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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 
August 2004
Nora Mansmann
für satt.org




livingROOMS
ein Projekt von
lunatiks produktion

Premiere:
21.8.04

Regie:
Tobias Rausch

Ausstattung:
Friederike Baer

Darsteller:
Christian Banzhaf, Christine Rollar

livingROOMS
das Zuhausetheater


Ellie Kölmel ist Wohnberaterin, und sie ist wahrscheinlich der zerstreuteste Mensch der Welt. Als sie beim Verlassen ihrer Wohnung vergisst, die Tür zu schließen, schleicht sich ein ungebetener Gast herein: Herr Mücke von der GEZ. Eigentlich wollte er nur ungestört nach Rundfunkgeräten suchen, jetzt sitzt er in der Falle, denn Ellie ist nicht nur vergesslich, sondern auch extrem vorsichtig: Nach ihrer Rückkehr hat sie die Haustür von innen abgeschlossen. Fortan geistert Mücke als unsichtbarer Mitbewohner Kaspar durch Ellies Heim. Sie stellt ihm Essen hin und legt eine Zahnbürste bereit, die Tür hält sie weiterhin sorgfältig verschlossen.



Bühne: livingROOMS - ein Projekt von lunatiks produktion


Bühne: livingROOMS - ein Projekt von lunatiks produktion


Bühne: livingROOMS - ein Projekt von lunatiks produktion

livingROOMS
Fotograf: T. Rausch


Aus dieser Grundkonstellation entwickelt Autor und Regisseur Tobias Rausch einen episodenhaft erzählten Theaterabend über Wohnen und Gemütlichkeit, dekoriert mit einer kleinen Liebesgeschichte. Das Ungewöhnliche und das Wichtigste an diesem Projekt jedoch ist das Drumherum: „livingROOMS“ ist Zuhausetheater, Theater in der eigenen Wohnung, zu ersteigern beim Internet-Auktionshaus Ebay. Damit hebt die Gruppe lunatiks produktion, in Koproduktion mit den Sophiensaelen, das zur Zeit sehr moderne Site-Specific- und Reality-Theater-Konzept auf eine neue Stufe.

Die Presseaufführung findet in der geräumigen Kreuzberger Dachgeschosswohnung einer mit dem Team befreundeten Schauspielerin statt. Die Räume allein sind schon ein Kunstwerk. Es herrscht eine gemütliche Atmosphäre, Zuhause-Feeling. Die Zuschauer nehmen in einem Strandkorb, auf dem Sofa oder auf eilig herbeigeschafften Stühlen platz. Doch der Abend bietet wenig Gelegenheiten zum Zurücklehnen, das Publikum wird kräftig eingebunden. Das macht viel Spaß, und plötzlich ist man unmerklich zum Komplizen Mückes bei seiner Wohnungsdurchsuchung geworden und hat damit eine klare Grenze hinein in eine fremde Privatssphäre übertreten. Ein seltsames Gefühl, auch wenn es nur ein Spiel ist.

Die beiden sympathischen Schauspieler, Christine Rollar als Ellie und Christian Banzhaf als Mücke alias Kaspar, verstehen es, das Publikum mitzureißen mit ihrem energetischen, körperbetonten Spiel. Sie haben offensichtlich selbst sehr viel Spaß dabei, so durch die durch die Wohnung zu wirbeln, und kommen trotz des hohen Tempos nie aus dem Rhythmus. Umso erstaunlicher, wenn man später erfährt, dass die Schauspieler die Wohnung zuvor noch nie betreten hatten und nur von einer Skizze kannten.

Aufführungstermine:
  • Samstag, 21.08.2004, 20:00 Uhr (Versteigerung: 08.08.-15.08.2004, 18:00 Uhr)
  • Samstag, 28.08.2004, 20:00 Uhr (Versteigerung: 15.08.-22.08.2004, 18:00 Uhr)
  • Samstag, 04.09.2004, 20:00 Uhr (Versteigerung: 22.08.-29.08.2004, 18:00 Uhr)
  • Samstag, 11.09.2004, 20:00 Uhr (Versteigerung: 29.08.-05.09.2004, 18:00 Uhr)

So bietet „livingROOMS“, vor allem dank der hervorragenden Schauspieler, viele hübsche Szenen, lustige Einfälle, spannende Situationen. Sehr schön, wie die fröhliche Grundstimmung, die während des ganzen Abends vorherrscht, am Ende in eine beklemmende Szene mündet, in der Kaspar den Spieß umdreht und Ellie einsperrt. Doch leider bleibt die Inszenierung weitgehend eine Ansammlung von Einzelszenen, die zwar thematisch und vor allem durch die Figuren miteinander verbunden sind, denen aber der Bogen, der rote Faden, die große Linie fehlt. „Das Stück ist wie ein IKEA-Regal-System aus Modulen aufgebaut“, heißt es im Pressetext, doch auch IKEA-Regale brauchen Dübel, um zusammenzuhalten. Vor lauter Begeisterung über das Formale haben Tobias Rausch & Co. den Inhalt und vor allem die Aussage fast vergessen. Da hilft es wenig, wenn zwischendurch ein Pizzabote seine sehr platten zivilisationskritischen Sentenzen über das böse Fernsehen ablässt oder wenn Kaspar in einer völlig unpassenden Passage behauptet, er wäre aus „dem Kontingent“ desertiert. Klar, ein Schuss Globalisierungskritik oder Ähnliches gehört heute zu jedem Theaterstück, man muss und will ja politisch sein - hier wirkt das mangels Zusammenhang völlig fehl am Platz.

Abgesehen davon jedoch ist dieser Theaterabend im eigenen Wohnzimmer natürlich schon per se ein besonderes Erlebnis. Die Auktionen auf Ebay laufen noch, unter den Rubriken Tickets > Kultur & Events > Theater kann man sich Ellie und Kaspar nach Hause bestellen. Und, da hat der Pizzabote recht, besser als Fernsehen ist das allemal!