Earthworm Jim 3D
Es ist geschafft, vollbracht, vollendet: Ich habe den Endgegner
von „Earthworm Jim 3D“ besiegt, heissa! Nun kann ich
wieder friedvoll wie ein unschuldiges Kind schlafen, tief und
fest, zumindest diese Alpträume sind ein für alle mal
überwunden! Letztere Feststellung ist natürlich nicht
nur literarisch übertrieben, sie ist gleichfalls auch faktisch
falsch, denn wie wir alten Freudianer wissen, träumt man
nie von bevorstehenden, sondern bloß von bereits erfolgreich
bestandenen Prüfungen. Derart habe ich beispielsweise während
meines Studiums lange Zeit davon geträumt, daß an
meiner Hochschule entdeckt wird, daß ich noch gar nicht
das Abitur abgelegt habe, weshalb ich gezwungenermaßen
nun noch einmal die Schulbank drücken muß. Diese „Ehrenrunde"
war aber alles andere als ein Zuckerschlecken im Pfeifferschen
Sinne, nein, ganz im Gegenteil, während des Schuljahres
zeichnete sich sogar eindeutig ab, daß ich schon wieder
nicht die geforderten Leistungen erbringen und also erneut durch
mein Abitur fliegen werde. Das wiederum bedeutete, daß
ich auch nicht länger studieren durfte und mit Schimpf und
Schande von der Universität gejagt werden würde und
mir also schleunigst eine andere Betätigung - eine eigentliche
Arbeit - suchen muß, einen Brotjob! Und Brotjobs ohne Perspektive
heißen „deadend jobs", sind scheiße und
enden erst mit dem Tod. Man kann sich sicher leicht ausmalen,
wie glücklich und beschwingt ich jedes Mal war, als ich
nach dem Wachwerden am anderen Morgen realisierte, daß
mein Abitur längst in trockenen Tüchern lag, yeah!
Ja, das Hirn ist ein seltsamer und häufig auch gefährlicher
Ort, das weiß auch der arme Erdenwurm Jim, dessen Geschicke
man in dem furiosen Nintendo 64-Spiel "Earth Worm Jim 3D"
lenken darf. Diejenigen, die schon eine Super-Nintendo-Konsole
besaßen, werden die bizarren SNES-"jump`n`run"-Spiele
„Earthworm Jim“ und „Earthworm Jim 2“ noch
in allerbester Erinnerung haben, zwei Klassiker, die so einfallsreich
und abstrus wie sonst kaum ein anderes Nintendo-Spiel waren.
Demzufolge war die Erwartungshaltung der Fans (mich eingeschlossen)
auch außerordentlich hoch, und vielleicht hat sie mit dazubeigetragen,
daß der Erscheinungstermin der N-64-Neuauflage immer wieder
weiter und weiter hinausgeschoben wurde. So lange, daß,
als das Spiel endlich erschien, kaum jemand Notiz davon nahm
und selbst die Fachpresse über dieses fulminante Ereignis
fast geschlossen hinwegsah.
Und das ist wahrlich bedauerlich, denn das Spiel ist ein echtes
Meisterwerk, und bietet ein Feuerwerk ulkigster Ideen, hanebüchenster
Einfälle und merkwürdigster Geistesschöpfungen.
Wie bei den Vorgängern müssen wir erneut mit Jim hinabsteigen
in die schlimmsten und grausamsten Regionen seines Unterbewußtseins,
müssen fallenden Kühen ausweichen, Kampfrinder halbieren,
mit Disco-Zombies tanzen und den König des Rock höchstpersönlich
vor einem Schicksal als Hamburger retten. Wow, das Spiel ist
wirklich großartig, graphisch glänzend umgesetzt und
zudem klar strukturiert. In vier Leveln (Gedanken/Glücklichkeit/Furcht/Fantasie)
mit insgesamt acht Unterleveln und vier kniffeligen Endgegnern
gibt es allerhand zu erleben, und jede neue Tür, die sich
öffnet, jeder Schritt, der einen voranbringt, wird belohnt
mit einer neuen phantasiereichen und originellen Welt, deren
Betreten einem den Atem stocken läßt.
Aber es ist gar nicht so einfach, die vielen Aufgaben zu lösen
und voranzukommen, und das ist das große und einzige Manko
bei „Earthworm Jim 3D“ - und leider auch bei vielen
anderen neuen Spielen. Bei „Banjo Kazooie", dem in
meinen Augen umfangreichsten und besten „jump`n`run"-Spiel
auf dem Nintendo 64, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl,
daß der unglaublich hohe Schwierigkeitsgrad die Spielfreude
enorm hemmt, ja sogar stark herabsetzt. Bei „Banjo Kazooie"
gab es etwa Passagen, die einen wirklich zur Verzweiflung treiben
konnten, ich denke hier an den Drahtseilakt auf der Friedhofsmauer
als verzauberte kleiner Ball. Bei „Earthworm Jim 3D"
gibt es mindestens ebenso anspruchsvolle Partien, etwa wenn man
sich in schwindelerregender Höhe mit einem Raketenantrieb
von einem schmalen Stahlträger zum anderen hochschießen
muß. Nach zwei erfolglosen Stunden möchte man den
Controller am liebsten in den Kamin oder aus dem Fenster werfen,
verdammt.
Eine andere Unsitte ist der übertriebene Sammelwahn,
dem man permanent ausgesetzt ist und den man gleichfals schon
bei „Banjo Kazooie“ beobachten konnte. In dem „Earthworm
Jim 3D"-Spiel sind insgesamt 74 Euter und 1000 Murmeln versteckt,
und um den Endgegner zu erreichen muß man tatsächlich
alle 74 Euter und zudem 950 Murmeln finden. Wie wünscht
man sich da doch die seligen Zeiten von „Mario 64"
zurück, in denen man noch einen Endgegner besichtigen konnte,
ohne alle Level ausgespielt zu haben? Die Programmierer und Spieldesigner
sind jedenfalls auf dem Holzweg, wenn sie meinen, daß man
mit der maßlosen Erhöhung des Schwierigkeitsgrades
ein Spiel wirklich attraktiver macht. Vielmehr führt es
dazu, daß man dieses bloß einmal und dann nie wieder
spielt. Ich jedenfalls werde „Earthworm Jim 3D“ sicherlich
kein zweites Mal anrühren, die letzten Herausforderungen
waren dafür einfach zu gewaltig. Und das ist andererseits
sehr, sehr schade! Natürlich können sich die besessenen
Komplettisten ruhig an ein paar Stellen die Zähne ausbeißen,
(um etwa die sagenumwobenen 103 Prozent des SNES-Donkey Kong
3-Spiels zu erreichen,) aber die Meßlatte naturgemäß
so hoch zu legen, ist schlechthin Irrsinn. Es macht einfach keinen
Spaß ein Level zum soundsovielten Male durchspielen zu
müssen, nur weil einem 2 Melonen fehlen!
Trotzdem ist „Earthworm Jim 3D“ ein tolles und wunderschönes
Spiel. Nun gut, es ist nicht so komplex wie das bereits erwähnte
„Banjo Kazooie“ oder etwa „Donkey Kong 64",
aber in punkto Phantasie und Einfallsreichtum kann es mit beiden
locker mithalten - und es übertrifft sie stellenweise sogar.
Um so erstaunlicher ist es, daß „Earthworm Jim 3D"
in der Fachpresse so stiefmütterlich vernachlässigt
und als „B-Spiel“ abklassifiziert wurde. Das ist besonders
deshalb ärgerlich, weil es so keine deutschsprachige Komplettlösung
gibt, auf die man aber zwangsläufig hin und wieder zurückgreifen
sollte. Beispielsweise habe ich nicht bemerkt, daß in einem
Unterlevel der Zugang zu einem weiteren Unterlevel versteckt
ist ("Tod bereitet sich vor“ zu „Boogie Nights
der lebenden Toten"). Nun ja, ich bin kein Freund von Komplettlösungen,
aber bei „Earthworm Jim 3D“ ist sie meines Erachtens
dringend notwendig. Auf einer amerikanischen Page habe ich nach
langer Suche immerhin eine englischsprachige gefunden
P.S. Übrigens habe ich bislang bei jedem „jump`n`run"-Spiel,
dass ich angefangen habe, auch die Endgegner besiegt: alle von
Mario (NES+SNES+N64), Donkey Kong (selbst die schier unüberwindbaren
der drei SNES-Spiele) etc. pp. - ja bis hin zu „Diddy Kong
Racing". Allein einer fehlt mir! Bei „Banja Kazooie"
hatte ich nach qualvollen Mühen endlich das Finale erreicht
und bin dabei regelmäßig kläglich gescheitert.
Bis ich schließlich den Tip mit den goldenen Federn las,
das war dann ja nur noch ein Kinderspiel. Als ich mein Spiel
aber daraufhin lud, drückte ich zweimal unkonzentriert auf
den falschen Knopf und -schwupps- schon war mein Spielstand gelöscht.
S …, und das nach all den Strapazen. Ich habe mich gehaßt,
das Spiel gehaßt, die ganze Welt verabscheut. Solch ein
Erlebnis nennt Sigmund Freud und mit ihm Earthworm Jim wohl traumatisch!