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Juni 2005
Frank Fischer
für satt.org




»Dittsche - Das wirklich wahre Leben« (WDR)

» Dittsche (WDR)

Du sollst nicht lachen
Olli Dittrichs Live-Performance "Dittsche"
geht in die Sommerpause

Als Stefan Niggemeier, der Medienspezialist der "FAS", seine persönliche Hitliste der besten Shows und Serien 2004 aufstellte, hatte er den ersten Platz für folgenden Eintrag reserviert:

"1. Dittsche, WDR. Wahnsinn."

»Dittsche - Das wirklich wahre Leben« (WDR)

Das "Wahnsinn" ist Niggemeiers Begründungstext, der natürlich überhaupt nichts begründet, aber schön doppeldeutig ist. Es gibt nämlich auch genügend feinsinnige Kulturmenschen, die Olli Dittrichs wahnsinnig autistische "Dittsche"-Performance schlicht nicht aushalten.

Jede Woche die gleiche Szene: Es ist Sonntag, 22:30 Uhr. Dittsche betritt in Bademantel und Badelatschen ("Schumiletten") seinen Stamm-Imbiss in Hamburg-Eppendorf. In der Hand hält er eine Alditüte mit leeren Bierflaschen, die er sich hier auffüllen lassen wird. Ingo, der Imbisswirt mit dem "24 Hours Isn’t Enough"-Sweatshirt, sieht ihn und murmelt: "Aaah, Chefvisite." Dittsche gibt ihm die Hand. "Mahlzeit. Mach mir ma ein Bier." Und schon fängt er an zu lamentieren, über all die Dinge, die ihn während der vergangenen Woche beschäftigt haben.

Beschäftigen kann ihn allerdings nur, was in der "Bild"-Zeitung stand. In der Sendung vom 8. Mai etwa nahm er Bezug auf die "Bild"-Schlagzeile "Wissenschafts-Sensation? – Forscher ernährt sich von Licht". Das ist das perfekte Dittsche-Thema und ein gutes Beispiel, um zu verdeutlichen, wie "Dittsche" funktioniert, wie verschlungen, wie komplex assoziativ Olli Dittrich arbeitet. Die Exegese begann nämlich nicht gleich mit der Themenkette Forscher – Ernährung – Licht. Im Gegenteil. Ingo fragte Dittsche nach dem Pflaster, das an dessen rechter Wange klebte, und von dieser Frage ausgehend führte ein langer, verschlungener Pfad zur genannten "Bild"-Meldung und anschließend zu Dittsches hanebüchenem Selbstversuch, wegen dem er sich – das zu erklären, würde zu lang dauern – beim Rasieren in die Wange geschnitten hatte.

»Dittsche - Das wirklich wahre Leben« (WDR)

So baut Dittsche in jeder Folge Stück für Stück ein Kartenhaus aus Boulevard-Schlagzeilen und eigenen Theorien auf, das keine noch so skeptische von Ingos Verständnisfragen umpusten kann. Olli Dittrich hat seinen dauerarbeitslosen Verschwörungstheoretiker und Gelegenheitserfinder so genau studiert und so verfeinert, dass es einfach Spaß macht, seinem Spiel zuzusehen, statt ständig auf die nächste Pointe zu warten, um Höhöhö brüllen zu können. Überdies gibt es nur eine Handvoll fester Kameraeinstellungen, und eine solche Show steht und fällt mit ihrer Sprache, die bei "Dittsche" ziemlich streng ritualisiert ist:

Gut hamburgisch verschleift Dittsche die Vokale leicht, etwa seine Nachhangfloskel "ma sagen" ("mo sogen"). Wenn Dittsche ein Fremdwort ausspricht, dann garantiert falsch – unvergessen etwa der "Kaiborch" (sollte heißen: Cyborg), den Dittsche statt Michael Schumacher im Weltmeister-Ferrari vermutete. Und alles und jeder ist "rein" oder "titanisch", Olli Kahn etwa ein "reiiiner Torwart-Titaaan". Und das Bier "perlt aber ma wieder", ständig, ebenso wie die Bier-Rülpser, die Olli Dittrich seiner Figur inzwischen ohne Verbergungsversuch in den Mund legt. "Das ist doch ne gute Idee" ist seine ein wenig beleidigte Antwort auf Ingos Skepsis. "Und jetzt kommst du!", sagt er, wenn er voller Stolz den Kern einer seiner Ideen herausgeschält hat und nun von Ingo erwartet, dass auch bei ihm der Groschen gefallen ist.

»Dittsche - Das wirklich wahre Leben« (WDR)

Zum sonntäglichen Ritual gehört auch, dass ein steinerner Gast namens Schildkröte, der etwas entfernt vom Tresen an seinem Tisch stumm vor sich hinglotzt. Über ihn erfährt man nicht viel, nur dass er beruflich an einer Baumarkt-Säge steht und als Schlusspunkt jeder Folge Dittsches Versuch, ihn ins Gespräch zu ziehen, brüsk abbügelt mit dem schon sprichwörtlich gewordenen: "Halt die Klappe, ich hab Feierahmd."

Und so geht das in jeder Folge. Der Rahmen der Serie ist so eng gesteckt, dass jede kleinere Abweichung wie ein Skandal wirken kann. Etwa wenn Dittsche den Boden aufwischt und für Sekunden von der Bildfläche verschwindet. Wenn Schildkröte auf einmal anfängt zu sprechen. Wenn Schildkrötes Sohn Jens in den Imbiss kommt und "Papa" sagt. Wenn Olli Dittrich die Fiktion bricht, indem er Schildkröte maßregelt, der aus Versehen mal über eine der verqueren Dittsche-Erzählungen gelacht hat: "Schildkröte, du sollst doch nicht lachen!"

Oder wenn alle den Imbiss verlassen, und Dittsche auf einmal allein ist, hinter den Tresen geht, als Pseudo-Wirt Selbstgespräche führt und einen imaginären Gast Pommes bestellen lässt. Damit endete am 19. Juni die letzte Folge vor der Sommerpause. Weiter geht es mit dem Wahnsinn erst am 23. Oktober.