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Juli 2007
Nora Mansmann
für satt.org




Das Land des Lächelns von Franz Lehár

Musikalische Leitung:
Kirill Petrenko

Inszenierung:
Peter Konwitschny

Regiemitarbeit:
Bettina Bartz

Bühne:
Jörg Koßdorff

Kostüme:
Michaela Mayer-Michnay

Choreografie:
Enno Markwart

Chöre:
Robert Heimann

mit: Tatjana Gazdik, Jens Larsen, Tom Erik Lie, Hans-Martin Nau, Karen Rettinghaus, Peter Renz, Stephan Rügamer, Barbara Sternberger u.a.

Das Land des Lächelns
von Franz Lehár

Zu Beginn der Vorstellung von Franz Lehárs Operette „Das Land des Lächelns“ in der Inszenierung von Peter Konwitschny an der Komischen Oper öffnet sich kurz der Vorhang und gibt den Blick frei auf ein Tableau, bestehend aus dem gesamten Personal der Operette, das wie versteinert lächelt, während sich der Vorhang schnell wieder schließt. Mit diesem kurzen Prolog ist die zu erwartende Grundtendenz der Inszenierung angezeigt: Konwitschny interessieren weder Operettenseligkeit noch falscher Exotismus, der Regisseur ist bemüht, Spannungen und Brüche herauszuarbeiten und zu einer gesellschaftskritischen heutigen Lesart zu kommen. Dass er dabei nicht immer ganz subtil vorgeht, scheint das Premierenpublikum nicht zu stören, ungetrübt von sehr vereinzelten Buhs wird das Inszenierungsteam am Ende des Abends fast ebenso euphorisch gefeiert wie die Musiker.

Der Wiener Salon des Grafen Lichtenfels, in dem die Geschichte mit der Feier für den Reitturniergewinn der Tochter des Hauses beginnt, wird - fern von Naturalismus - durch verschiedene Versatzstücke angezeigt: Im Hintergrund gemalte Prospekte, die Logen der Hofoper und eine Ballszene, weiter vorne mittelgroße dreidimensionale Kulissen, die auf „typisch Wienerisches“ verweisen: Strauß-Büste, Stephansdom, halbes Praterriesenrad, Pferdekopf (Bühne: Jörg Koßdorff). Die Wiener Party-Gesellschaft in knallbunten Kostümen (Michaela Mayer-Michnay) wird Zeuge des Heiratsantrags des braven, aber offenbar etwas trotteligen Leutnants Gustav „Gustl“ von Pottenstein an Lisa von Lichtenfels (Tatjana Gazdik), die aber den exotischen und deshalb aparteren Chinesenprinzen Sou-Chong (Stephan Rügamer) vorzieht. Der weilt als Gesandter in Wien und hat ebenfalls ein Auge auf die Grafentochter geworfen, was er aber, entsprechend der chinesischen Devise „Immer nur lächeln, wie’s da drin aussieht, geht niemand was an“, zunächst nicht zeigt.

Während seines Auftrittsliedes lässt sich Rügamer auf der Bühne vom Maskenbildner zum Chinesen machen, eine hübsche Regie-Idee mit deren Hilfe Konwitschny die einfache Bipolarität zwischen dem „wir“ und „den Fremden“ aufbricht und als Konstruktion darstellt. Schön auch ein Moment während der folgenden „Tee en deux“-Szene: Beide Darsteller nehmen sich plötzlich gegenseitig die Perücken ab; erst dann ist eine wirkliche Vereinigung in einer langen Umarmung möglich. Das zeigt: Es geht nicht um China oder Österreich, auch nicht um 1912 oder 1929, sondern um Mechanismen von Ausgrenzung und Abschottung gegenüber dem „Fremden“, sowie um dessen Aneignung, wie sie uns allerorten und zu allen Zeiten begegnen. Lehárs Operette ist selbst eine solche Projektion.

Nun dreht sich die Bühne, wir folgen dem Paar nach China (dem Raumkonzept nach die Kehrseite Wiens), wohin Sou-Chong zurückberufen wird, um Ministerpräsident zu werden, und wo die junge Liebe schnell mit den rigiden Traditionen in Konflikt gerät. Unter dem im Bühnenhimmel verschwindenden Dach einer Pagode erheben sich zweistöckige käfigartige Galerien, die gegebenenfalls mit Jealousien verschlossen werden können und damit vielleicht auf die Abschottung des Landes gegenüber der Außenwelt verweisen oder auf den totalitären Charakter des Regimes. Hinter den Jealousien erscheint ein Arbeiterchor in den bekannten blauen Kitteln und Mützen, Sou-Chongs Onkel Tschang (gewohnt solide: Jens Larsen) sieht aus wie Mao, diverse Diktatoren und Weltbeherrscher aus der Geschichte kommen zu Besuch und veranstalten zur sonst meist gestrichenen Lehár’schen Ballettmusik einen Tanz der Waffensysteme. Das ist ganz nett anzusehen, recht kurzweilig, aber doch vorhersehbar und relativ überflüssig. Auch der durch die Ausstattung stark forcierte Bezug auf das kommunistische China erscheint problematisch. Zwar löst der nun aufbrechende Konflikt zwischen Sou-Chongs traditionsbestimmten Verpflichtungen (die Vermählung mit vier chinesischen Frauen) und der Liebe zwischen ihm und Lisa trotz dieser visuellen Vorgabe weiter gehende Assoziationen aus, zwar kann dieses China, auf das verwiesen wird, aufgrund der nichtnaturalistischen Artifizialität von Bühne und Kostümen als Chiffre für jedes beliebige Gesellschaftssystem gelesen werden, in dem Traditionen und Rituale den Gefühlen und Wünschen der Menschen im Wege stehen. Andererseits sind die Verweise auf die Volksrepublik aber zu explizit und zu wenig abstrakt, als dass diese Deutung ganz stimmig erscheint: Es könnte sich genauso gut um eine einfache Übersetzung des im Libretto beschriebenen Chinas von 1912 in das China von heute handeln. Das wäre allerdings eine schiefe und unreflektierte Analogiebildung. Hier hätte etwas mehr Abstraktion in der Ausstattung gut getan, um wie im ersten Akt die Allgemeingültigkeit der Problematik herauszustreichen.

Auch die eingefügte Sprechszene mit Flüchtlingsfrauen aus aller Welt, die schrill Heiner Müllers „Herzstück“ deklamieren, ist nicht wirklich gelungen und bleibt wie der Tanz der Diktatoren nicht mehr als der Versuch eines politischen Einwurfs, der sich keinesfalls inhaltlich zwingend ergibt, sondern eher fehl am Platze wirkt. Am ehesten vermag die Szene durch ihre dramaturgischen Funktionen zu interessieren: Löst einerseits ihr Beginn starke Überraschung und damit kurzzeitig große Spannung im Publikum aus, so wirkt andererseits ihr Ende, an dem die Frauen in Lachen ausbrechen, als wollte der Regisseur dem Publikum verschmitzt und gleichzeitig selbstironisch die lange Nase drehen. Schön auch der spätere Rückverweis auf Müllers Dramolett, in dem sich das titelgebende Herz am Ende als Ziegelstein erweist: Gustl, der Lisa nach China gefolgt ist um sie zurückzuholen, hat sich zwischendurch in Sou-Chongs Schwester Mi verliebt, entscheidet sich aber dennoch für die Rückkehr nach Wien. Als Abschiedsgeschenk erhält er von Mi einen Ziegelstein.

Musikalisch gibt es am Premierenabend kaum etwas zu meckern. Kirill Petrenko treibt das hervorragend disponierte Orchester der Komischen Oper in seiner letzten Premiere als GMD zu selten gehörten Spitzenleistungen. Sonst häufig von Startschwierigkeiten geplagt, arbeiten Dirigent und Orchester hier von Anfang an auf gleichbleibend hohem Niveau und liefern eine höchst präzise Interpretation von hoher orchestraler Transparenz, die die einzelnen Stimmen bestens verfolgbar macht. Während der Chor (Einstudierung: Robert Heimann) aufgrund seiner nur kleinen Rolle im Stück eher im Hintergrund bleibt, vermag das Solistenensemble fast durchgängig zu überzeugen. Tatjana Gazdik als Lisa startet etwas verhalten, ihre Stimme kommt vor allem aus der Tiefe des Bühnenraums nicht immer in hinreichender Stärke in die hinteren Reihen an. Sie steigert sich aber im Laufe des Abends. Stephan Rügamer gelingt es in einer großartigen Leistung, seinem Sou-Chong eine große emotionale Glaubwürdigkeit zu geben, und ihn auch musikalisch sehr differenziert darzustellen, indem er nicht vorrangig auf Kraft und Lautstärke setzt, und sich dadurch sehr angenehm vom Quetschgesang der allermeisten Tenöre abhebt. Karen Rettinghaus in der kleineren Rolle als Mi lässt aufhorchen; sie stielt mit ihrem klaren, präzisen Gesang gelegentlich sogar der Hauptdarstellerin die Show. Tom Erik Lie kann als Gustl ebenfalls überzeugen.

Natürlich lässt Konwitschny seine Inszenierung nicht so (wenigstens halbwegs) versöhnlich enden wie Lehár: Unterwirft sich laut Libretto Sou-Chong den Traditionen und gibt seine Lisa frei, damit sie mit Gustl nach Wien zurückkehren kann, während der Chinese mit einem maskenhaften Lächeln zurückbleibt, werden bei Konwitschny die beiden Europäer auf ein stummes Zeichen Sou-Chongs hin von zwei blaubekittelten Schergen ermordet. Der Prinz wiederholt nun sein „Immer nur lächeln“, während sich alle Darsteller erneut aufstellen zum Tableau des Beginns.