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September 2005 |
Frank Fischer für satt.org |
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Das »Joey«-zentrische WeltbildWarum der »Friends«-Spin-off
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Joey setzt sein Dasein als unterdurchschnittlicher Schauspieler fort, der seit der Soap »Days Of Our Lives« nie wieder richtig Fuß gefasst hat. Dass das auch im »Friends«-Spin-off so bleiben wird, versinnbildlicht Joeys unvollkommener Blick auf die »HOLLYWOOD«-Lettern am Berghang über L. A., die er trotz aller Anstrengungen von seiner Wohnung aus nur als »OLLYWOO« erkennen kann.
»Okay, so you’re a rocket scientist …«
Als Nachfolger seines sarkastischen »Friends«-Mitbewohners Chandler darf sein Neffe Michael (Paulo Costanzo) in sein neues Appartement in L. A. einziehen. Er ist der sprichwörtliche Rocket Scientist, was Joey aber so wenig interessiert wie Shania Twain, wenn sie ihr unbeeindrucktes » … that don’t impress me much« trällert.
Costanzo ist als 20-jähriger, etwas weibischer Wissenschaftsnerd, der angeblich nicht weiß, wie man richtig Liegestütze macht, genauso überbesetzt wie Drea de Matteo als seine tussige Mutter Gina Tribbiani, die gleichzeitig Joeys Schwester ist und die eigentlich nur darauf achten muss, in jeder ihrer Äußerungen den Stolz auf ihre Brustvergrößerung mitzuspielen.
Das Verhältnis zwischen Joey und Michael ist von Anfang an determiniert als quietschfideles Kommunikationsproblem zwischen Dumm und Klug. Michael kennt eben Substantive und technische Zusammenhänge, die Joey nie auch nur akustisch verstehen wird, und dieser Gegensatz hat schon auch Comedy-Potenzial – wenn allerdings jeder zweite Dialog darauf hinausläuft, wird es zum Gähnen.
In der vierten Hauptrolle bleibt Andrea Anders als Joeys young hot Nachbarin Alex Garrett anfangs ziemlich unscheinbar, gewinnt aber im Lauf der Staffel ein klein wenig an Kontur. Sie arbeitet offiziell als Teilzeit-Anwältin, wirkt in ihrem Auftreten aber wie eine Blümchen pflückende Erstklässlerin. Aufgrund der Abwesenheit ihres Mannes hat sie wegen ihrer Schüchternheit inkognito die Rolle der Hausmeisterin übernommen und verteilt, statt klärende Gespräche zu führen, maßregelnde »notes« an die Mitbewohner und erlangt so lustigerweise den Spitznamen »note-zi«.
Sie ist in all ihrer übertriebenen Artigkeit leicht einzuschüchtern, muss sich von der arbeitslosen Friseurin Gina das Leben erklären lassen und spricht viel von ihrem Mann, der nicht ohne Grund kaum zu Hause anzutreffen ist. Immerhin wird sie zusammen mit Joey für einen fälligen Cliffhanger im Staffelfinale sorgen.
»I’m a 9, okay?«
In »Friends« war Joey Tribbiani der Exponent der New Yorker Dating-Kultur und sonst nicht viel mehr. In »Joey« reicht das allein nicht länger aus, der Charakter muss präzisiert werden. Das nahe liegende erste Date mit der Nachbarin Alex, die er sich zunächst als zukünftige Mrs. Joey Tribbiani vorstellt, kommt dann auch nicht zustande, denn sie ist ja verheiratet und sozusagen »undateable«.
Trotzdem gelingt es den Autoren kurz darauf ganz nebenbei, eine kleine Dating-Theorie aufzustellen, indem sie Joey als Berater des girls-unerfahrenen Michael sagen lassen: »Well, it’s important to choose someone at the same level of hotness as yourself. You could go two points either way, but I wouldn’t do much more than that. For example, I’m a 9, okay? So, I can hit on a 7, or a hypothetical 11.« Diese Theorie dient Joey als anthropologisches Know-how auch kurz dazu, Balz-Erfolge vorzuberechnen und fleißig Hotness-Nummern zu verteilen, sie versandet aber im Geplänkel und wird später nicht wieder aufgegriffen.
»Baywatch on skis«
Im Mittelpunkt der Serie soll außerdem Joeys Schauspielerei stehen. Seine Fähigkeiten beschränken sich allerdings schon außerhalb von TV-Studios darauf, seine Augen in Momenten der Erkenntnis zu riesigen Ballons aufzublähen, und die erste Serie, in der er mitspielt, wird noch vor der Pilotsendung eingestellt, weil es das Testpublikum abstoßend fand, dass es zu einer Darmentleerung auf einer Leiche kam. Verständlich.
Letztendlich findet Joey mit Hilfe seiner Agentin, über die noch zu sprechen sein wird, eine Hauptrolle in der neuen Serie »Deep Powder«, die eben jene Agentin in einer herrlichen ad-hoc-Tagline zusammenfasst: »It’s Baywatch on skis, and it’s the dumbest script I ever read. It’s gonna be huge!« Also genau das richtige für die Figur Joey und aber auch für die Serie »Joey«, denn mit »Deep Powder«, der Serie in der Serie, kommt für einige Folgen Lucy Liu als Gaststar hinzu. Sie legt als Produktionsleiterin einen souveränen Auftritt hin. Ihre Macken (Angst vor Berührungen, vor Tröpfcheninfektion, Klopfzwang) spielt sie so perfekt manisch wie George Clooney seine Spleens in den Coen-Brothers-Filmen.
Lucy Lius Szenen als neurotische Chefin sind die Höhepunkte der ersten »Joey«-Staffel, zusammen mit den Folgen, in denen Jennifer Coolidge Joeys Agentin Bobbie spielt. Sie ist viel zu selten zu sehen, gehört aber zum regulären Cast, und wer sie da hineinbesetzt hat, gehört in den Sitcom-Olymp.
»I have great news! I bought a horse!«
Bobbie ist dermaßen desinteressiert an Joey, an seinen Problemen, an seinem Werdegang, dass sie dem »Joey«-Publikum als Vorbild dafür dienen könnte, die Serie erst gar nicht mehr einzuschalten. Sie verlässt teilweise mit gigantischen Sprüngen die Joey-Bezogenheit der Serie, zum Beispiel wenn Joey voller Karriere- und Zukunftsangst ihr Büro betritt:
Bobbie: Oh, Joey, I’ve got great news!
Joey (hoffnungsfroh): Did I get that commercial?
Bobbie: No, I bought a horse!
Bobbie, die vom Sprachduktus her entfernt an Joeys »Friends«-Agentin Estelle erinnert, schäumt fast über vor Freude über ihren völlig kontextlosen Neuerwerb, und man wünscht sich viel mehr Brechungen wie diese. Es gibt viel zu wenig Bobbie in »Joey«. Stattdessen sucht sich das Drehbuch viel zu oft hastig seine Witze zusammen.
Dabei hält die Serie ihre eigenen Pointen nicht aus. Der abrupte Schnitt und das sofortige Herauskatapultieren aus einem noch präsenten Handlungszusammenhang ist dann die Ultima Ratio der Drehbuchschreiber. So bekommt die Serie keinerlei Tiefenstruktur, die Figuren können über ihre von Anfang an festgezurrten Typisierungen nie hinausgehen.
Paulo Costanzo muss, wie gesagt, völlig unter seinem Niveau spielen. Sobald sein Michael ein Fremdwort benutzt, unterbricht ihn Joey mit »Thank you, Michael«, und das ist am Anfang vielleicht noch lustig, schon bald hasst man aber die darauf folgenden Lachsack-Einspieler.
So wird mit Joeys Blödheit die ganze Serie bestritten, ohne dass es bei ihm zu den geringsten Irritationen kommt, ohne dass sich ein tragfähiger Widerpart entwickeln kann.
Die Grundidee des Spin-offs ist gleichzeitig auch sein Manko: Die Serie zelebriert das joey-zentrische Weltbild, und die Autoren lassen bis auf die wenigen Bobbie-Ausnahmen keinen Galilei zu, der mal kräftig daran rüttelt. Alle Figuren verhalten sich nur zu Joey, kaum zu den anderen Figuren. Daran hat Joey schwer zu tragen, zumal Matt LeBlancs Spiel nur wenige Wendungen kennt.
Für die zweite Staffel, die am 22. September mit einer Doppelfolge startet, wurden einige Änderungen, u. a. ein kompletter Setwechsel und ein neuer Sidekickkumpel für Joey, angekündigt (Spoiler: www.serienjunkies.de). Das angesichts des nahen Endes von »Friends« bekundete Interesse deutscher Sender (RTL, Pro7) an »Joey« ist indessen abgeflaut (www.quotenmeter.de). »Joey« ist eben doch nicht »Friends«, und trotz der warmen Sitcom-Farben, in denen die Serie fotografiert ist, will man sich in ihr noch nicht richtig zu Hause fühlen.
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