Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



April 2002
Marc Degens
für satt.org




David Oddsson:
Schöne Tage ohne Gudny.
Steidel Verlag, Göttingen 2001

David Oddsson: Schöne Tage ohne Gudny.

107 Seiten, Sondereinband
EUR 12,50
» bestellen

Buchbesprechung: Wolfgang Müller in der taz vom 27.11.01

sattLINK:
-Island Hoch: Die große Stimmgabel-Show
-Wolfgang Müller: Blue Tit. Das deutsch-isländische Blaumeisenbuch.
David Oddsson

Island Hoch:
Der isländische Ministerpräsident David Oddsson liest aus seinem Erzählband »Schöne Tage ohne Gudny«


Die Inselrepublik Island im nördlichen Atlantik ist erdgeschichtlich das jüngste Land unseres Kontinents und weist zudem die geringste Bevölkerungsdichte Europas auf: Weniger als 300.000 Einwohner verstecken sich auf einer Fläche, die in etwa der der alten DDR entspricht. Berühmt ist das »Land des Feuers, des Wassers, der Luft und der Erde« für seine einzigartige aktive Vulkanlandschaft, für seine mächtigen Wasserfälle, den Skogafoss und den Gulfoss, für seine Gletscherlagunen und Thermalseen, für endlose Küstenbuchten, artenreiche Vogelschutzgebiete und selbstredend die Geysire. 80 Prozent der Landesfläche sind unbesiedelt und über 95 Prozent der Bevölkerung gehören der evangelisch-lutherischen Kirche an. Diese doppelte Askese hinterläßt natürlich Spuren: Tagein, tagaus gestaltet der Isländer seine Zukunft, nutzt modernste Kommunikationsmittel, entwickelt Computerprogramme und verdingt sich in der Biotech-Branche. Und was macht der Isländer in seiner spärlichen Freizeit? Fernsehen? Nein! Sich besaufen? Nein! Fersehen und sich besaufen? Nein, er betätigt sich künstlerisch! Er malt, bildhauert, zeichnet, töpfert. Er klaviert, komponiert, filmt und schreibt. Egal ob alt, ob jung, ob Mann oder Frau, alle machen mit. Durchschnittlich soll jeder Isländer 0,19 Björk-Lieder gesungen haben … das raunt man sich in der Spreemetropole dieser Tage häufiger zu.

Sperrt eure Schutzbefohlenen weg, die Isländer sind in der Stadt! »Island Hoch« heißt ihr fünftägiges Festival und bis Samstag noch stellen sie in Berlin ihr künstlerisches Bruttosozialprodukt zur Schau: Im Museum der Unerhörten Dinge eindrucksvolle Exponate aus dem Penismuseum in Reykjavik, Elfenarchitektur kann im Buchladen Pro qm in Mitte bewundert werden, im Glashaus verzücken die Klänge des DJ-Sets von Gus Gus die Tanzenden am Samstagabend. Heimlicher Höhepunkt des Spektakels und gesellschaftlicher Akt erster Güte war aber zweifelsfrei die Lesung des isländischen Ministerpräsidenten David Oddsson aus seinem soeben in Deutsch erschienenen Erzählband »Schöne Tage ohne Gudny«. Natürlich in geschlossener Gesellschaft und mit schriftlicher Anmeldung!

Empfangen wurde stilecht im Magnus-Haus am Kupfergraben in Berlin Mitte, benannt nach dem Entdecker der »Querkraft« Heinrich Gustav Magnus (1802- 1870), direkt gegenüber dem Pergamonmuseum. Das spätbarocke, 1760 unter Friedrich II. im Stile Knobelsdorffs errichtete Bürgerpalais, das ein Jahrzehnt lang von dem Regisseur Max Reinhardt bewohnt wurde und seit vielen Jahren die »Deutsche Physikalische Gesellschaft« beherbergt, war glänzend besetzt: Miss Rose, die Kolumnistin des Internetmagazins dorfdisco.de gab sich die Ehre, Professor Rott war gleich sechs- bis achtmal vertreten, allein Ex-Senator Stötzl und Frauenheld Nida-Rümelin fehlten. Saßen sie etwa bei der Konkurrenz ein paar Straßen weiter? Denn zeitgleich, um Punkt siebzehn Uhr, lud der Verlag Klett-Cotta am Pariser Platz im Max-Liebermann-Haus zur Präsentation des Buches »Demokratie in Europa« von Larry Siedentop ein, mit u. a. dem britischen Botschafter Sir Paul Lever und dem Bundesminister a. D. Doktor Wolfgang Schäuble. Zufall?

Die Lesung begann relativ pünktlich. Doppelbegabung David Oddsson, Schriftsteller, Theatermacher, Leiter der konservativen isländischen Selbständigkeitspartei, seit elf Jahren Premierminister des Landes und erklärter Gegner eines isländischen EU-Beitrittsgesuchs, betrat die Bühne, sagte ein paar Sätze in einer lustigen Sprache, erntete dafür gehörig Applaus und machte schließlich Platz für das prominente Bildschirmgesicht Hanns Zischler. Gekonnt trotz zwei, drei Hasplern - trug der Schauspieler auf deutsch zwei Geschichten aus Oddssons Erzählband vor. Zwei nette, harmlos-humorige Erzählungen mit Hähä-Effekt, handwerklich solide gemacht und entfernt an Ephraim Kishon erinnernd, nicht weiter schlimm. Der verspätete Verleger Steidl verlas anschließend seine Begrüßungsrede und entließ das Publikum endlich zu Speis und Trank.

Es gab fünf verschiedene Sorten Kanapees, drei Serviererinnen reichten ununterbrochen Wein und Orangensaft, die Tür zum Garten wurde geöffnet, fein. Erst gegen halb acht löste sich die Gesellschaft auf. Wohin nun, der Abend war jung? Ins Haus der Berliner Festspiele zur großen Stimmgabel-Show oder ins Loft zum Abschiedskonzert der Pop Tarts? Wie viele entschied ich mich für das Champions-League-Spiel Bayer gegen ManU, ging in meine Stammkneipe und krönte den Tag mit einigen gepflegten Bieren in geselliger Runde. Island hoch!