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April 2005 |
Frank Fischer für satt.org |
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Die Frauen von FairviewAm 12. April startet die ABC-Serie »Desperate Housewives« im deutschen Fernsehen. Eine VorwegnahmeAuch wenn es gerade überall kolportiert wird: Mit »Sex and the City« haben die »Desperate Housewives« so gut wie gar nichts gemein. Es stehen zwar irgendwie ein paar Frauen im Mittelpunkt, aber als Nachfolgeserie können die »Housewives« höchstens gelten, weil sie im deutschen Fernsehen vom selben Sender auf denselben Sendeplatz gepackt wurden. Ansonsten ist das Format ein komplett anderes. Sicher, es gibt auch hier eine Off-Stimme, aber die kommt bei den »Desperate Housewives« aus dem Totenreich und ist um so vieles klüger, witziger, geheimnisvoller als Sarah Jessica Parkers Frauenmagazinsätze, dass sich jeder weitere Vergleich verbietet. Und so geht es los: Hausfrau Nummer eins, Mary Alice Young (gespielt von Brenda Strong), bringt gerade wieder das Haus der Familie auf Hochglanz und rückt nach getaner Arbeit das Familienfoto auf dem Klavier zurecht – um sich dann zu erschießen. Peng! Ihre Freundinnen finden als möglichen Grund für den Selbstmord einen anonymen Notizzettel, der die Familienmutter am Tag ihres Selbstmords erreicht hat und die Drohung enthält »I KNOW WHAT YOU DID / IT MAKES ME SICK / I’M GOING TO TELL«. In der achten Folge wird die Autorschaft dieses Schreibens aufgelöst und blutig gerächt, aber bis dahin sind viele neue Probleme, Unsicherheiten, Spannungsbögen gepflanzt, von denen einige mühelos in neue Staffeln reichen könnten. Aller Anfänge sind dreiDas Setting wird uns präsentiert als das Falsche im Richtigen. Die Housewives wohnen in der Vorstadtidylle der fiktiven Wisteria Lane in der fiktiven Stadt Fairview im realen Connecticut. Das Geschehen spielt sich zeitlich ungefähr parallel zur Welt außerhalb des Fernsehers ab, beginnt also im September 2004, als die Serie in Amerika an den Start ging. Jede Folge der Serie hat drei Anfänge, zunächst einen »was bisher geschah«-Block, dann Mary Alices Stimme aus dem Off, die sich ganz speziell einer Haupt- oder Nebenfigur widmet, um die Themen und Handlungen der jeweiligen Folge einzuleiten. Schließlich folgt das reguläre Intro, eine geniale Reise entlang kunsthistorischer Frauenmotive. Die Reise beginnt mit der Apfelszene des Alten Testaments. Wir sehen Cranachs Adam und Eva, wobei Eva einen knallroten Schneewittchenapfel von der Schlange entgegennimmt, während Adam neben ihr von einem Riesenapfel erschlagen wird. Nachdem sich einige altägyptische Flachbild-Frauen animiert durch die Jahrhunderte gewunken haben, gelangen wir ins Mittelalter und zu dem jungen Paar aus Jan van Eycks Gemälde »Die Hochzeit der Arnolfini«. Das Schoßhündchen vom Originalbild, das traditionellerweise als Zeichen ehelicher Treue entschlüsselt wird, fehlt bezeichnenderweise in der Introsequenz. Immerhin wird noch die Häuslichkeit der Gattin betont, die eine Bananenschale wegkehrt. Aber das war mal, nach Grant Woods »American Gothic«-Bild mit den langen Gesichtern eines leicht trotteligen Farmerehepaars und ein paar Warhol-Readymades schlägt eine Roy-Lichtenstein-Frau – POW! sweet dreams, baby! – ihrem Comic-Mann die Faust ins Gesicht. Und ganz am Ende fällt jeder der vier Housewives ein Sündenapfel passgenau in die Hand. Schuld und SühneDieses Leitthema von der Sündhaftigkeit des Menschen wird öfters auch von der Erzählerstimme aufgenommen. Mary Alices Kommentare heben den Zuschauer in den Stand auktorialer Divinität. Sie sind gleichzeitig allwissend und ironisch, aber aus dem Munde einer Selbstmörderin klingen sie auch ein bisschen maliziös. Sie sagen allgemeine Dinge über die conditio humana, sind aber semantisch doppelt kodiert und meinen so auch die konkreten Handlungen der Figuren. Dasselbe geschieht am Ende jeder Folge. Die Rückschau der Erzählerin bildet immer wieder einen perfekten Rahmen. Sie münzt das Geschehen in vieldeutige Weisheiten um und verwebt es mit großen Konzepten wie Schuld und Sühne. Am Ende der zehnten Folge etwa doziert sie langsam und mit genüsslichen Pausen: »Trust is a fragile thing. Once earned, it affords us tremendous freedom. But once trust is lost, it can be impossible to recover. Of course, the truth is we never know who we can trust. Those we’re closest to can betray us. And total strangers can come to our rescue. In the end, most people decide to trust only themselves. It really is the simplest way to keep from getting burned.« Dazu zieht die Kamera an den Fenstern der Häuser vorbei und ordnet jeden der Sätze einem Handlungsstrang zu. Mary Alices wenigen, strikt allgemein gehaltenen Worte schaffen es, die gesamte Folge punktgenau zusammenzufassen und gleichzeitig auf ein höheres anthropologisches Beobachtungslevel zu heben. Frauen allein zu HausProSieben hat bereits ein Vierteljahr, bevor die Serie überhaupt in Amerika angelaufen ist, die Rechte erworben. Nun kommt die Serie ins deutsche Fernsehen, noch bevor die erste Staffel auf dem Muttersender ABC fertig gesendet ist. ProSieben hat übrigens gut daran getan, den Titel nicht zu übersetzen, denn mit »Housewives« sind bestimmt nicht bundesrepublikanische Nachkriegshausfrauen gemeint, Heim und Herd, nooo! Die Housewives sind eher herausgeputzte Katalogmodels, die Haushälterinnen und Nannys haben und höchstens mal mit großen Einkaufstüten nach Hause kommen. Diese Housewives stehen für sich selbst, in diesem Zusammenhang fällt auch der Verzicht auf die heute obligatorischen deutschen Nebentitel (»Six Feet Under – Gestorben wird immer« etc.) auf, und wie hätte der in diesem Fall schon lauten sollen: »Desperate Housewives – Frauen allein zu Haus«? Die Serie ist exzellent gecastet, bis in die Gast- und Nebenrollen hinein. Die tragenden Schauspieler sind teilweise schon bekannt, aber nicht so bekannt, dass sie nicht voll aufgehen würden in ihren neuen Figuren. Von Anfang an ist klar, dass von den Youngs das Böse ausgeht. Gleich nach Mary Alices Selbstmord gräbt ihr Mann Paul (Mark Moses) eine Kiste aus dem Vorgarten aus und versenkt sie in einem See. Die Kiste, die wenig später von Anglern herausgefischt wird, enthält menschliche Überreste. Wer diese Leiche ist, das ist Teil des groß angelegten Geheimnisses der Serie. Pauls Sohn und frischer Halbwaise Zach (Cody Kasch) ist von einem Kindheitserlebnis traumatisiert. Er hat angeblich aus Versehen seine Schwester ermordet, wobei das nicht ganz sicher ist und von seinem Vater aus taktischen Gründen auch widerrufen wird. Wie sich das Gespann aus Schuld und Lügen fortpflanzt, illustriert eine Episode aus dem Leben des Ehepaars Gabrielle und Carlos Solis (Eva Longoria und Ricardo Antonio Chavira). Gabrielle hat aus purer Langeweile eine Affäre mit dem 17-jährigen Gärtner John (Jesse Metcalfe) begonnen. Eines Tages findet ihr Mann, ein etwas windiger Brutalo-Hispanic, eine fremde Männersocke, verdächtigt aber den unschuldigen Cable Guy, der am selben Tag im Haus gewesen ist. Er sucht ihn zu Hause auf und schlägt ihn grün und blau, bis er am Ambiente der Wohnung merkt, dass der vermeintliche Ehebrecher schwul ist. Dass Carlos mit der Verdächtigung seiner Frau nicht ganz falsch liegen kann, bestätigt sich jedoch am Abend. In den Nachrichten wird von einem »Gay Hate Crime« berichtet. Als eine Fahndungsskizze von Carlos’ Gesicht dazu erscheint, fragt er seine Frau ostentativ »Is there something you want to ask me?« Sie will nicht, weil sie ja auch etwas zu verbergen hat. Als Gabrielles Freundin Susan Mayer (Teri Hatcher) dahinter kommt, dass Gabrielle eine Affäre mit John hat, bringt Gabrielle die in diesen Fällen immer angebrachte Super-Ausrede: »It’s just sex, it’s totally harmless.« Auf jeden Fall. Susan ist da anderer Meinung, da sie selbst einst von ihrem untreuen Mann hintergangen wurde. Überhaupt wird sie als Tollpatsch porträtiert: Durch ein Missgeschick setzt sie das Haus ihrer Nachbarin Edie (Nicolette Sheridan) in Brand, bei einer Charity-Veranstaltung wird ihr das Kleid zerrissen, sie bricht auch schon mal durch einen morschen Boden oder schlägt ihrem Geliebten aus Versehen den Schädel ein, weil sie ihn für einen Einbrecher hält. Trotzdem ist Susan die Gute, der man die sich anbahnende Liebesbeziehung mit dem neuen Nachbar Mike Delfino (James Denton) wünscht. Diese Beziehung oszilliert zwischen Ja und Nein, vor allem weil Mikes mysteriöser Auftrag, wegen dem er in die Wisteria Lane gezogen ist, undurchsichtig bleibt. Als er beim Einbruch in ein Nachbarhaus angeschossen wird, beendet Susan die Beziehung vorerst. Trotzdem wird diese Zweiergeschichte wieder Anlass für einen Wust an schmonziger Fan-Fiction im Internet sein. Die stofflich interessanteste der Housewives ist sicherlich Bree Van De Kamp (Marcia Cross), die ständig ihr Wunschbild einer intakten WASP-Familie zurechtrücken muss, wenigstens nach außen hin. Mit diesem Kontrollwahn geht sie allen auf die Nerven. Die innere Sicherheit der Familie ist ihr oberstes Interesse, wird von ihrem Mann und ihren beiden Kindern aber komplett unterwandert. Ihr kiffender Highschool-Sohn Andrew (Shawn Pyfrom) begeht Fahrerflucht, nachdem er eine Nachbarin ins Koma gefahren hat. Ihre Tochter Danielle (Joy Lauren) tritt aus dem »abstinence club« aus, um dem Gärtner John ihre »flower« geben zu können. Ihr Mann Rex (Steven Culp) ist nicht nur untreu, sondern das auch noch aus einer S/M-Passion heraus. UnwiederbringlichAls es wieder zu innerehelichen Annäherungen kommt, will Bree ausnahmsweise als Vamp verkleidet in einem Motel ihren Mann verführen, lässt sich dann aber doch wieder von einem tropfenden Sandwich ablenken. Sie ist der Lustkiller schlechthin: Als ihr Mann sie behutsam in S/M-Gepflogenheiten einführen will, stopft sie die Handschellen erst noch mal in die Geschirrspülmaschine (»Would you mind?«). Bree versprüht einen Hauch angelsächsischen Landadels. Allein wie sie den Namen ihres Ehemannes stets hyperkorrekt betont: »Wrexxx!« Sie ist aber an keiner Stelle eine Karikatur. In der elften Folge, als ihr stets und ständig opponierender Sohn endlich einmal auf ihrer Seite ist, weil er vom Ehebruch des Vaters erfahren hat, nutzt sie nicht einfach die Gunst der Stunde, bloß weil ihr davon ein kurzfristiger Zuspruch ihres Sohnes zuteil würde. In einem Dialog, der mit seiner tieftraurigen Melancholie auch in Fontanes Roman »Unwiederbringlich« Platz gefunden hätte, weist sie ihn zurecht: Andrew: »Why are you being such a pushover? I mean, he cheated on you. He’s a jerk!« Eine Wucht sind auch die Scavo-Zwillinge Preston und Porter (Brent und Shane Kinsman), kleine sechsjährige Terroristen mit Hyperaktivitätssyndrom. Sie wüten zu Hause und in der Schule und sind verantwortlich für die bösen Blicke, die ihre Mutter Lynette (Felicity Huffman) von den anderen Eltern kassiert. Lynette, die ihre schon erfolgreich begonnene Karriere zugunsten ihres Mannes aufgegeben hat, ist das oft zuviel, zumal sie auch noch zwei weitere Kinder in die Welt gesetzt hat. Sie ist ständig auf der Suche nach neuen Erziehungsmethoden und wirft in ihrem täglichen Gefordertsein auch schon mal moralische Bedenken über Bord. Als sie einem ihrer Jungs einmal die Haare scheren musste, weil die Zwillinge Kaugummi hineingeschmiert hatten, akzeptiert sie, dass er für einen Krebspatienten gehalten wird, damit sie aus Mitleid doch noch in einen Yoga-Kurs nachrücken kann. Auch wenn Lynette einmal davon träumt, dass Mary Alice ihr die Pistole reicht, damit sie sich auch um die Ecke bringen kann, sie ist eine Mutter, die Spaß hat an jeglichem Engagement, weil das irgendwie den Verlust ihrer Karriere kompensiert. Beim Schultheater etwa setzt sie sich als Stimme aufgeklärter Vernunft dafür ein, die politisch-korrekten Änderungen bei der Rotkäppchen-Aufführung rückgängig zu machen. Von solchen kleineren Episoden lebt die Serie. Jede Szene wird dabei stets sehr filmisch herausmodelliert. Erzählt wird mit Blicken, Bildern und Kontexten, nicht mit vollgestopften Gesprächen. Die Sitzungen beim Eheberater Dr. Goldfine (Sam Lloyd), die das Ehepaar Van De Kamp ab der zweiten Folge absolviert, sind Musterbeispiele, Personen implizit zu charakterisieren. Die Dialoge sind dicht geschrieben und kommen alle ohne UNIDs aus (= UnNatürliche InformativDialoge, ein Begriff von Helmut Krausser). Alles bedeutet etwas – und selten das, was gesagt wird. Wie im richtigen Leben. Die Motive jeder Figur sind einem entweder bekannt – dann schwimmt man auf der Empathiewelle und fühlt die Konsequenz jeder Halbwahrheit oder die Peinlichkeit jeder Notlüge – oder man rätselt über diese Motive, hängt an den Lippen des Redners und versucht zu deuten. Weithin gelobt wurde in der amerikanischen Rezeption die Vielgestaltigkeit der Serie, die mal auf Suspense in der Hitchcock-Tradition und diverse Mysteryelemente zurückgreift, dann wieder an Seifenopern und Telenovelas erinnert, aber auch skurrilem Witz und Slapstick-Einlagen Raum gibt. Diese Genresprünge fallen aber gar nicht weiter auf, weil die Serie so verdammt elegant wie aus einem Guss konstruiert ist. Äußerlich zusammengehalten wird »Desperate Housewives« von dem Geheimnis, das mit Mary Alices Selbstmord zusammenhängt und dessen Auflösung sich angeblich noch bis zum Ende der ersten Staffel hinzieht. An allen möglichen Flüsterecken im Internet wird seit Monaten jede neue Folge nach Indizien abgegrast, werden Vermutungen geäußert und des Rätsels finale Lösung gesucht. Das ist gut für die Spannung, aber darum geht’s natürlich gar nicht. Wer Laura Palmer ermordet hat, war ja am Ende auch egal. |
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