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August 2006 |
Nora Mansmann für satt.org |
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Die Dreigroschenoper |
Das Ensemble Foto: die-dreigroschenoper.de |
Wie zerreißen sie sich jetzt alle das Maul! Nachdem der von Brandauer kräftig angefachte Hype um das Großevent Dreigroschenoper brav herbeigeschrieben und -gesendet worden ist, wird das Projekt jetzt in den Rezensionen derselben Medien zerlegt. Das ist schon ein bisschen scheinheilig. Denn dass das Ergebnis der ganzen Aktion qualitativ dem Rummel nicht standhalten würde, und das nicht nur wegen der Größe des Rummels, das konnte man schon aus dem Kaffeesatz der Zutaten zu diesem Ereignis lesen. Dass nicht jeder Schauspieler, und sei er Brandauer ähh Burgschauspieler auf Lebenszeit, automatisch auch inszenieren kann, hat nicht nur KMB selbst bereits mehrfach bewiesen. Die Besetzung, ein ziemlich heterogener Haufen aus gestandenen Theaterschauspielern von Volksbühne bis Burgtheater, Filmgrößen und dem fachfremden Campino wurde hauptsächlich nach Namen und nach der Devise: “Wer viele(s) bringt, wird manchem etwas bringen“ zusammengekauft, und diese geballte Ladung Berühmtheit einmal live zu sehen war dann sicher auch für viele Zuschauer die eigentliche Attraktion des Abends. Und schließlich das Stück: nicht die einfachste Aufgabe für einen Regisseur, aber passend zu den Brechttodestagsjubiläumsjahrfeierlichkeiten allerorten, ungemein beliebt und durch eine unendliche Reihe musicalhafter Inszenierungen auch in den Kreisen, die es eigentlich kritisieren sollte, verpopularisiert. Man wundert sich, warum sich alle über die Deutsche Bank als Hauptsponsor wundern.
Niemand mit ein bisschen Einblick in die Theaterwelt und ein bisschen gesundem Menschenverstand konnte dieses Projekt künstlerisch ernst nehmen. Wir wissen nicht, ob Brandauer seine Regiearbeit für Kunst hält, gut möglich, aber dazu später. Realistisch betrachtet geht es hier um völlig andere Dinge: Diese Dreigroschenoper ist Mittel zum Zweck: Um Brandauers ausladendem Ego zu schmeicheln, um Josef Ackermann & Co. das befriedigende Gefühl zu geben, etwas für die „Kultur“ getan zu haben, um der gierigen Society-Prominenz eine neue Attraktion, eine neue Gelegenheit zu bieten auf einem „Event“ herumzustehen, Prosecco zu trinken, reich und schön zu sein und dabei von möglichst vielen Menschen gesehen zu werden. Aber dafür braucht es einen Anlass, und es ist schon ziemlich pervers, dass den ausgerechnet die Dreigroschenoper hergeben muss. So pervers, dass Brecht sich beim Im-Grabe-Rumdrehen wahrscheinlich gleichzeitig ins Fäustchen lacht.
Lohnt es sich, über Inhalte zu reden? Die haben Brandauer jedenfalls nicht interessiert. Er hat eine völlig äußerliche, unreflektierte Dreigroschenoper auf die Bühne gestellt, aber - da muss ihm Gerechtigkeit widerfahren - wer tut das nicht? Das ist eben das Problem mit diesem Werk, vielleicht ist es zu unterhaltsam, zu populär, die Songs zu schmissig, jedenfalls bringt die Dreigroschenoper jeden Regisseur, der sich ernsthaft an einer heutigen, gesellschaftlich relevanten Inszenierung versucht, in große Schwierigkeiten. Die meisten probieren es gar nicht erst, und dass Brandauer das auch nicht tut, war zu erwarten.
Also das übliche: Ein hübsches, angenehm unaufgeregtes Bühnenbild hat Ronald Zechner gebaut, einige riesige Holzkisten wie von einem Überseefrachter, in denen sich Peachums Bettlergarderobe und die Zimmer der Huren befinden, und die auch die anderen Schauplätze ansprechend dekorieren. Die beleuchteten Bilderrahmen, die Verfremdungseffekte für die Songeinlagen bereitstellen sollen - da hat wohl jemand seinen Brecht nicht gelesen-, sind zwar an sich ganz hübsch, aber deplaziert, genau wie die Schauspieler, die dahinter stehen und nicht wissen, was sie mit den schwungvoll aus dem Schnürboden abgeseilten Soufitten anfangen sollen. Immerhin kein Naturalismus, auch in der Lichtregie, die viel mit intensiven Farben arbeitet und dabei im Hintergrund einige schöne Impressionen liefert. Die Kostüme von Petra Reinhardt bleiben unauffällig, sie sind irgendwie historisch, also 20er Jahre, wobei es aber in der Haartracht der Räuberbande modische Aussetzer gibt, deren tieferer Sinn verborgen bleibt. Campino dagegen muss leider Scheitel tragen. Vielleicht ist das der Witz.
Man fragt sich bald, was eigentlich der Dramaturg gemacht hat, außer der Straßenfeger-Redaktion ihren Kaffee wegzutrinken. Anlässlich der Dreigroschen-Premiere erscheint ein Straßenfeger-Sonderheft, das als Programmheft fungiert. Da ist Brandauer ein Coup gelungen, das ist wirklich sympathisch, die Obdachlosen-Zeitschrift mit ins Boot zu holen, und die ist im Editorial des Lobes voll für das Dreigroschen-Team. Schön. Ein bisschen wie Ratten 07. Es wäre allerdings auch sinnvoll gewesen, wenn Ingolf Müller weniger die Straßenfeger-Leute kontrolliert hätte - das sind ja schließlich Routiniers -, und stattdessen der Regie auf die Finger geschaut hätte, wie das ein Dramaturg normalerweise auch tut. Aber vielleicht hatte er einfach Angst, oder noch schlimmer: Ehrfurcht vor Brandauer, und bezeichnenderweise wird Müller im Programmheft nur eine „Dramaturgische Mitarbeit“ zugestanden. Das merkt man dem Abend an. Die Sprechszenen ziehen sich ewiglich, dafür fehlt leider einiges an Musik. Schade, denn da stimmt wenigstens meistens der Rhythmus, was in den Spielszenen selten der Fall ist. Dazu trägt nicht nur der Mangel an dramaturgisch sinnvollen Strichen, sondern vor allem das Unvermögen der Regie bei, ein bisschen Zack in den Handlungsablauf zu bringen. Es wird geschleppt, keine Anschlüsse, keine Spannung auf der Bühne, lauter schwarze Löcher, in denen alles verpufft. Die Darsteller stehen in diesem zähen Brei die meiste Zeit herum wie bestellt und nicht abgeholt, vor allem Gottfried John, der wahrscheinlich zu lange Film gemacht hat. Die fehlende Energie können auch großartige Schauspielerinnen wie Birgit Minichmayr und Katrin Sass allein auf weiter Flur in diesem Riesenraum schwer herstellen, aber wenigstens blitzt da gelegentlich etwas auf. Am besten funktioniert die Sache auffallend oft dort, wo gerade nicht der Focus liegt, wenn etwa Sass ganz nebenbei die heimliche Trinkerei der Mrs. Peachum karikiert. Da hat Brandauer nicht aufgepasst. Auch die Nebenrollen entwickeln, wenn sie nicht gerade im Zentrum des Geschehens die Staffage abgeben, oft eine sehr schöne Präsenz, etwa die Huren in der Szene im Bordell. Da ist plötzlich eine Führung durch Regie zu sehen, und das mit einer erstaunlichen handwerklichen Qualität. Man ist geneigt zu vermuten, dass Brandauer die Arbeit an diesen Parts an die Assistenten vergeben hat.
Michael Kind, Campino Foto: Georg Meierotto |
Campino schlägt sich gar nicht schlecht. Er spricht ein bisschen zu bemüht fröhlich-natürlich, was manchmal wunderbar naiv wirkt, aber oft einfach nur zu dick aufgetragen - wie das eben bei Laien so ist, wenn sie versuchen, wie Schauspieler zu sprechen. Mit der Singerei klappt es ganz gut, solange sich der Tonumfang innerhalb des Ambitus’ der Bruststimme des als „Punkrocker“ apostrophierten Tote-Hosen-Sängers befindet. Aber vielleicht hätte ihn mal jemand auf seine Kopfstimme hinweisen können. Wirklich sehr schön ist Campinos Darbietung von Mackies letzten Songs: „Ruf aus der Gruft“ und „Die Ballade, in der Macheath jedermann Abbitte leistet“. Hier darf er endlich ein bisschen Show machen, und das passt sehr gut, da kommt Wut durch und für einige Momente ist tatsächlich eine Aneignung, die Interpretation einer Figur zu sehen. Sonst bleibt an diesem Abend schauspielerisch fast alles sehr äußerlich, weil die Darsteller im Brei von Brandauers Nicht-Regie festhängen.
Insgesamt ist die musikalische Qualität der Aufführung sehr uneinheitlich. Minichmayr ist eine wunderbar rotzige, aber auch zarte Polly, Maria Happel als Spelunkenjenny sticht mit ihrer klassischen Stimme heraus, auch Jenny Deimling als Lucy überzeugt gesanglich, während ihre schauspielerische Performance Fragen hinterlässt, da sie mit ihrem exaltierten Auftritt plus Auf-dem-Boden-Wälzen und Über-die-Bühne-Springen so gar nicht in Brandauers Anti-Regietheater-„Konzept“ zu passen scheint. Hat er da wieder nicht aufgepasst? Ist es Absicht von ihm, gar eine Parodie? Oder ist die Frau auf Speed? Es spricht jedenfalls wenig dafür, dass Reflexion dahinter steht.
Dass einiges an Musik fehlt, wurde bereits erwähnt, inhaltlich-dramaturgische Gründe dafür sind schwer auszumachen. Wurden die fehlenden Songs und Strophen als zu schwer für die Darsteller befunden? Jedenfalls wird auch die verbliebene Musik meist wenig ambitioniert, wie eine Nebensache, heruntergespielt, die Arbeit an der musikalischen Darbietung scheint sehr nachlässig gemacht worden zu sein. Zu hören ist das etwa in den Chorpartien, wo es dem Ensemble, das keines ist, die meiste Zeit nicht einmal gelingt, gemeinsam unisono zu singen. Auch gehen die Darsteller wenig souverän mit ihren Solopartien um und klammern sich an die betonten Zählzeiten. Kein Groove, kein Swing. Das gilt vor allem für Gottfried John, der die meiste Zeit sprechsingt und dabei noch farbloser bleibt als wenn er Text aufsagt.
Das also war das Großevent „Brandauer inszeniert Brecht/Weill“. Trotz aller Kritik: die neue Berliner Dreigroschenoper ist nicht so schlecht wie insgeheim befürchtet. Ein bisschen dramaturgische Straffung, ein bisschen musikalische Nacharbeit, ein bisschen mehr Zusammenspiel, und es könnte ein passabler Abend auf Stadttheaterniveau entstehen, im Admiralspalast, Berlin-Friedrichstraße.
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