Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Von der "geschenkten Stunde", einem hochkulturellen Happening zur Feier der Umstellung auf Winterzeit, versprach ich mir einen Abend mit lauter Berühmtheiten, über die ich mich dann mit meinem Sitznachbar lustig machen kann. Da ich durch glückliche Umstände (Danke nochmal) in Besitz von Freikarten gekommen war, konnte ja eigentlich kaum etwas schiefgehen, im schlimmsten Fall würden wir uns gehörig langweilen, weil wir nur einen Bruchteil der 40 Vortragenden kennen.
Doch dummerweise machte ich sogar Werbung für die Veranstaltung und freute mich auf einen gemeinsamen Abend mit dreien meiner besten Freunde. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen war es den Veranstaltern aber unmöglich, Gästen, die ihre Karten an der Kasse zurücklegen ließen und deutlich vor 19 Uhr am Veranstaltungsort ankamen, vor 21 uhr 30 (!) den Eintritt zu ermöglichen, wenn sie nicht zu jenen widerwärtigen Dränglern, Schummlern und Drückern zählen wollen, die stattdessen das Gebäude anfüllten. Und selbst, wenn man Karten besaß, kam man sich vor wie ein alter Klepper, der zur Schlachtbank getrieben wird, vorbei an irgendwelchen unterbezahlten Studenten, die mit auf Bauhelmen angebrachten Taschenlampen im Treppenhaus aus vermeintlichen Geheimtips der deutschen Literatur wie "Soloalbum" und "Crazy" vorlesen mußten.
Der Blick auf das Programm zeigte schnell, daß wir das Konzept der Veranstaltung
völlig fehlgedeutet hatten. Wer überhaupt zu den Glücklichen gehörte, die einen Sitzplatz ergattern konnten, durfte sich nicht etwa auf Literatur "am laufenden Band" freuen. Die Veranstaltungen waren auf nicht weniger als 10 Räume verteilt, selbst wer bereit war, einen Großteil des Abends mit Drängeln und Anstehen zu verbringen, würde höchstens sechs oder sieben Lesungen vollständig erleben, bei häufigem Standortwechsel wahrscheinlich meistens aus der letzten Reihe oder dem Nachbarraum, wo man schon auf den besten Plätzen oft nicht alles verstand.
Nach ausgiebiger Scheckung der Lage entscheiden wir uns dazu, uns einen Sitzplatz in jenem Raum zu besorgen, in dem im stündlichen Abstand Erkan & Stefan, Tom Tykwer und
Florian Illies auftreten würden, aber da Frederic Beigbeder ("39,90") und Virginie Despentes ("Baise-Moi") eh klammheimlich aus dem Programm gestrichen worden waren und man bei Mario Adorf und Klaus Wowereit allenfalls noch an die Ecke gedrückt oder auf dem Nachbarflur Platz fand, war das vielleicht nicht die schlechteste Lösung.
Erst am nächsten Tag, als ich das Programm auch mal bei ausreichender Beleuchtung studieren konnte, fiel mir auf, daß ich auch einer Hörspielversion von Paul Austers "Schlagschatten" hätte beiwohnen, abgesehen von Kari Hotakainen (Drehbuch zu "
Klassikko") und meinem satt.org-Kollegen
David Wagner der einzige Programmpunkt, den ich als "verpasst" bezeichnen würde.
Aber nun zu "My Space" in der 5. Etage, einer fernab von allen Sicherheitsbestimmungen schlecht belüfteten, im Verlauf des Abends immer heißer werdenden Todesfalle, aus der man nie herausgekommen wäre, wenn die japanische Tanzgesellschaft mal wieder zu sehr gesteppt hätte, eine Boeing einen Zwischenstopp gemacht hätte oder die Menschenmassen vor der Kasse vor Frust begonnen hätten, Molotov-Cocktails zu werfen.
Wir bekamen noch den Schluß von Bettina Brandl mit, aber nicht genug, um ein Urteil abgeben zu können. Bevor die Münchner Antwort auf Beavis und Butthead kam, wurden bereits Zeichenvorlagen mit Buntstiften verteilt, was aber weder zu Rückschlüsse auf die Darbietenden noch auf deren Einschätzung ihres Publikums Anreiz bieten sollte. Sowohl Erkan & Stefan als auch Florian Illies profitierten davon, daß meine Erwartung kaum geringer hätten sein können, wodurch dann auch der eine oder andere Lacher aus meiner Kehle vernommen werden durfte. Aber teilweise wunderte ich mich schon darüber, daß Vertreter der Prollszene und FAZ-Redakteure ähnlich flache Witze feilzubieten hatten. Und sogar die Feindbilder (wie Günther Grass) teilen.
Dazwischen kam aber Tom Tykwer, der einzige Programmpunkt, für den ich auch Geld bezahlt hätte. Leider war auch er nicht darauf vorbereitet, vor einer querelenden, wabenden Menschenmasse, die mitunter keinerlei Anstalten zeigte, einmal inne oder die Schnauze zu halten, seinen "relativ" anspruchsvollen (zumindest im Vergleich zu den anderen Darbietungen im Raum), filmtheoretischen Vortrag zu Gehör zu bringen. Und das Gespräch danach mit "Knut Elstermann" (einem Moderator, der sein Mikrophon weitaus weniger zu beherrschen wußte als der "Lola rennt"-Regisseur) litt sehr unter der fehlenden Konzentrationsgabe des Publikums, daß noch nach der dritten Erwähnung von Tykwer in der Post-Production befindlichem neuem Film "Heaven" (auf den unsereins seit einem Jahr gespannt ist) blöd gefragt wurde "Was für'n Film?"
Auch wenn ich Tykwer stundenlang lauschen könnte, hätte ich lieber meine Karten auf dem Schwarzmerkt verhökern sollen und mit meinen Bekannten das Geld in einer Kneipe versaufen sollen, was sicher ein kulturelleres Ereignis geworden wäre.