Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
Dezember 2006 |
Sigrid Gaisreiter für satt.org |
|||
Bildvieh und Schrifttier
Einmal das dicke Buch aufgeschlagen und schon liest man sich fest. Charakteristisch für Brehm, er schildert die Fauna anschaulich, mit Witz und großer Kenntnis. Die Säugethiere und die Vögel nehmen den größten Raum ein, kleinere Abteilungen gibt es zu den Kriechthieren, Lurchen, Fischen, Insekten und Niederen Thieren wie Krebse, Austern oder Regenwürmer. Ohne einem linearen Schema verpflichtet zu sein, schildert er das Aussehen der Tiere, deren Lebensräume, Paarverhalten und Nahrungsbeschaffung und bezieht sich immer wieder auf Beobachtungen und Erkenntnisse von Kollegen, unternimmt aber auch geistes- und kulturgeschichtliche Ausflüge, erzählt von eigenen Erlebnissen bei der Tierbeobachtung und schildert deren Eigenarten. Jedes Tier, gleich Menschen, hat bei Brehm einen besonderen Charakter. Der schlaue Fuchs bekommt von der reinlichen Wüstenspringmaus Besuch, zum Glück ist der Leopard dabei fern, ist er doch "ein wahrhaft furchtbarer Feind aller Thiere und selbst des Menschen." Man könnte viel zitieren aus Brehm, manches hat sich überholt, so finden wir heute das Känguru nicht mehr "merkwürdig", für den Autor ist dessen Fortbewegung ein "schwerfälliges, unbehülfliches Forthumpeln", heute kennt man mehr Arten von Wombats, für Brehm ein "stumpfsinniger und gleichgültiger Gesell", ihm gesellt sich der Elefant zu, aber voller "Einfalt". Da paßt das "unfreundliche Wesen" des Flußpferds nicht dazu, ein wahrer "Höllensohn". Zu ungeahnten Höhen aber schwingt sich Brehmsche Prosa in der Abteilung der Vögel auf. So geht von den Araras eine "verhältnismäßige Ruhe und ein gewisser Ernst" aus, der Wellensittich ist voller "Liebreiz", "unser Wanderfalk" hat große "geistige Eigenschaften", die mit ihren "leiblichen Begabungen Hand in Hand gehen", die liegt bei den Ameisen an ihrem sprichwörtlich gewordenen Fleiß, das wußte auch schon Plinius und La Fontaine hat daraus herrliche Fabeln gezimmert. Brehm unternahm viele Expeditionsreisen, 1863 wurde er Zoodirektor von Hamburg, immer in Fühlung mit Tieren. Viele davon muß er wohl wirklich gern gehabt haben, seine Texte sind durchweg bewertend. Das klingt heute fremd, zumal für ein Sachbuch, aber es ist auch ein Stück Wissenschaftsprosa, wie man es eher im angelsächsischen Raum, etwa beim Biologen und Mathematiker d'Arcy Wentworth Thompson (1860-1948) findet, der dem rätselhaften Rhythmus der Natur in "Über Wachstum und Form" nachspürte. Ein Stück weit enträtselt Brehm das Leben der Tiere, auch wenn heute viel mehr über ihr Leben bekannt ist, es lohnt sich, dieses Buch, auch weil bei Brehm die heutige Funktionalisierung der Tiere eine viel geringere Rolle spielt. Das Buch ist deshalb auch unter wissenschafts- und kulturhistorischen Aspekten von Bedeutung, vor allem aber wegen seiner Beschreibungskunst, die einfach Lust macht den Tieren persönlich oder als Schrifttier zu begegnen.
Eine persönliche Begegnung ist bei Ann-Kathrin Holz' Sammlung ausgeschlossen, entwirft sie doch, wie Brembs, einen Kosmos imaginärer Tiere, die, so die Vorrede, Brehm "in seinem Tierleben vergaß und Grzimek nicht kümmerte". Das Büchlein nennt sich eine "Wertvolle Sammlung verschwundener Tiere" und das alles ist ein großer Spass. Die Autorin bringt es von B, wie Bleichbaselitze bis Z, dem Zotengelenker auf 26 Tierchen. Auf der linken Seite jeweils der Name und wie es in der Wissenschaft üblich ist, auch auf Latein. Es folgt die Klassifizierung nach Arten, das wäre beim Frostotter die Landkuh, beim Murmännchen das Rüsseltier und bei der Blauen Lulu der Flügler. Selbsterklärend die nächste Rubrik, alle sind sie ausgestorben, aber wo bloß? Das geschah beim Profanolm am Strand, beim Zotengelenker beim Arzt und die Bleichbaselitze erwischte es mitten auf der Straße. Die Gründe sind vielfältig, von der Ruhestörung über das Bankgeheimnis, das plauderte der Sorgenbrecher aus, dem Loombromsel war wohl der Einkauf zu schwer und der arme Monoschenkler vertrat sich beim Schuhkauf. Nach einer Kurzbeschreibung folgen Beweise der Existenzen. Der Sasi Susi muß wohl in einer Dose Katzenfutter gehaust haben, der Hacknab machte es sich auf antiken Statuen bequem und vom Comotan blieb nur das Bild einer Steckdose übrig. Nach Angaben zu Fundorten geht es auf die rechte Seite, hier eine Zeichnung des nebulösen Getiers. Schönes Bildvieh sieht in die Gegend, nebst Zeichnungen zu weiteren Details, etwa zu Radformen, da der Loombromsel sich auf solchen fortbewegt. Bei Brembs war alles möglich, er ließ ein Krokodil mit umgehängten Luftballons über die Dächer schweben. In der realen Tierwelt geht das nicht, auch wenn manches von Brehm erzählte Detail auch heute noch Erstaunen auslösen mag. Wie auch immer, auch für Autoren, die Skurrilitäten und dem Grotesken eher zuneigen, vor Brehm verbeugt sich auch Holz. So soll es auch sein, auf seinen Schultern stehen sie alle, die heute Expeditionen ins Tierreich unternehmen. Sein Zoo zeugt von Entdeckerfreude an der Vielfalt und Vielgestalt, nun in einer großartigen Ausgabe, fein strichelt Ensikat jedem Tierchen sein Pläsierchen. |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |