Das jeanstragende Land an sich
Eine Konferenz über amerikanische Kultur in der DDR vom 15.-18. Januar im Literaturforum
Im Schaufenster des Brecht-Hauses an der Chausseestraße leuchtete dieser Tage eine weiße Mickeymousehand auf knallrotem Grund. Sie drückt eine kräftige, gelbe Arbeiterhand - Bruderbund oder Würgegriff? Die farbenprächtige Doppelkarte lädt zur Konferenz "Jeans Rock und Vietnam, Amerikanische Kultur in der DDR" ein. An vier Abenden versuchte man sich im Literaturforum in der Klärung offener Fragen. Welche Amerikabilder existierten überhaupt in der DDR? Was trieb die Jugend um, warum trug sie Jeans, las Kerouac und tanzte Rock ´n´ roll im Stadtpark?
Nach dem zweiten Weltkrieg waren die US-Amerikaner als Siegermacht in Europa präsent. Mit ihnen kamen lucky strike, bubble gum, Coca Cola, Jazz und die Jeans. Das offizielle Amerikabild der DDR begründeten die aus dem Exil zurückgekehrten Antifaschisten. Das Feindbild Faschismus wurde gleitend auf die USA übertragen, die sich als "Bollwerk der Reaktion" manifestierte. Die DDR stellte sich an die vorderste Front im Kampf gegen "imperialistische Aggression und kulturelle Dekadenz", die von den USA ausging. Sie verpönte den Jazz, die Petticoats, Niethosen, Texashemden und Schuhe mit Kreppsohlen. An den Schulen fanden sogenannte "Schund- und Schmutzkontrollen" statt, bei denen Mickeymousehefte konfisziert wurden. Verbleib unklar. Die jüngere Generation sah jedoch in der amerikanischen Kultur eine Alternative zum Prozess der "Sowjetisierung" in ihrem Lande. Utz Riese spricht gar vom "Sehnsuchtsstern Amerika". John Reed, Upton Sinclair und Jack London wurden in den 60er Jahren in der DDR verlegt, andere Autoren trugen Westverwandte ins Land. Bei Jack London strich die Zensur lediglich Szenen "extremer Frömmelei" und "das Abknallen von Wilden".
Vom Kindergarten an geübt, galt die Solidarität der DDR- Jugendlichen den Indianern, den inhaftierten Demokraten und Ausgegrenzten der USA. Diese Faszination war problematisch, wie die Ethnologin Ina Merkel ausführt. Die Solidarität mit Angela Davis zum Beispiel entsprang nicht der Arbeitertradition, war zu effektvoll. In den 60er Jahren waren die Jugendlichen eher an Provokationen interessiert. In der Befürchtung, ihre Jugend sei genusssüchtig - und damit gefährdet, war sich die DDR seltsam einig mit der BRD und den USA. Ulbricht wetterte 1965 gegen die "monotonen westlichen Tänze" und richtete den mahnenden Zeigefinger symbolisch gen Texas, wo er den Ursprung alles Übles vermutete. Mit Abscheu und Faszination beobachtete auch das junge Fernsehen der DDR den amerikanischen "way of live". An Stalins Geburtstag 1952 begann das DFF seine Sendung. Schon die ersten Fernsehfilme thematisierten amerikanische Schauprozesse und den Abwurf der Atombomben. Filme wie "Joe Hill, der Mann, der niemals starb" und "Sacco und Vanzetti" dokumentierten die Ungerechtigkeit der US Justiz.
Doch der Siegeszug von Rock, Cola und Jeans ließ sich nicht aufhalten. 1964 hielt der Western Einzug ins Theater. Benno Besson ließ am DT den Lanzelot seiner "Drachen" Inszenierung als Westernhelden auftreten. Damit kritisierte er auf abstrakte Weise die amerikanische Kultur, aber vielmehr die "DDR - Leute, die sich demütigen und erniedrigen ließen" - so der Theaterwissenschaftler Joachim Fiebach. Mit dem Mauerbau 1961 entfiel eine wichtige Quelle der Anschauung amerikanischer Kultur und Lebensweise. Nun wurden verstärkt mediale Quellen genutzt. Amerikanische Serien wie "Bonanza" und in den achtziger Jahren "Dallas" wurden in breitem Maße konsumiert. Der Amerikanist Rainer Schnoor erinnert sich an Dienstagabende, an denen er nach 23.00 Uhr ganze Neubaugebiete gleichzeitig die Lichter löschen sah. Sendeschluss Dallas.
Auch das DDR - Design hatte transatlantische Vorbilder. Die Ikone der amerikanischen Kultur, die Coca Cola - konnte in den 50er Jahren in Europa Fuß fassen. In der DDR gab es bald verschämte Versuche des Plagiats, wie die aus heutiger Sicht unansehnliche "Brisant - Club Cola". Dem Ford Echsel der 50er Jahre entlehnten die Erfinder des Trabants die Haifischflosse und ließen sie an der
Pappe zum
Heringsschwanz mutieren, scherzt die Designerin Rita Böttcher. Ein Unikum des DDR Freizeitdesigns stellte die
Hollywoodschaukel dar, eine Kreuzung uramerikanischer Details - Hängematte und Schaukelstuhl.
Seit Einführung der Singleplatten und Ausbreitung der Kofferradios in der DDR, Ende der 60er Jahre, entstand ein systemimmanenter Dauerkonflikt. Jede Art spontaner Kulturäußerung entzog sich der Kontrolle und war damit inkompatibel. Musikexperte Peter Wicke erklärt den Stadtpark zum idealen Terrain für das DDR-Jungvolk. Für Fahrzeuge unzugänglich, mussten die Mitarbeiter der Behörden und Kulturämter weite Wege zur Bekehrung auf sich nehmen. Die DDR veranstaltete sogar ein eigenes "Woodstock"! 1971 lagerten auf einer Festwiese vor Crimmitschau tausende langhaarige Jeansträger und sangen amerikanische Lieder. Die Hippiekultur war in der DDR attraktiv, da sie sich in der proletisch kultischen Tradition wiederfand, so Merkel. Als die westdeutsche Studentenbewegung mit zweijähriger Verspätung überschwappte, verbreiteten sich Jack Kerouac und der Gedanke der Beatgeneration auch hier. Als beliebte Protestform galten die "sit in" in Diskotheken, wo kniend "Give Peace a Chance" gesungen wurde. Übrigens tauchte die erste Jeans im DEFA Film in "Berlin um die Ecke" auf - das war 1965. Karen Kramer sah über 100 DEFA Filme, ihre interessante Analyse (immer auf das Gesäßteil der Protagonisten schielend) enthüllt weitere Beispiele. In "Karla", auch von '65, trägt eine junge Lehrerin stolz ihre Jeans - und in "Für die Liebe zu mager" schimpft der langhaarige Klempner über seine zerrissene Jeans; "Mensch, das war ne Levis!" Plenzdorf formulierte in "Die neuen Leiden des jungen W." das Credo einer Generation: "Jeans sind eine Einstellung und keine Hose".
Ab 1971 erfolgte eine Dezentralisierung der Diskurse, - Schnoor. In kleiner Zahl war ein Austausch nach Amerika möglich. Durch die wirtschaftlich schwierige Lage der DDR wurde das Umdenken sozusagen verordnet und gebilligt, Verlage öffneten ihre Programme und Zeitungen wie
Weltbühne, Forum, Sonntag und das
Magazin trugen zum Aufbrechen des Feindbildes bei. Die Literaturforschung nahm von amerikanischer Literatur Notiz und attestierte dem Leser erstmals "ein Recht auf eigene Rezeption", so Riese. Die Rezeption der nordamerikanischen Literatur unterschied sich bald kaum noch von der westdeutschen. Allmählich nahm die DDR Amerika gelassen hin.
Günter Kunert veröffentlichte nach seinem USA-Aufenthalt 1974 "Der andere Planet. Ansichten über Amerika". Der Autor gibt sich darin in seiner Herkunft nicht zu erkennen, verliert kein Wort über Klassenkampf und Rassismus. Seine Haltung zu den USA ergebe sich vielmehr aus der Auswahl eines Themas und der fragenden Ausdrucksweise, analysiert David Bathrick. Das bringt kaum Erkenntnisgewinn. Der anwesende Autor selbst harmonisiert sehr mit seinen anekdotischen Erinnerungen. Auch im Gespräch mit Yaak Karsunke kann sein selbstzufriedenes "ich als Berliner war nie überrascht" - Statement wenig Freunde finden. Zur Verlagspolitik in der DDR hielt Anna Giovanopoulos einen exzellenten Vortrag. Das DDR Zensursystem wurde professionell und konsequent gehandhabt, wobei Devisen zur Bezahlung der Urheberrechte, das Papierkontingent und die Druckgenehmigung entscheidende Eckdaten bildeten.
In einer Diskussion stellt ein junger Mann die Frage; ob nicht die Kultur, die in West und Ost begeistert aufgegriffen wurde, in ihrem Herkunftsland, den USA, schon eine Randgruppenerscheinung darstellte? Eine Erscheinung, die von der Subkultur erzeugt und auch wieder aufgegriffen wurde und nur im nachhinein als Kulturbegriff einer ganzen Generation interpretiert worden sei? Merkel ruft; "genau meine These!" Grischa Meyer, der wenig zur Bündelung der Thematik beitrug, beschließt die Diskussion und die Leiterin des Literaturforums bekräftigt; "wir bleiben im Gespräch!" Gut, denn z.B. der Einfluss Amerikas auf die
Nischenkultur der DDR, von Gladowbande bis Punk blieb ausgespart. Auch manche Widersprüche der Referate blieben ungelöst. So vielfältig sich die USA in der DDR widerspiegelte, so mannigfach ist die Interpretation davon. Am Ende ihrer Lebenskraft musste die DDR miterleben, wie 250 000 ihrer hauptsächlich in Jeans gekleideten Bürger zu Pfingsten 1988 mit Bruce Springsteen in Berlin Weißensee "born in the USA" sangen. Karen Kramer meint in ihrem Beitrag, dass die DDR in Zukunft als
das jeanstragende Land an sich gesehen werden müsse. Das bleibt also, die Jeans?