Tja, die Internet World. Sie ist kein Erlebnis mehr, eine trockene Businessmesse. Statt Szenern und Techies nahmen austauschbare Beamte für ihre Firmen den neu geschaffenen Deutschen Internetpreis entgegen, der »Best-Practice-Beispiele von kleinen und mittleren Unternehmen für innovative Internet-Entwicklungen« prämieren soll.
Alles strebt in Richtung Old Economy. Eines der ausgezeichneten mittelständischen Unternehmen trägt den Namen »Union Technik« und bietet eine internetbasierte Service- & Logistikplattform an, »die einen schnittstellenfreien Workflow ermöglicht«. Der retrostyle-teutonisch-funktionale Name und das unansehnlich-schlichte Logo der Firma stammen zwar noch aus den Jahren vor der Internetzeitrechnung, das Imitieren der Altvorderen reicht aber auch nicht nur bis zu den Firmennamen und -logos. Nur gelegentlich fühlte man sich beim Geschehen auf der Preisbühne an die verspielt sympathische Stimmung der Gründerjahre erinnert. »Sie können Shakehands machen«, ermunterte der Moderator die neben ihm Versammelten, ein vergeblicher Vorschlag, um die steife Preisentgegennahme aufzulockern.
Nach der Preisverleihung erklärte die Staatssekretärin Margareta Wolf in die ausgedünnten Reihen der Keynote Arena hinein die Messe als eröffnet. Die Aussteller füllten weit weniger Messehallen als im letzten Jahr, noch deutlicher gingen die Besucherzahlen zurück. Auf ein nachlassendes Interesse neugieriger Privatmenschen ist das aber nicht zurückzuführen, eher auf die Fachbesucher-Politik des Veranstalters. Auch hier ist Schluss mit »alles gratis«: Konnte man sich bei den vorangegangenen Messen noch durch privates Interesse als Fachbesucher zertifizieren lassen, musste man diesmal 30 Euro für eine Tageskarte springen lassen.
Gelohnt hat sich das nicht: Die Mehrzahl der Vorträge waren trotz interessant formulierten Ankündigungen nichts als PowerPoint-präsentierte Produktvorstellungen, gehalten von Angestellten mit Vertreter-Charme. »Unser Produkt« war die häufigste Kollokation auf der Messe.
Drei Stunden nach der offiziellen Eröffnung begann die vielleicht einzige Veranstaltung von allgemeinem Interesse, der »Internet World Gipfel«, bei der exponierte Vertreter der New Economy (Intershop Communications, Pixelpark) neben Politik (Alfred Tacke vom BMWi) und Old Economy Platz nahmen. Im Grunde war aber egal, wer das Wort hatte, am Ende sagten alle dasselbe.
Von den Venture Capitalists, die in den letzten Jahren mit den Schilderungen ihrer Coups allein ganze Arenen füllten, war in diesem Jahr nichts zu sehen, obwohl es jetzt erst richtig spannend geworden wäre. Doch selbst wenn ehemalige börsennotierte Helden in den letzten Monaten Insolvenz anmelden mussten, der Internet-Markt wächst weiter. Nachzügler strömen ins Netz, an Neukunden wird es nicht fehlen. Dass Kapital- und Aktienmarkt nicht mitgewachsen sind, das war der Grund der Krise. Jetzt konzentriert sich die Branche, es gibt weniger Mitbewerber und eine Aussicht auf bessere Produkte.
Nach dem nüchtern optimistischen Podiumsgespräch war die Messe eigentlich vorüber. Ein Rundgang über die Haupt- und die vier Nebenmessen lieferte keine Argumente für einen längeren Aufenthalt. Das geschäftige Treiben auf der Internet World glich in den letzten Jahren einem türkischen Basar, in diesem Jahr hätte man auf den breiten Gängen kreuz und quer Flickflacks schlagen können, ohne jemanden dabei niederzuwerfen.
Weniger Besucher bedeutete nicht nur weniger Handys, sondern auch: weniger Phrasen. Sprachpuristen hätten dennoch keine Chance, der selige Joachim Heinrich Campe wäre verzweifelt. Was in den letzten Jahren zwischen Wortblasen, Aufschneiderenglisch (»die Investitionen, die wir beim Millennium-Change gemacht haben«) und LTI (»wir müssen genug Kunden generieren«) schwankte, ist stiekum zum allgemein anerkannten Fachjargon geronnen.
»Ist das takeaway?«, fragte ein Besucher des parallel zur Messe stattfindenden Kongresses eine Broschüren austeilende Dame. Der Block »Online Werbung« gab Referenten und Diskutanten Möglichkeiten zur Reflexion, hier ein Sample Mix: »Nach zu optimistischen Erwartungen und dem Versagen aller Bannerkonzepte mussten unsere Businesspläne revidiert werden. Die Anpassung an die gegenwärtige Situation war eine gute Basis für einen realistischen Approach. Ziel der Werbung bleibt weiterhin, ein Involvement zu schaffen, eine Response-Bereitschaft zu wecken, eine Willingness-to-spend beim Kunden zu erreichen. Aus Internetnutzern sollen Internetshopper werden. Das ist die Challenge, die wir zurzeit haben. Die Awareness bei Onlinewerbung ist weit niedriger als bei Fernsehwerbung, wir müssen also auch crossmediale Synergien nutzen, um zum Beispiel einen effizienteren Markenaufbau zu betreiben. Es gibt für den Aufbau einer Marke durch reine Onlinewerbung ja fast nur ein einleuchtendes Beispiel: Opodo. Die haben im November 2001 mit einem Budget von einer Million Euro und über 300 verschiedenen Bannern gelauncht!«
Mittwoch mittag war zu hören, dass Walsers Reich-Ranicki-Hommage nun doch bei Suhrkamp erscheint, eine Nachricht aus einer fernen Welt. Kurz darauf setzte die Messe erst einmal aus. Kein Referent konnte sein Publikum halten, als der Anpfiff zum WM-Spiel Deutschland - Irland erscholl. Zum ersten und einzigen Mal sammelten sich Menschentrauben, am dichtesten vor dem Bigscreen des T-Online-Standes.
Als in der Halbzeit der Screen von der Liveübertragung auf die T-Online-Oberfläche umschaltete und ein Marktschreier angestiefelt kam, der das neue Breitbandportal T-Online Vision anpreisen wollte, verzog sich das gesamte Publikum. Nur eine Handvoll Interessierter verharrte, aus der sich der Alleinunterhalter eine unbedarfte Hausfrau herausfischte. Nach kurzer Präsentation auf dem Bildschirm stellte er ihr drei Suggestivfragen, die sie alle falsch beantwortete. Den Preis, ein schnurloses Telefon, bekam sie trotzdem. Pünktlich zur zweiten Halbzeit erschien auch das Auditorium wieder und folgte dem ZDF-Kommentator über den saftig-grünen Fußballrasen.