Piece by Piece
(Morgan Neville)
Originaltitel: Piece by Piece, USA / Dänemark 2024, Animationsregie: Howard E. Baker, Buch: Morgan Neville, Jason Zeldes, Aaron Wickenden, Oscar Vazquez, Kamera: Don Burgess, Schnitt: Aaron Wickenden, Oscar Vazquez, Jason Zeldes, Musik: Michael Andrews, Songs: Pharrell Williams und andere, Art Direction: Venkataramanan K, mit den Originalstimmen von Pharrell Williams, Morgan Neville, Gwen Stefani, Missy Elliott, Justin Timberlake, Kendrick Lamar, Jay-Z, Snoop Dogg, Busta Rhymes, Timbaland, N.O.R.E., Daft Punk, ItzKiff, Pusher T, Aaron Wickenden & Taes2008 (Themselves), [Nicht sicher als Sprecher bestätigt, aber Protagonisten im Film: Chad Hugo, Shae Haley Teddy Riley, Helen Williams], 93 Min., Kinostart: 23. Januar 2025
Ich bin dafür bekannt, dass ich an Dokumentarfilme in einer Weise herangehe, die vielen Menschen seltsam erscheint. So entscheide ich über ihre Qualität nicht aufgrund der Aussage des Films (z.B. »Warum die Erde dem Untergang geweiht ist und worin die letzten Chancen der Menschheit bestehen, noch etwas zu retten?«) sondern an der filmischen Umsetzung. Das Thema kann lapidar sein, aber wenn die Filmemacher das Medium kongenial benutzen, um etwa Ideen zu visualisieren, oder durch cleveren Schnitt aus unterschiedlichem vorgefundenen Material eine ansprechende Narration zaubern, dann bin ich zufrieden.
Ein heutzutage häufig in Dokumentarfilmen benutztes Mittel ist die Animation von Fotomaterial. Ein vor Jahrzehnten verstorbener Mann, der in Tel Aviv einen Hutsalon eröffnete, steht auf einem Foto unter einem Baum, und die Filmemacher haben entschieden, dass das Foto allein (trotz möglicher Schwenks oder eines Zooms) nicht »interessant« genug für ihr Publikum ist. Also lässt man jemanden den Schatten des Baums so animieren, dass das Blattwerk des Baums im Wind bewegte Schatten auf das Gesicht des Hutmachers zaubert. Gerade in Zeiten von per KI generierten Bildern wirke ich mit meiner Ansicht, dass man auf diese Weise das Quellenmaterial verfälscht nicht mehr nur Old School, sondern altbacken, rückständig oder was weiß ich (ich bin nicht die beste Person, wenn es darum geht, mich selbst bloßzustellen und zu beleidigen).
Angesichts dieses Vorwissens über meine Vorlieben könnte meine Meinung zu dieser Dokumentation über den Musiker und Produzenten Pharrell Williams etwas kontrovers wirken, denn in Sachen »Verfälschung des Originalmaterials« werden hier schon neue Register eröffnet.
Courtesy of Focus Features © 2024 Focus Features LLC
Zu Beginn des Films begibt sich die Hauptfigur des Films in den langen Gängen eines Filmstudios zum potentiellen Regisseurs der Doku über ihn, und offenbart ihm eine Idee, wie er sich den Film vorstellt (er hat sogar Argumente dafür, die im Verlauf des Films überzeugend eingearbeitet werden). Warum nicht einen Lego-Film daraus machen?
Statt jetzt die Reaktion des Regisseurs zu beschreiben, möchte ich lieber betonen, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits von dem Film verzaubert war. Nicht, weil ich ein Riesen-Lego-Fan bin, sondern weil die Szene, wie sich Pharrell zu Morgan Neville (übrigens ein vielfach bewährter Dokumentarfilmer, der schon Oscar, Grammy und Emmy auf seinem Kaminsims stehen hat) bewegt, bereits mit Lego umgesetzt wird. Und zwar in typischer Dokumentarfilm-Herangehensweise: der Protagonist bewegt sich durch seine Welt (der Sportler betritt die Umkleide, der Museumsdirektor die geheimen Katakomben), und ein Kamerateam folgt ihm, man sieht jeweils den Rücken der Hauptfigur und halt die Welt, die er durchstreitet.
In den fiktiven Filmen der belgischen Brüder Dardenne benutzt man diese Taktik auch gern, aber jetzt müsst ihr euch halt (am besten auf einer großen Leinwand) den Rücken einer Legofigur vorstellen, die durch eine Legowelt schreitet. Die Bilder wirken abgehackt, die Hintergründe sind je nach Fokustalent an der Kamera mal unscharf oder nur angerissen, kurzum: der Legofilm hat noch nicht richtig begonnen, da treffen schon sehr unterschiedliche Welten (und Inszenierungsprinzipien) aufeinander.
Courtesy of Focus Features © 2024 Focus Features LLC
Im Verlauf des Films wird es alte Videoclips in suboptimaler Materialqualität, home videos, ja sogar ein abgedudeltes altes Kassetten-Interview geben - aber halt jeweils im Legostil nachgefilmt. Es gab ja schon Zeichentrickfilme, die Dokus entsprechen sollten, aber ein Legofilm, um eine Musikerkarriere in Interviews seiner WegbegleiterInnen nachzuerzählen, ist schon das Nonplusultra an Absurdität.
(Ja, ich habe mir das durch den Kopf gehen lassen, selbst Claymotion oder ein Scherenschnittfilm hätten hier noch relativ n o r m a l gewirkt.)
Und dass ich beim Abfassen der ersten Hälfte dieses Textes noch nicht wusste, dass Better Man mit einem Motion-Capture-Primaten als Stellvertreter eines anderen weltweit bekannten Musikers mit Nachnamen Williams eine ähnlich spektakuläre Art ist, ein Musiker-Biopic zu visualisieren, ändert meine Meinung auch nicht.
Im Verlauf des Films erfährt man auch viel über Williams' überdimensioniertes Ego (zum Teil, aber nicht immer ironisiert), und man könnte ein Prinzip des Films auch so zusammenfassen:
»If you dress your ego in Lego, you won't look so arrogant and self-obsessed, but colorful and cute. Even in your quirky pecularities.«
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Ich könnte übrigens auch negativ anmerken, dass es mehrere Punkte in Piece by Piece gibt, an denen man die ganze Dokumentar-Prämisse in Frage stellen kann, und Teile sogar als fiktiv darstellen. Beziehungsweise als im Nachhinein hübsch zurechtdrapiert, so dass gewisse Widersprüche so übergebügelt werden, dass sich zumindest ein Großteil des Publikums nicht weiter darum schert.
Ich nehme diese »Unebenheiten« wahr, aber finde die Idee, wie man hier die Geschichte umsetzt, einfach gelungen genug, um darüber hinwegzusehen. Purismus ist eine tolle Lebenseinstellung, aber man sollte sich davon nichts kaputt machen lassen, wenn man hinreichend Spaß trotz ein paar Regelverstößen verspüren kann.
Stattdessen werde ich ein paar Punkte ansprechen, bei denen gerade das Lego-Movie als dezidiert gewähltes Vehikel der Musikergeschichte Aspekte hinzufügt, die auf andere Arten vermutlich verloren gegangen wären.
So ein Lego-Movie ist natürlich auch ein Spaß-Aspekt (genau wie eine Bühnenshow, die im Grunde die Gorillaz zum Realfilm machen), aber bei allem Spaß geht es auch um ernste Themen und eine gewisse Authentizität oder Ehrlichkeit beim Umgang mit der Musikergeschichte, die (nicht aus den Augen verlieren) natürlich im Kern vom Musiker als Co-Produzenten selbst erzählt wird.
Gleich zu Beginn der Lego-Geschichte erklärt Williams zum Beispiel:
»My obsession with water triggers something in me.«
Entsprechend wird nach einem bunten Unterwasser-Intro kurz umrissen, von wo Williams stammt: »I'm from Virginia Beach. The Beach was less than a mile from Atlantis.« Womit nicht das mythische Königreich von Aquaman gemeint ist, sondern die »Atlantis Apartments«, eine durch diese Alliteration aufgewertete Wohngegend, die nicht wirklich luxoriös wirkt.
Der junge Pharrell lebte wohl in einer gewissen Fantasiewelt, die auch den erwachsenen Musiker nicht ganz verlassen hat. Und so trägt sein junges »alter lego« (ich hatte Latein in der Schule und trieb mich in den Neunzigern öfters in Dänemark herum) zum Beispiel ein Goldfischglas (mit Fisch) über dem Kopf und bewegt sich wie ein Astronaut sich die Nachbarschaft, während der heutige Williams aus dem Off erklärt, dass in Virginia Beach »all people were creative or cool«. Das allein ist schon ein genialer twist, aber wenn der Lego-Astronaut dann auch noch zum vulkanischen Gruß greift (Kenner von Lego-Filmen wissen um das Problem so etwas zu visualisieren), dann gibt es so viele ironische Brechungen auf so vielen Metaebenen, dass man sich als Zuschauer gerne fallen lässt und alles einfach genießt.
»I was mesmerized by music. I was seeing colors.«
Auch bei diesem Williams-Zitat kann man entscheiden, wie wichtig die blumige Metapher ist, ob es mehr um die existente synästhetische Besonderheit geht - und während man darüber nachschaut, lernt man auch schon eine der besten visuellen Umsetzungen des Films kennen, denn Pharrell Williams und Chad Hugo, sein Mitstreiter in jungen Jahren, kreieren gewisse musikalische Kleinstteilchen, die umgesetzt werden wie die Kombination weniger Lego-Bausteine, enhanced durch gewisse Lichteffekte (die man durchaus auch mit Legosteinen ähnlich umsetzen kann, nur dass die sich dann halt nicht bewegen wie ein 2x2-Rubik-Cube mit epileptischem Anfall.
Diese Visualisierung eines musikalischen Grundprinzips im Werk von Williams hätte man auch außerhalb eines Lego-Films ähnlich umsetzen können, aber dadurch, dass dieser kleine Kniff halt 100 Prozent zum Rest des Films passt, ist es einfach so viel stimmiger als alles, was man sonst hätte machen können.
Courtesy of Focus Features © 2024 Focus Features LLC
Ich will gar nicht so tun, als kenne ich mich besonders aus in der Bio- und Discographie von Pharrell Williams, aber auch ohne Vorwissen kann man sich an dem Film sehr erfreuen (mit Hintergrundwissen vermutlich noch weitaus mehr!). Die kreativen Elemente, die vielen kleinen Gags (wenn Snoop Dogg auftaucht, wird »PG Spray« versprüht, ein kindgerechter Rauch, der für erwachsene Zuschauer einen klar definierten Teil im Leben des Retters darstellt), das Spiel mit dem Doku-Genre...
Es gibt sogar emotionale Passagen, wenn es um Pharrells verstorbene Großmutter oder seine erstmalig zu einem Interview bereite Lebenspartnerin geht.
Nach dem Film war ich durchaus daran interessiert, mir den Soundtrack zu besorgen, denn trotz einer weitreichenden Weigerung, mich mit Mainstream-Musik des neuen Jahrtausends (besonders Rap) intensiv zu befassen, kannte ich Hits wie Get Lucky, Happy, Blurred Lines, Hot in Herre, Hollaback Girl, Tubthumping oder Drop it like it's Hot irgendwie doch. Und für andere Zuschauer kommen da noch etliche dazu...
Courtesy of Focus Features © 2024 Focus Features LLC
Zum Abschluss noch ein Detail, das mal wieder außer mich selbst keinen interessieren wird. Als old school-Kinofan gehört für mich bei einem Kinobesuch natürlich dazu, auch den Abspann aufmerksam zu würdigen (und das nicht nur, wenn irgendwelche Bonus-Filmschnipsel zu erwarten sind). Hier war ich sehr positiv überrascht, als ich als Assistant Art Director den Namen von Bjarne Hansen lesen konnte, eines skandinavischen Künstlers, den ich aus seinem früheren Leben als Comic-Kolorist (Superman: A Man for all Seasons) kenne. Von dem hatte ich auch zwei Jahrzehnte nichts mehr gehört...