Der Fußball im Buch
Nach der EM ist vor der EM. Kaum ist die Europameisterschaft beendet, sollte sich der artige Sportsmann wieder dem Lesen, seinem zweitliebsten Hobby widmen. Da ist er gemein mit Elke, Marcel und anderen Größen der Wälzerkunde. Also packt sich unsereins seine sechs Bücher ein und fährt übers Wochenende in den Spreewald. Sogleich wird die Angel in den nächsten Gurkentümpel geworfen, selbstverständlich ohne Haken! Alles nur Tarnung. Man will in Ruhe gelassen werden. Es geht um Literatur. Fußballliteratur! Und zwar so: Jan Brandt hat einen ordentlich dicken Schinken herausgebracht. Darin lassen sich die 22 versammelten Gelehrten, jeweils 11 Ostler und Westler, über das denkwürdige Sparwassertor Anno 1974 aus. Die DDR gewann seinerzeit gegen die Seppeltruppe um Müller und Maier. Dieser epochale Sieg wird recht unterschiedlich interpretiert. Falko Hennig schlägt vor: "Wenn jemand von Fußball zu reden beginnt, sollte man sich einfach umdrehen und gehen, dann bleibt einem viel erspart." Matthias Biskupek geht die Sache nachdenklicher an. Ganz Rousseau verhaftet, analysiert er die russische Grammatik, fachsimpelt über sowjetische Landeskunde und lässt die Weltraumeroberung nicht aus! Die letzten Zweifel am historischen Sieg bereinigt Andreas Gläser. In seiner Geschichte eines Gesamtberliner Kaffeeklatschs, bringt ein Dreikäsehoch den Westberliner Gästen die 74er Weltlage bei.
Ja die Weltlage! Das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) erhellt das Dunkel der Fußball-Fan-Diskriminierung hierzulande. Ein schmaler Band berichtet von den "100 schönsten Schikanen gegen Fußballfans". Erschreckend heiter formuliert, erfährt der Leser alles über das beschwerliche Leben der deutschen Reisenden in Sachen Fußball. Über zwei Jahre sammelte BAFF Erfahrungsberichte der Fans. Selbstherrliches Auftreten der Polizei, Schikanen durch glatzköpfige Hohlköpfe (= Ordner verschiedenster Sicherheitsdienste), Willkürakte beim Stadionzutritt, liebestolle Frechheiten bei Personenkontrollen, "Gästekäfige" im Stadion, all dies gehört zum Alltag des fahrendes Fanvolks. Doch die Fans organisieren sich und schlagen fantasievoll zurück, auch davon berichtet dieses unbedingt lesenswerte Buch.
Daneben mögen zwei wirklich schöne Bücher empfohlen sein. So hat der Argon-Verlag dankenswerter Weise die besten Fotos der Fußball WM 1954 herausgebracht. Unter dem schönen Titel "Rahn schießt … Tor, Tor, Tor!" findet der Leser einen schmucken, und vor allem bezahlbaren großformatigen Bildband von schwarz/weiß Fotografien vor. Diese sind mit knappen, erläuternden Untertiteln versehen. Die zumeist unveröffentlichten Fotos lassen die unerträgliche Spannung die damals die Fans beherrschte, wieder lebendig werden. So erblickt man auf einem der großartigen Fotos neun Menschen, die sich in den Innenraum eines Autos gequetscht haben, um der Radio-Reportage des Herrn Zimmermann zu lauschen. Ihre Gesichter verraten höchste Anspannung, die Daumen werden gedrückt, die Atmung scheint auszusetzen, ein eindringliches Foto.
"FIFA 19April 2004, 100 Jahre Weltfußball" heißt der wahrhaftige Koloss, den der Verlag die Werkstatt mit Unterstützung der Fifa auf den Markt gerollt hat. Es ist so etwas ähnliches wie eine Festschrift, allerdings hat die FIFA dem Herausgeberteam um die Berlinerin Christiane Eisenberg absolut freie Hand gelassen. Die Autoren beleuchten in fünfzehn Kapiteln viele Facetten des Fußballsports. Manchmal fehlt den Texten etwas das lodernde Feuer der Begeisterung, jedoch die wirklich aufwendige und sehr schöne Gestaltung des Buches lässt das vergessen. Aus FIFA-Archiven und von Agenturen wurden Fotos und Dokumente in das Buch geholt, die in dieser Buntheit und sehr guten Qualität noch kein Werk über den Fußball verzierten. Auch die Schattenseiten des Fußballs, wie etwa Gewalt in den Stadien und die immer erschreckender voranschreitende Kommerzialisierung, fanden ihren Weg ins Buch. Allerdings fehlen leider nähere Einlassungen zu diversen Formen der Korruption, die bei der FIFA schon immer eine große Rolle spielten. Die leidlich zwielichtige Rolle des ehemaligen Präsidenten João Havelange wird nicht eindeutig benannt. Trotzdem ist das Buch eine Fundgrube für Fußballfans.
Das beachtlichste Buch über den Fußball hat Andeas Höll verfasst. In den "Halbzeiten für die Ewigkeit", ist Höll durch die kulturhistorische Fußballsuppe gewatet. "Macht er ihn rein, Vasile der Heiducke?/Die Antwort war hier schnell und straff gegeben./Die Lausitz tobt: ostwärts ist wieder Leben." Diese Verse des Cottbusser Fußballdichters Blumenstein finden wir neben anderen erstrangigen Gedichten im brillanten Buch Hölls wieder. Des weiteren doziert er über solch belangreiche Dinge wie das Chorschaffen der Bundeskicker und das lebendige Volkslied in den deutschen Fußball-Stadien. Ob die Einsamkeit des Torwarts, der herrliche Fußballerkörper Paul Gascoignes oder das unergründliche Geheimnis des Fußballes ans sich, immer lauert in irgendeiner Ecke ein bildender Künstler, bereit, alles in Form und Farbe zu bannen. Seit den 90er Jahren erlebt die Kunst um den Fußball eine regelrechte Hochkonjunktur, Scharen von jungen Künstlern und Künstlerinnen werfen sich auf das runde Leder, weiß Höll uns zu berichten. All das tut er mit feiner, ironische Feder, verliert dabei aber nie die Achtung vor der Ernsthaftigkeit des fußballerischen Ringens, denn: "Fußball ist keine Sache von Leben und Tod, es ist noch viel ernster." Ein vergnügliches und elegantes Buch! Bravo!
Meister Klaus Theweleit spürte gleichfalls den starken Drang, sich zum Volksthema Fußball zu akzentuieren. Auch "der junge Klaus Theweleit lauschte den Fußball-Ergebnissen aus dem Radio", weiß das Vorwort seines Buches "Tor zur Welt" zu berichten. Na so was, der ist ja auch mal ein kleiner Junge gewesen, denken wir überrascht. "Nach seinem auch durch Fußball gelungenen In-die-Welt-kommen hat Theweleit das Spiel hinter sich gelassen und dieses Tor zur Welt geschlossen", ist desgleichen zu erfahren. Klingt irgendwie nach Carlos Castaneda. Warum gelingen mir nicht solche tollen Sätze? Natürlich bringt das lobhudlerische Vorwort Theweleits Werk sofort in die Nähe Nick Hornbys und schmiert dem Meister auch sonst allerhand Honig um die Arschbacke. Dabei hat es das Buch gar nicht nötig. Es ist ein leidlich gelungener Blick in Theweleits Welt, die überraschenderweise auch nur eine Fußballwelt ist.