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13. Juni 2008 |
Herbert Hindringer für satt.org |
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Sie lässt sich zum Affen machen,
aber nicht demütigen
Medea, die Kolcherin, hat sich in den griechischen Helden Jason verliebt und ihm geholfen, das goldene Vlies zu erlangen. Die beiden sind dabei über Leichen gegangen und seitdem auf der Flucht. Es verschlägt sie schließlich nach Korinth, wo Jason auf die Milde des Königs Kreon hofft. Dieser ist tatsächlich bereit, Jason Asyl zu gewähren, Medea aber ist in des Königs Augen eine Barbarin, eine Wilde, und so ist er im Zweifel, ob er sie mitsamt den beiden Söhnen allenfalls als Anhängsel von Jason dulden soll. Die Ausgangssituation. Ein Familiendrama nimmt seinen Lauf. Die Eltern streiten, die Eltern gehen auseinander, der Streit wird auf dem Rücken der Kinder weiter ausgetragen. Kennen wir. Auch die Geschichte von Medea mag man kennen. Aber hier im Deutschen Schauspielhaus wird mehr geboten, nämlich ein prall gefüllter Textkörper mit menschlichem Antlitz, mit Rotz und Tränen. Jason küsst Medea, Jason schreit, Medea brüllt zurück. Die beiden sind einander schlechtes Gewissen, haben sich tief in Schuld verstrickt und können nicht anders, als sich immer wieder gegenseitig daran zu erinnern. Nagende Gewissensbisse, keine Knutschflecke. Jason zweifelt immer mehr, Medea liebt immer noch. Jason macht es sich nicht leicht, aber dann doch etwas leichter, indem er sich mit Kreon gut stellt und mit dessen Tochter Kreusa, einer Art Jugendliebe, anbändelt. Medea sieht nur noch eine Chance für sich und die Kinder: sie gelobt, sich gesittet, anständig, mithin griechisch zu benehmen. Doch soll sie stattdessen auf Geheiß des Königs und zu dessen Belustigung die Wilde spielen, sie muss springen, kriechen, ist Schimpanse, Frosch und soll als Esel auf allen Vieren in die Knie gehen. Aber Medea, selbst eine Königstochter, ist zu stolz, zu unverblümt wehrt sie sich schließlich, sie steht auf, sie steht zu ihrer Herkunft und zu ihrem Eheversprechen und vergibt damit endgültig die Möglichkeit, die Familie auf diese bucklige Art vielleicht retten zu können. Jason, stets zerrissen und mühsam wieder zusammengeklebt, wendet sich ab und endgültig Kreusa zu. Medea hadert, zürnt, überlegt und ringt mit Worten und Gedanken, kämpft mit ihren Ängsten, ihren Verletzungen. Sie sagt sich und uns immer wieder vor, was sie antreibt. „Niemand halte mich für schwach. Nein, ich bin anders“. Falscher Stolz, richtiger Schmerz: Ausweglosigkeit. So nimmt die Sache ihren Lauf und Medea streift an den Wänden entlang wie ein Tiger im Käfig. Regie führt Karin Henkel, die Inszenierung führt zu Gänsehaut und beinahe auch zu Tränen. Es ist die Intensität, die gegen die Augen drückt. Das Bühnenbild passt wie die Faust. Die Musik ist ein Zeigefinger. Das Klatschen tut nicht weh. Philipp Otto als Jason spielt so grandios, dass einem angst und bange werden kann. Und Ute Hannig gibt die Medea so nah und fern, so breit und schmal, dass man sich als Zuschauer richtig grandios vorkommt, nur weil man dabei ist, Zeuge sein darf. Ganz großes Kino, und das live. Mit zitternder Halsschlagader bei Hannig, wenn sie ins Publikum starrt, um zu der Antwort zu gelangen, wie sie am besten Rache üben kann; mit markerschütterndem Schmerzensgeschrei bei Otto, den diese Rache letztlich doppelt und dreifach trifft und der verzweifelt in die Vergangenheit hinein brüllt, als könne er sein Schicksal so noch nachträglich ändern, aber das Echo ist natürlich längst verstummt. In den Nebenrollen: Marco Albrecht und Marie Leuenberger, vortrefflich; Albrecht spielt den Stinkstiefel mit dieser ach so leicht wirkenden und anziehenden Lässigkeit, Leuenberger überzeugt mit ihrer Lebendigkeit und schmetterlingshaften Nachdrücklichkeit als Königstochter (und kreischen kann sie!!). Ach herrje, alles an dem Stück scheint gut zu sein. Nur dass Millionen Till Schweiger zusehen und nicht Philipp Otto bei seiner Kunst, das ist nicht richtig - seine Konzentration, seine Mimik und Hingabe an die Rolle, ein durchgängiger Genuss. Ute Hannig hat fast jeder schon gesehen, nur meist kann man sich an diese Träume nicht erinnern. Die Zerissenheit und der Wahn in einer Person, die einen wie ein richtiger Alptraum nicht mehr schlafen lässt, weil man nicht mit Sicherheit sagen kann, das es einen nicht betrifft: das, was man sah. Wie sinnlich die Hannig ist. So viele Augen haben Platz auf ihr in dieser Szene, als ihr auch die Scheinwerfer in alle Bühnenecken folgen und sie anstrahlen, sie als schuldbeladen ausgemacht haben; die Bühne als Gefängnishof, kein Entrinnen - in dem Moment, da sie ihren Entschluss gefasst hat: die Widersacherin zu töten und zur Vollendung der Rache auch die eigenen Söhne. Als dies volbracht ist, sieht man Jason tropfend am Abgrund stehen und sein Schicksal mit einer Vehemenz verfluchen, die niemanden kalt lässt. Nur Medea, die im Hintergrund von oben herab - gleichsam aus der Zukunft - mit neuer Familie, nämlich verheiratet mit dem König von Athen, dem sie zwei „neue“ Söhne geschenkt hat, lächelnd winkt, so wie jede glückliche und frischvermählte Königin vom Balkon aus dem gemeinen Fußvolk die Ehre erweist, die lächelt und winkt (wie jede Herrscherin über die Situation), winkt und lächelt (wie Racheengel dies immer tun), ist scheinbar arglos und rein, winkt und lächelt immer weiter, kann gar nicht mehr aufhören, während Jason brüllt und brüllt. Dieser Schluss, diese Diskrepanz, dieser kalte und zugleich heiße Hohn, diese Erschütterung ist so fulminant, dass man als Zuschauer denken mag, nichts ist jemals so fulminant als Muskelkater ins Herz hineingefahren. Und dann erlischt das Licht. Und man zittert weiter. Ich habe nichts mehr denken können. Und das Familiendrama hat seinen Lauf genommen. Wie wir es noch nicht kannten. Das Stück hat aber dann sogar noch ein Happy End: Die begeistert klatschenden Zuschauer, die lächelnden und wissenden Schauspieler. |
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