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8. Februar 2009
Tina Karolina Stauner
für satt.org



»Wozzeck« von Alban Berg
Oper in drei Akten in der
Bayerischen Staatsoper in München

Musikalische Leitung: Kent Nagano; Inszenierung: Andreas Kriegenburg; Bühne: Harald B. Thor; Kostüme: Andrea Schraad; Licht: Stefan Bolliger; Choreographie: Zenta Haerter; Chöre: Andrés Máspero; Dramaturgie: Miron Hakenbeck; Darsteller: Wozzeck: Michael Volle; Tambourmajor: Jürgen Müller; Andres: Kevin Conners; Hauptmann: Wolfgang Schmidt; Doktor: Clive Bayley; u. a.


"Die Hoffnung ist, dass man über die emotionalere Wahrnehmung der Gewalt, die einer Figur, einem Menschen, einer Kreatur zugefügt wird, einen Schmerz spürt und daraus folgend auch eine Wut entwickelt, die produktiver ist als das rationale Verstehen." (Andreas Kriegenburg)

In der Bayerischen Staatsoper München ist seit dieser Spielzeit Klaus Bachler Intendant, der vorher das Wiener Burgtheater leitete. Am 13.11.08 war in der Zeit zu lesen: "Die konservative Klientel fürchtet sich vor seinen Regisseuren und das auf einen Modernitätsschub hoffende Publikum vor seinem cleveren Eventmanagment." Er selber sagte: "Ich möchte die Pragmatik stören, ohne den Betrieb zu stören ... Die Regie soll risikofreudiger und gegenwartsbezogener werden."


Hinweis:
Die Oper ist am 17.07.09 bei den Opernfestspielen wieder zu sehen.

Die Inszenierung "Wozzeck" von Alban Berg, bei der Andreas Kriegenburg Regie führt und Kent Nagano dirigiert, ist eine Koproduktion mit dem New National Theatre Tokyo. Ein "Kraftwerk der Gefühle", wie Alexander Kluge die Oper nannte, das eindringlich perfekt funktioniert. Die Bühne ein rechteckiger, blendendheller bewegbarer Raum im dunkel-abgründigen, mit Wasserboden versehenen Bühnenraum. Dieser grellleuchtende, weit in den Vordergrund geschobene Zimmerquader läßt das Bühnenbild so dominant erscheinen, dass die Kraft des Orchesters geradezu davon kleingehalten und fragil wird. Und man sich vom Visuellen irritiert bedrängt fühlt. Während man die Handlung der blassgesichtigen, beigegekleideten, fast puppenartig wirkenden Akteure beobachtet. Als der helle Raum weiter im Hintergrund schwebt beginnt man auf einmal das Orchester zunehmend wie eine sich entfaltende magische Macht wahrzunehmen. Bühne von Harald B. Thor und sporadisch auftauchende choreografische Elemente wirken dabei anfangs noch als ein Spiel mit Formen, das eher Beliebigkeit hat, und sind aber ab einem bestimmten Moment zusammen mit dem Orchester exakte Präzisionsarbeit.

»Wozzeck« von Alban Berg
Foto © Bayerische Staatsoper 2008

Kriegenburg lässt die Handlung in der Zeit der literarischen Vorlage Georg Büchners in den 1820er, 30er Jahren und sagte bei einem Gespräch, das im Programmheft zu finden ist."... Es fällt dem Zuschauer, glaube ich, nicht schwer, die Situation der Armut mit ihrer Gewalt, mit ihrem tiefen Eingreifen in die Psychologie der Figuren aus einer anderen Zeit hin in unser Verständnis zu übersetzen. Es ist vielleicht fast einfacher, die Grausamkeit und das gewalttätige Potential, aus einer zeitlichen Distanz emotional wahrzunehmen ..." Trotzdem wäre allerdings eine Adaptiom ins Heute mit seinen darin greifenden Methoden und Mechanismen wichtig. Es ist ein allzugrobes Bild, wenn man eine Menschengruppe sich auf einen ihnen vorgeworfenen Fraß stürzen sieht, wie sie das im Wasser der Bühne in dieser Inszenierung tun. Kriegenburg meint weiter, dass heutige medizinische Experimente nicht so gefährlich sind, die Unversehrtheit des Individuums weniger missachten, als das Experiment an Wozzeck. Fragt sich, ob er sich wirklich bewusstgemacht hat, was heutige medizinische Experimente sind und bedeuten. Klargemacht hat er sich aber folgendes: "Man muß die Idee des Handelns in einen größeren Kontext stellen. Wenn man tatsächlich handeln wollte, ginge es ja nicht darum Wozzeck zu helfen, sondern, den Doktor wegen Menschenversuchen einzusperren und den Hauptmann wegen nachgewiesenen Sadismus seines Postens zu entheben."

Hinsichtlich der Komposition wird von Kriegenburg speziell auf zwei Motive hingewiesen: ein verstörendes, erschreckendes und eines des Trostes. Es entstehen dabei extrem zarte und auch geradezu gewaltätige Momente. Kent Nagano lässt im schwerblütig-expressionistisch Atonalen bis hin zu der dazu kontrastierenden volksliedhaften Leichtigkeit der Oper eine surrelistische Kraft entstehen, die auseinanderstrebene Energien und musikalische Sätze und Charakterstücke zu einer vollkommenen, suggestiven Einheit werden lässt. Eine Verbildlichung surrealistischer Sphäre erscheint mit manch seltsamen, vexierbildartigen Spiegelungen im Bühnenbild. Das öfters an Francis Bacon denken lässt und seine Gemälde, in denen er merkwürdige Figuren in geometrischen Raumkonstruktionen zeigt. Diese strenge Bildsprache steht wie im Kontrast zu Naganos poetisch-feiner Art der musikalischen Sprache. Ein geradezu formvollendetes Gegensatzpaar mit Spielraum für berückende Szenen.


Erstveröffentlichung bei skug.at.