Die Amis haben das beste Dope! Das, was man nicht nachweisen kann, so dachte ich anfangs - das ist der Technologievorsprung, da kann man nichts machen. Da nimmt Armstrong "unserem Ulle" über eine Minute in dessen Paradedisziplin, dem Zeitfahren ab. Da sind die ganze Woche beharrlich vier Amerikaner unter den ersten sechs, deren Namen man noch nie gehört, geschweige denn buchstabieren kann. Die haben das beste Dope, dachte ich, Armstrong und seine Landsmänner.
Doch der Col de la Schlucht, ein weiterer Schicksalberg in der Reihe der vielen, vielen Schicksalsberge der Tour, der Col belehrte mich und alle, die Ähnliches insinuierten, eines Besseren – T-Mobile hat ihn auch! Da wird Armstrong nach allen Regeln der Kunst zerlegt, Wino hier, Wino da, und dann lässt Klödi die Supermaschine einfach stehen.
Das sind Momente, die einen ja richtig freuen – mit oder ohne Dope. Denn Lance Armstrong, im Fahrerlager offensichtlich ein anerkanntes Arschloch, auch wenn es keiner so deutlich sagt, Lance Armstrong erinnert einen schon irgendwie an "Metropolis", das kalte Herz der Maschine, oder an "Terminator", die Roboter haben die Macht und wir armen, kleinen Menschlein – das sind in diesem Falle die gewöhnlich-sterblichen Radler – sind dem schonungslos ausgeliefert.
Der Mensch ist zuvorderst und allen voran Jan Ullrich. Er selbst sagt im Interview, er sei vielleicht etwas zu lieb, aber dafür haben wir ihn auch alle lieb. Selbst seine Konkurrenten haben ihn lieb. Was kann ein Mensch mehr verlangen? Zum Beispiel einen zweiten Tour-de-France-Sieg, der wäre auch nicht übel. Und Discovery Channel ist nicht mehr das, was US Postal einst war. Ganz Deutschland, ach, die gesamte Radsportwelt, würde sich ins Fäustchen lachen, wenn John Connor alias Ulle den Aufstand gegen die Maschinen erfolgreich zum Abschluss brächte. Es wäre nicht mehr und nicht weniger als ein Beweis für das menschliche Prinzip, für Emotionalität, Eleganz und Leidenschaft – ja, lest diese Worte und bewegt sie in Eurem Herz, ein Beweis für den siegreichen Gang des Zivilisationsprozesses gegen die Welt der Maschine, des Plans und des Controllings.
Überhaupt die "Troika", T-Mobiles Dreigestirn, das klingt nach Triumvirat, drei Männer, ein Ziel – Cäsar, Crassus, Pompeius, doch welches Ziel? Gewinnen kann nur einer … Mir schwant, das eigentliche Ziel hinter dem Ganzen ist, dass wir diesen dämlichen Sound-Jingle überhaupt nicht mehr aus dem Ohr bekommen, tattatta-ta-ta, Hölle in drei Tonstufen, überall klingelt und trillert es, tattatta-ta-ta, T-Mobile-Superstars, die Troika macht es wahr, die Troika richtet es, Paris, der große Triumph, Wino, Klödi, Ulle, alle drei auf dem Treppchen, Tausende und Abertausende huldigen ihnen mit den Handies, tattatta-ta-ta. Die Werbung auf allen Programmen wird intensiviert, Studenten rennen in magenta-farbenen Kartons durch die Innenstädte und lassen Musik geschehen, tattatta-ta-ta, nein, bitte nicht – das ist unmenschlich.
Vielleicht sollen doch lieber die Maschinen gewinnen. Die Maschinen, so, wie es immer war, denn jetzt geht es in die Berge, jetzt beginnt die eigentliche Tour, und wenn Armstrong sich erst einmal tüchtig auf die Schnauze gelegt hat, dann macht es Klick, dann kippt der Schalter auf "on", dann geht es wieder los, der Wiegetritt, der Wiegetritt, die Maschine läuft wie geschmiert, die große Maschine …
Wenn erst einmal die Alpen kommen, die Berge der Haute Catégorie, der Regen, die Kälte, der Hungerast. Zwei, drei Tour-Etappen sind soviel Belastung wie eine ganze Fußball-WM inklusive Endspiel, sagt Rudolf Scharping. Wenn die Helfer sich zerreißen und die Kapitäne die letzten Körner verbrennen, allez, allez, allez, bergauf, der Gipfel naht. Wenn wir all das vor dem Fernseher verfolgen können, mit Crunchy-Chips und Weizenbier, die Alpen, die Pyrenäen, "großes Kino", verbotener Begriff eigentlich, aber hier haut es hin, die Tour, sie rollt …