VON DER LUST AM SCHEITERN
Ein Erfahrungsbericht von Jörn Luther
Ich möchte es allen Fußballhassern bestätigen:
Die Liebe zu diesem Sport ist hochgradig idiotisch.
Am 29. Juli trat zum Beginn der Drittligasaison 2000/2001 im Stadion An der Alten Försterei der 1. FC Union Berlin gegen den VfB Lübeck an. Es war ein schreckliches Spiel: Die beiden Mannschaften stümperten aufs Grässlichste vor sich hin, in der zweiten Halbzeit fing es auch noch an zu regnen. Ich fragte mich, wie schon einige Male zuvor: Warum bin ich hier? Warum tue ich mir das an? und versuchte, mich vom Spiel abzulenken, indem ich die Fans im Gästeblock zu zählen begann. Ich war noch nicht ganz fertig, als Steffen Menze das Siegtor für Union erzielte - übrigens durch einen unberechtigterweise gegebenen Freistoß. Naja, immerhin gewonnen. Aber sonst?
In einem Artikel über den 1. FC Union Berlin, den ich kürzlich las, wurde der Romancier Javier Marias zitiert. Marias sagte demnach, „dass bei einem Fan während der Betrach-tung eines Spiels völlig kindliche Züge zutage treten: Furcht, Unruhe, Freude, Scham, Wut, Tränen. Manche Menschen lassen bei all ihren Aktivitäten nie das Kind in ihnen zum Vorschein kommen, beim Fußball dagegen lassen sie ihren kindlichen Reaktionen bedenkenlos freien Lauf“. Das Bemerkens-werteste an Marias' Beobachtung ist, dass in seiner Aufzählung der Fan-Gefühle die negativen über-wiegen: Er benennt sechs Affekte, von denen einzig die Freude als ein positives Gefühl zu bezeichnen ist (als ein halbwegs positiv besetztes Gefühl kann man vielleicht noch die Tränen bewerten, wenn man in ihnen die Tränen der Freude sieht).
Der Fußballfan muss ein Masochist sein. In einer Saison, in der achtzehn Mann-schaften gegeneinander spielen, um den Besten zu ermitteln, kann rein numerisch nur ein Achtzehntel der Fans wirklich zufrieden gestellt werden: nämlich die Meisterfans (selbst wenn man in Rechnung stellt, dass der Meister mehr Fans als die anderen Vereine anzieht, ist das Missverhältnis zwischen Fans des Meisterclubs und denen der anderen Clubs eklatant: Dem letztjährigen Bundesliga-Meister Bayern München jubelte nicht einmal ein Zehntel aller Bundesliga-Zuschauer zu). Die Fans des Siegers sind glücklich, der Rest ist alles andere als das: Die Fans des Zweitplatzierten grämen sich, dass ihre Elf nicht Erster geworden ist (schon diese Bezeichnung: „Fans des Zweit-platzierten“ - das klingt nicht nur lächerlich, sondern geradezu beleidigend). Die Fans der Vereine, die im Mittelfeld der Tabelle gelandet sind, müssen sich eingestehen, dass ihr Club offensichtlich zu Höherem nicht geboren ist und außer Langeweile nur wenig zu bieten hat. Und die Freude der Fans von Mannschaften, die noch im letzten Moment dem Abstieg entrinnen konnten, hat mindestens einen bitteren Beigeschmack: Nach einer Saison, in der es eine Niederlage nach der anderen setzte, ist es die Freude, gerade noch einmal das Schlimmste abgewendet zu haben. Der Masochismus der Fans von Absteigern ist offensichtlich. Das Ausmaß dieser Selbstquälerei ist fast schon epidemisch zu nennen: In der letzten Bundesliga-Saison besuchten durchschnitt-lich immerhin 21.462 Masochisten die Heimspiele des Absteigers SSV Ulm 1846.
Die Masochisten, die die Spiele des 1. FC Union besuchen, sind nicht so zahlreich; mit fast 4.000 Zuschauern erreichte der Club im vorigen Jahr jedoch eine immer noch - zumal für einen Drittligaverein - recht beachtliche Zahl. Diese Hartgesottenen müssen bei Union einiges durchstehen. Denn bei Union ist alles noch schlimmer: Sie werden sicherer Meister der Regionalliga und scheitern dann in der Relegation zur Zweiten Liga, und das nicht einmal klar, sondern (das fürchterlichste für einen Fan) knapp.
Im März diesen Jahres wurde meinem Schriftstellerkollegen Frank Willmann und mir vom BasisDruck Verlag angetragen, ein Buch über den 1. FC Union Berlin zu schreiben. Der Verlag hätte kaum eine bessere Wahl treffen können: Willmann und ich hatten zuvor schon das eine oder andere Buch zusammen geschrieben (ich nenne hier nur den Bestseller „über dem kaukasus lag dein blauer“), zudem verband uns eine gemeinsame, hoffnungslose Liebe zu einem Fußballverein namens BSG Motor Weimar. Willmann war Stürmer der glorreichen, aber wenig sieggewohnten BSG, während ich mich als Motor-Fan zu gerieren versuchte (schon damals nur bedingt erfolgreich). Uns beiden scheint das Mal des Mitgefühls mit den Verlierern auf die Stirn gebrannt zu sein: Folgerichtig erwählte BasisDruck uns, die Chronik eines ewig scheiternden Vereins zu schreiben. Wir wurden - auch folgerichtig - Fans des 1. FC Union.
Im Vorwort zu unserem Buch suchten wir die Stellung des Vereins zu verorten: „Die Herzen der Ostberliner Fußballfans braucht der 1. FC Union Berlin nicht erst zu erobern. Er besitzt bei ihnen praktisch ein Erbrecht auf Sympathie, und das, obwohl er in seiner wechselvollen Geschichte viele Tiefschläge hinnehmen musste und ihm bis heute eher das Image eines Underdogs, eines Loosers anhaftet.“ Zu DDR-Zeiten wurde der Club benachteiligt gegenüber dem von Stasi-Chef Mielke protegierten BFC Dynamo, der die besten Spieler zugeteilt bekam und von den Schiedsrichtern nachhaltige Unterstützung erhielt. Daraus ergab sich eine Situation, die die Leidensfähigkeit der Union-Fans ein ums andere Mal auf die Probe stellte. Uwe Schilling, einer der Masochisten von damals, sagte über die 80er Jahre: „Ich kann mich an wenige Spiele erinnern, die gewonnen wurden. Es waren meistens grotten-schlechte Spiele, Union war fast immer schlecht, wenn es überhaupt mal ein Unentschieden gab, dann war das schon fast wie ein Sieg für uns.“ Trotzdem kamen mehr Zuschauer zu Union als zum Dauermeister BFC.
Den Ruf einer Loosertruppe wurde der Verein auch nach der Wende nicht los. Befand sich Union bis dahin im ständigen Auf und Ab zwischen erster und zweiter Liga, versagte die Mannschaft nach der Wiedervereinigung in den entscheidenden Spielen um die Zweitliga-Qualifikation. Danach bewegte sich der Club in den Niederungen der Dritt-klassigkeit, ständig begleitet vom drohenden Konkurs, von Skandalen, Lizenzverweigerungen. Diverse Glücksritter stellten sich ein, die immer das Beste für „Eisern Union“ wollten, sich gerne das Beste nahmen und den Club fast ins Aus manövriert hätten. Wieder und wieder wurde der Einzug in die Zweite Liga verpasst: Hatte man endlich einmal die sportliche Qualifikation geschafft, fehlten Unterlagen, ungefälschte Bürgschaften, schlicht die finanziellen Grundlagen für den Erhalt der Lizenz. In Anbetracht dieses fortwährenden Scheiterns gaben einige Fans ihrem Verein gar den makabren Beinamen „Die Unaufsteigbaren“.
Ende der 90er Jahre kam es zur wirtschaftlichen Konsolidierung Unions durch den Einstieg der Kinowelt AG. Das ersehnte Ziel schien in der Saison 1999/2000 greifbar nah: Im zehnten Anlauf glaubte man, den Sprung in die Zweite Liga schaffen zu können. Doch der Aufstieg wurde abermals verspielt, die Mannschaft scheiterte in der Relegation an Osnabrück und Ahlen.
Eine der wenigen Niederlagen in dieser Saison erlitt Union in Dresden: Die Mannschaft verlor das Spiel gegen den 1. FC Dynamo 0:3. Nach dem dritten Tor der Dresdner kam Stimmung in den Union-Fanblock. Hatte man vorher versucht, die Mannschaft nach vorn zu treiben, wurden nunmehr „Scheißegal, scheißegal“-Gesänge laut. Es ist bezeichnend: Anderswo werden die Kicker ob ihrer schlechten Leistungen ausgepfiffen, die Unioner feiern den Verlierer.
Zu den Aufgaben, die wir uns vor der Niederschrift des Buches stellten, gehörte zu allererst die, zu ergründen, woher die Sympathie der Fans für einen Fußballclub rührt, der regelmäßig, wenn es darauf ankommt, verliert. Eine Sympathie, die noch dazu jahrzehntelang aufrecht erhalten wird. Union-Fan Crille gab darauf folgende Antwort: „Man kam sich oft beschissen vor. Das war dieses Union-Gefühl, man ist hingegangen, man hat verloren, man hat oft verloren, aber man hat trotzdem Spaß gehabt. Man war es ja nicht anders gewohnt: Das ist eben Union. So hat man sich das beantwortet.“
Crille ist seit fast 20 Jahren Union-Fan, ich musste mir nach nicht einmal drei Monaten eingestehen, dass ich es wohl nie zum „richtigen“ Unioner bringen würde. das Überwiegen der negativen Aspekte im Gefühlsleben eines Fußballanhängers ist der Grund, weshalb ich nie zum „wirklichen“ Fan eines Fußballvereins werden kann. Das Scheitern Unions in der Relegation gegen den VfL Osnabrück hatte zur Folge, dass ich mehrere Stunden in einem der anrüchigsten Lokale Berlins ohnmächtig, niedergeschmettert von der Wucht des zu mir genommen Alkohols, darniederlag. Die SMH wurde gerufen, man beschied, dass ich dem Tode wohl gerade noch einmal entronnen sei. Ich verordnete mir daraufhin eine Trockenphase als Trinker wie als Fan: Die nächsten Monate verbrachte ich ohne Alkohol und Union.
Im Enstehungsprozess des Buches wurde uns immer deutlicher, wie leidensfähig Union-Fans sind. Oskar Kosche, langjähriger Torwart der Unioner, sagte: „Die Fans sind unglaublich treu, gerade dann, wenn es besonders schlecht läuft. Um so schlechter es Union geht, um so fanatischer werden die Fans.“ Das ist eine Fähigkeit, über die wir beide nicht verfügen. Unsere Hochachtung vor einer solchen Eigenschaft wuchs, je mehr wir mit ihr konfrontiert wurden; deshalb - aber nicht nur deshalb - haben wir unser Buch den Fans gewidmet. Liebedienerisch gaben wir dem Werk auch noch einen Titel, der eigentlich ein Fanspruch ist: „Und niemals vergessen - Eisern Union“. Das ist eine Huldigung, eine Hommage, eine Vergötterung: Darum nochmal zum Mitsprechen für alle: UND NIEMALS VERGESSEN - EISERN UNION.
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