990er ohne Musikerinnen wie PJ Harvey, Juliana Hatfield und Liz Phair oder Bands wie Elastica, Echobelly, Babes in Toyland oder Drugstore gar nicht denkbar. Nur hatte ich meine wilden Zeiten eher in den ersten drei Vierteln des Jahrzehnts in Hamburg und Roskilde, in Berlin hatte ich kurz vorm Millennium halt zu studieren begonnen und habe das tatsächlich ernster genommen als alle Bekannten annehmen würden, die mich vor oder nach meinem Studium kennengelernt haben.

Den Bezug zu Peaches habe ich mit eingeschränktem Musikkonsum verloren. Da ich noch immer nicht im Streaming-Zeitalter angekommen bin, sondern mir höchstens mal einzelne Alben runterlade (aber die CD als Trägermaterial noch längst nicht aufgegeben habe), habe ich auch in den letzten zehn Jahren höchstens einzelne Songs von Peaches gehört, aber im Verlauf der Doku konnte ich miterleben, wie sehr dieses Material noch in mir verwurzelt ist. Ähnliches habe ich auch mit »wiederentdeckten« Alben wie Zenyatta Mondatta von The Police, Peter Gabriels So oder Foreigners 4 erlebt: was mal zu einem Zeitpunkt meines Lebens in Dauerschleife lief, kann Jahrzehnte später wieder reaktiviert werden. Und das macht mir auch viel Spaß.

Entsprechend war der musikalische Teil dieser Doku für mich ein Selbstläufer, aber spannender war die Erarbeitung eines Konzeptes.

Teaches of Peaches (Philipp Nussenegger)

© Andres Fuentes Cannobbio

In den neuen Aufnahmen wird Peaches bei der Vorarbeit und auf einigen Gigs der Jubiläumstour zu The Teaches of Peaches begleitet, wobei so ziemlich jeder aus ihrer Entourage etwas beitragen durfte zum Film. Besonders präsent ist dabei ihr Freund »Black Cracker«, der gern mit einigen falschen Vorstellungen über Peaches' Privatleben aufräumt. Zwar ist er jetzt nicht der Zeitzeuge von ihren Anfängen, aber es geht im Film definitiv nicht nur um eine Beweihräucherung ihrer frühen Zeiten.

Dafür befragt man nicht nur die Künstlerin selbst, sondern ihre zwei wohl bekanntesten Wegbegleiter, Chilly Gonzales (selbst Star der Doku Shut up and play the piano, in der ihrerseits Peaches auftaucht) und Leslie Feist. Inwiefern Shirley Manson, die damals als Sängerin von Garbage sehr bekannt war, eine besondere Expertise zum Thema liefern kann, entzieht sich meiner Kenntnis, aber sie bringt ihren eigenen Blick ein und ist - im Gegensatz zu mir - wenigstens prominent. Also will ich darüber nicht meckern.

Außerdem gibt es einiges an altem Material (in unterschiedlicher Qualität und seltsamen Formaten), das einen zurückführt ins Jahr 2000 (und davor). Ziemlich großartig finde ich die Ausschnitte aus der Prä-Peaches-Zeit, als die musikalisch interessierte junge Frau noch als Erzieherin in einer Kita arbeitet und Musik einsetzt, um Kleinkinder zu motivieren. Wenn man das mit der Begeisterung bei ihren Live-Auftritten vergleicht, liefert das verblüffende Einsichten.

»Shake your bag of fun«

Teaches of Peaches (Philipp Nussenegger)

© Avanti Media Fiction

Neben alten Videoclips und verschlissenen Aufnahmen von Auftritten fand ich die Mitschnitte aus alten VIVA-Zeiten irgendwie putzig. Moderatorin Tanja Mairhofer (war mir komplett unbekannt) zeigt zwar, dass sie von (meines Erachtens*) bekannten US-Süßigkeiten wie Skittles oder Lifesavers nie gehört hat, ist aber froh, mit jugendlichem Enthusiasmus auch etwas Geist des Feminismus zu versprühen oder Peaches damit zu verzücken, dass es bei VIVA überhaupt kein Problem darstellt, diverse Male »Fuck!« zu sagen...

*Aber ich lese ja auch seit Ende der 1980er US-Comichefte.

Beim Konzept des Films, der neue und alte Aufnahmen zu einem stimmigen Ganzen zusammenbringen soll, haben (so interpretiere ich das Presseheft) wohl auch einige ProduzentInnen, die schlussendlich Credits als Autoren erhielten, mit beigetragen, aber im Großen und Ganzen fügt sich das Material im Kopf des Betrachters fast selbst zusammen.

So fand ich es bezeichnend, dass sowohl Chilly Gonzales als auch Leslie Feist Peaches als treibende Kraft oder sogar Mentor in der Zusammenarbeit bezeichnen, sie selbst das aber jeweils andersrum sieht. Und das kommt auch nicht wie die übliche Lobhudelei in einem »Making of«-Filmchen rüber, sondern wirkt authentisch.

Teaches of Peaches (Philipp Nussenegger)

© Bell Media Inc.

Noch ein Beispiel dafür, wie sich das Material im Film in meinem verqueren Hirn wie von selbst ordnet (ich weiß nicht mehr genau, wie sich die folgenden Infos im Film verteilt haben):
Peaches unterscheidet zwischen Gepflogenheiten in Nordamerika und Berlin. Drüben »versteckt« man die seltsamen Acts an Ende eines Line-Ups (wohl, um die Besucher nicht zu Beginn zu verschrecken), in Berlin macht man die Weirdos zu Openers. Aus unerfindlichen Gründen führt das aber zu einer (Schlag-?)Zeile in einer Kritik, als Peaches für drei hintereinander folgende Boybands eröffnet. Peaches zitiert dies (womöglich aus dem Deutschen übersetzt) als »Grandma, you're scaring the children!«

Keine große Überraschung, dass das eine 33jährige nicht gerne hört. Mittlerweile könnte man Peaches durchaus als etwas exzentrisch auftretende Großmutter beschreiben (die Benutzung eines walkers, also einer Art Rollator ohne die Rollen, gehört zum festen Bühnenrepertoire), und der Umstand, dass das Publikum nicht vorrangig aus alten Nostalgie-Fans besteht, ist evident.

Da ich selbst als Schreiberling manches übertriebenes bonmot raushaue, mich aber über die Formulierungen anderer gern aufrege, will ich noch mal zum »Festival-Presseheft« greifen, das zwar schon davon berichtet, dass Teaches of Peaches im Berlinale-Panorama mit dem Teddy für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, aber durch die seltsame Titulierung so wirkt, als stünden noch reichlich Filmfestivals im deutschsprachigen Raum an, obwohl der Film drei Monate nach seiner Premiere bereits einen regulären Kinostart hat.

Meine Erklärung dazu ist, dass man vermutlich das alte Presseheft nahm und geringfügig erweiterte. Dann aber irgendwie entschied, dass »Festival« irgendwie besonders klingt. Auch besonders fiel mir auf, dass man im Presseheft Peaches als »sexpositive Feministin« bezeichnet.

Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass es für mich weniges gibt, was ich uninteressanter finde, als hochaktuelle Sprachgebrauche, die sich zum Teil im Monatsrhythmus ändern, zu verfolgen. Es ist denkbar, dass man in bestimmten Kreisen den Begriff »sexpositiven Feminismus« benutzt, aber für meine Mentalität wirkt das reichlich platt, als müsse man Feminist:innen in das 1970er-Klischee der prüden Intellektuellen und eben sexuell aktive SpaßfanatikerInnen unterscheiden. Meines Erachtens (und die Ausführungen von Black Cracker im Film unterstreichen dies) ist es doch aber so, dass es nicht nur eine Auszeichnung für Feministinnen sein sollte (sondern plain humanistisch ist), dass jede Person unabhängig von irgendwelchen Anschauungen, die sie mitunter vertritt, beim Sex jederzeit selbst entscheiden dürfen sollte, ob man gerade (auch bedingt durch Stimmung, Zeit oder Begleitung) Lust auf Sex hat oder eher net so. Nur, weil man mit einem Hit wie »Fuck the Pain Away« bekannt wurde, heißt ja nicht, dass ... was auch immer. Wer mal irgendwann eine Single namens »Like a Virgin« oder »Ein bisschen Frieden« rausgehauen hat, wird ja auch nicht auf Jahrzehnte festgenagelt.

Teaches of Peaches (Philipp Nussenegger)

© Avanti Media Fiction

Schön auch, wie Peaches beschreibt, wie der Text zu »Fuck the Pain Away« entstand oder wie sie ihren Bühnennamen auswählte. Das werde ich hier nicht nacherzählen, kann man sich ja selbst im Film anschauen (oder vermutlich an 23 Stellen im Internet finden). Mein etwas fahriger Text kann leider nicht jeder facette des Films gerecht werden, etwa wenn Peaches ihre vielfältigen Erfahrungen mit der Groovebox Roland MC-505 beschreibt oder einer Mitwirkenden ihrer Bühnenshow genauestens erklärt, wie sie das Publikum leiten soll. (Schaut euch nach dem Film den Live-Auftritt zu »Rockshow« in Boston auf youtube an, großartiges Bonusmaterial!)

Ein Prinzip des Film übernehme ich mit in meine Kritik: Man darf nicht alles verraten. Der Film lässt noch viel Platz, dass man auf der wirklichen Tour noch viel entdecken kann (wenn man eine Zeitmaschine zur Verfügung hat) und so will ich es auch mit denen halten, die diese Kritik lesen und noch entscheiden müssen, ob sie zum Film wollen. Glaubt mir, da ist noch viel zu entdecken, für alte Fans ebenso für Neulinge oder sogar Leute, denen es gar nicht so um die Musik geht.