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Januar 2004
Frank Willmann
für satt.org




Bündnis Aktiver Fußballfans (Hrsg.): Ballbesitz ist Diebstahl
Fußballfans zwischen Kultur und Kommerz
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2003

Bündnis Aktiver Fußballfans (Hrsg.): Ballbesitz ist Diebstahl

256 Seiten, 12,90 Euro
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Begeisterung, Hingebung und Wahnwitz



Ballbesitz ist Diebstahl: Ein wohltuendes, lesenswertes Buch für alle Freunde des runden Leders, die weiter als bis 3 zählen können!



„Ich habe schon etliche Male Abschied genommen vom Fußball, vom Hin- und Angucken wenigstens … Jedem Abschied folgte ein neues Spiel, ohne dass die Zeit dazwischen etwa bloß eine Schamfrist gewesen wäre. Es war mir jedes Mal ernst. Wieder und wieder der Schwur: Das reicht endgültig jetzt, aber ehrlich. Das Auge hat genug, der Geist ist entschlossen, die Seele aber schwach …“
Dietrich zur Nedden (1998)


Poetischer kann einer eigentlich nicht über die Fußballleidenschaft, von der er ergriffen ist, schwadronieren. Dieses Zitat steht gleich am Anfang des vom Bündnis Aktiver Fußballfans herausgegebenen Buches „Ballbesitz ist Diebstahl“, und stellt eindeutig klar, worin es in diesem Buch geht: um Begeisterung, Hingebung und Wahnwitz. Und all das wegen Fußball! Einer Sportart, in welcher etwas mehr als zwei Dutzend Männer einem Ball hinterher jagen, verfolgt von abertausenden Anhängern im Stadion, am Radio, vor der Mattscheibe.

Im Allgemeinen wird vermutet, der Fußballanhänger wäre nicht sehr helle im Kopf, würde einen Bierbauch durch die Gegend spazieren, und seine schwangere Frau im Stich lassen, wenn ein Spiel seiner innig geliebten Mannen ansteht. Das Buch beweist zwar nicht das Gegenteil, zeigt aber erfreulicherweise, dass sich einige Fußballanhänger schon so ihre Gedanken machen.

Schon der Untertitel „Fußballfans zwischen Kultur und Kommerz“ zeigt das auf: hier meldet sich eine starke Fraktion zu Wort, die nicht alles mit sich machen lässt. Eines stellen alle Autoren des Bandes in den Vordergrund: Die Fans mit ihrer Liebe am Spiel. Balltreter, Hintergrundmauschler und Funktionäre kommen und gehen, der Fan bleibt. Und sollt Kraft seiner Wassersuppe gut aufpassen, dass ihm seine Suppe nicht von Geschäftemachern versaut wird. Damit sind in erster Linie Premiere & Co. gemeint, die immer stärker versuchen, bei der „Verwertung“ der Spiele ihre Interessen durchzusetzen. Sitzen ist Scheiße - meint der Fan und es quälen ihn berechtigte Ängste, wenn sein Stadion plötzlich eine American Online-Arena geworden ist und Fernsehverträglichkeit den Fußball in der 1. Bundesliga zu bestimmen droht.

Wohltuend an dem Buch ist auch, dass konsequent gegen pubertäre Pöbellieder einiger Fangruppen polemisiert wird, die bei jeder Ballberührung des Gegners eine homosexuelle Attacke wittern und entsprechend ängstlich „Möller, du Schneller, du Homosexueller“ oder ähnliche Albernheiten kreischen. Auch das Neonazis und rechter Pöbel in den Stadien eine kleine, aber leider wahrnehmbare Größe sind, wird nicht unterschlagen. Rechts ist in, in Teilen der Fankurve. Das ist manchmal nur Provokation, doch die zunehmende Enttäuschung der kleinen Leute (welche das Gros der Fußballanhänger ausmachen) über die wenig soziale Politik der rotgrünen Bundesregierung, schlägt sich deutlich im Stadion nieder. Alte Klischees werden aufgewärmt. Dazu der dunkelhäutige französische Weltmeister Thuram: „Diese Leute meinen, dass wir Schwarzen Affen sind, und deswegen müssen wir uns diese Uh-Uh-Uh-Rufe anhören. Dieses Verhalten gibt es überall in der zivilisierten Welt. Um die Wahrheit zu sagen: Bis vor 100 Jahren habe renommierte weiße Intellektuelle argumentiert, dass die Schwarzen den Weißen unterlegen sind. Europäische Länder haben ihre wirtschaftliche Macht auf dem Rücken der Schwarzen aufgebaut. Die Uh-Uh-Uh-Rufe, die Fans heute von sich geben, sind die logische Folge dieser Kultur.“