Konferenzschaltung in der "Laterne"
Einen positiven Aspekt hat die Einführung von Pay-TV auf jeden Fall - dadurch, dass Liveübertragungen von nicht wenigen Fußballspielen nur noch im Bezahlfernsehen ausgestrahlt werden, kommt man wieder mehr unter Leute. Früher hockte man zu solchen Anlässen einsam in der heimischen Stube und schaute in die Röhre. Nunmehr muss man sich, so man sich Pay-TV nicht leisten will oder kann und trotzdem die eine oder andere Live-Partie erleben möchte, in ein Lokal mit "Premiere World"-Empfang bequemen; dahin, wo auch all die anderen Fußball-fanatiker mit dem begrenzten Budget herumlungern.
Die Schankwirtschaft meiner Wahl für dergleichen Ereignisse war zuletzt häufiger eine Eckkneipe in der Nähe des Arkonaplatzes in Mitte. Sie heißt "Zur Laterne". Dort kann man es sich zwischen Aberhunderten von Pokalen der Fußballfeierabend-truppe von SG Laterne und fröhlich aufquiekenden Daddel-automaten gemütlich machen, um sodann mit einem leckeren "Schultheiss" in der Hand und gestandenen Proletariern von hohem Fußballsachverstand an der Seite den Bildschirm-Kick zu verfolgen.
Als ich mich kürzlich auf den Weg in die "Laterne" machte, wusste ich nicht, welches Spiel mich erwarten würde. Es waren schließlich derer fünf - weil "Premiere World" sich entschieden hatte, den anstehenden Bundesligaspieltag in Form einer Konferenz-schaltung wiederzugeben.
In der Kneipe das Bild wie immer zu Gelegenheiten dieser Art: Diejenigen, die tatsächlich noch im proletarischen Lohnjob stehen, genehmigten sich ihre sechs, sieben Einschlafbierchen. Die anderen, die als "Arbeiter ohne Arbeit" firmieren, wackelten bedrohlich auf ihren Stühlen. Auf der Empore zwei Opas, die das Geschehen im Fernsehen - wie in der Muppets-Show - hämisch kommentierten. Der in Cottbus stationierte Reporter erklärte das 2:0 der Gastgeber gegen 1860 München damit, dass es wohl "ein Tick zu viel Ball" für den 60er Torhüter gewesen sei. "Der hat ja wohl `n Tick zu viel Scheiße im Kopp" kam die prompte Antwort von der Empore, gefolgt von höhnischem Gelächter.
Was nahm ich noch wahr? Ein laues 2:1 von Bayern München gegen den HSV, eine komische Niederlage der Mannschaft des "schrecklichen Menschen von Cottbus" gegen die Elf des "schrecklichen Menschen von Giesing", viel dummes Geseier der Mikrofonhalter und viel Rumgegurke - bei einer Konferenzschaltung sieht man ja fast immer die ödesten Momente eines Spiels zuzüglich nachgeschobener Tore. Aber was ich auch sah: in nicht einmal zwei Stunden 21 Tore und einen grandiosen 5:2-Sieg des FC Hansa Rostock, der glorreichen Kicker von der Ostseeküste, über Werder Bremen. Hansa, wie man sie noch nie erlebte: Die Rostocker schossen genau so viele Tore in einem Spiel, wie sie zuvor in sieben Heimspielen erzielt hatten! Und als Torschützen taten sich Männer hervor, die zuvor eher durch ihre notorische Erfolglosigkeit im Abschluss aufgefallen waren. Stürmer Baumgart traf nach 1899 Minuten erstmals wieder in der Bundesliga, bei Schröder und Yasser war es Jahre her, dass sie den Ball im Netz unterbringen konnten. Wunderbar!
Ab Mitte der zweiten Halbzeit konnte man dann auch kein Wort mehr von dem grässlichen Gesülze der Moderatoren verstehen, weil das Brummeln und Murmeln der Fußballfachmänner in der Kneipe stetig zunahm. Hansas Leistung wurde gebührend gelobt, Herthas Versagen ärgerlich zur Kenntnis genommen, Cottbus´ Niederlage bedauert, Bayerns Sieg benörgelt. Über das lächerliche 0:0 zwischen Köln und Dortmund sprach keiner.
Ich war zufrieden, kürte die gesamte Hansa-Mannschaft zu den Fußballgöttern des Tages und bestellte mir einen "Küstennebel".