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27. September 2018 |
Roland van Oystern für satt.org |
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![]() PAC-MANS FEINDESEKT KORR 18 TOUR mit: NAOMI SAMPLE & THE GO GO GHOSTS, GWEM, DIE MODERNE WELT, STU sowie SPUTNIK BOOSTER & THE FUTURE POSERSFür Computerspiele habe ich mich nie interessiert. Mein Cousin hat die Dinger gespielt und ich saß daneben, und wenn ich doch mal drankam, war ich sofort Game Over. Ich war froh, wenn ich nicht drankam. Das Gedüdel löst heute kaum Sehnsucht bei mir aus, eher Bedrückung. Im Herbst 2001 überreichte mir mein väterlicher Freund O. Kraus eine CD-R: SPUTNIK BOOSTER, 9 Eigenkompositionen, alle von ihm selbst programmiert auf dem C64. Mir war es nicht möglich, das über mich hereinbrechende Gestampfe, Gebläse und Geklingel schlüssig zu bewerten. Ich ließ mich ein paarmal davon wecken. Mich schreckte es jedoch so, dass ich es wieder sein ließ. Der Musik gewordene Wahnsinn. Ich wollte aber ein Musikhörer werden, so mächtig, dass ich stundenlang SPUTNIK BOOSTER genießen konnte, ohne mit der Wimper zu zucken. Beinah hatte ich dieses Stadium erreicht. Dann begannen 2004 die Liveshows. THE FUTURE POSERS traten auf den Plan: Menschen in aus Kartonage und Alufolie gebauten Roboteranzügen hampeln unkoordiniert zur Musik von SPUTNIK BOOSTER. Das Ergebnis: Konzertante Darbietungen der Extraklasse. Nach etwa hundertfünfzig davon, welchen ich persönlich als FUTURE POSER teilhaftig war, ging’s los: Bereits von einem einzigen Takt SPUTNIK BOOSTER bekam ich Schweißausbrüche und Atemnot. So legte ich das ehrenwerte Amt des FUTURE POSERS nieder und wurde, dank der Gnade des lebendig Altvorderen O. Kraus, in den Stand des Biographen erhoben. Manchmal ist es schließlich schön, einfach dabei zu sein. Nach einer durch den Schleier von zehn Jahren Existenzerhaltung besehen recht erfolgreichen SEKT KORR 8 TOUR wurde das Unternehmen im Jahr 2018 fortgesetzt. Die Gegenwart:
Mittwoch, 22.08. Augsburg: Lenz (SB-Manager seit irgendwann) holt Meta und mich mit so und so viel Stunden Verspätung ab. In der Straße von Eisenbarth (Future Poser) riecht es wie zu Zeiten der Pest. In der Mülltonne unter seinem Fenster schwirren hunderte von Fliegen.
Donnerstag, 23.08. Hamburg. »Rattenplage wegen Megahitze« titelt die BILD. Ich ziehe mir am zweiten Tag schon das zweite Paar Socken über. So darf es nicht weitergehen, sonst wird es eng. Seit ich die Löchrigen rigoros fortwerfe, schrumpft mein Sockenkontingent gefährlich zusammen. Die schlechten Sohlen haben schuld, die werden so dürftig geschustert inzwischen. Nach wenigen tausend Fußmetern sind sie bereits durch und schorfen einem die Fersen dick.
Freitag, 24.08. Hamburg. Fortsetzung der Erstbesichtigung Hamburgs für meine Frau Meta. Ich fühle mich mächtig bereist mit meinen sich vom Elbtunnel bis Planten un Blomen erstreckenden Stadtkenntnissen. Führung meinerseits durch die schöne Grünanlage. Äußerung der Hoffnung beiderseits, dass Carsten Friedrichs, der Textdichter von »Begrabt mich bei Planten un Blomen«, eines fernen Tages hier liegen darf. Auf dem Hamburger DOM Volksfest Besuch des Mäusezirkus, dreihundert kleine Mäusemädchen sorgen darin für ein lustiges Treiben. Ich trage am dritten Tag schon das dritte Paar Socken. Irgendwann ist Abfahrt Richtung Lübeck-Travemünde zur Nachtfähre nach Trelleborg (Schweden). Internationales Gewässer: Hier rufe ich irgendwann meinen eigenen Staat aus, auf irgendeinem beschissenen Kutter, wenn das WLAN nicht mehr so teuer ist, dann mache ich das, und dann bin ich berühmt. »Den habe ich noch gekannt«, werden die anderen dann sagen. »Genau den.« Allerdings: Zukunftsmusik! Eisenbarth, Lenz und Meta zersägen die Kajüte mit ihrem Geschnarche, ich stopfe mir Papier in die Ohren, nehme eine kräftigen Schluck Ouzo und träume von den abwegigsten Katastrophen. Samstag, 25.08. Trelleborg. Der Schluck Ouzo muss recht groß gewesen sein. Vielleicht waren es mehrere. Manchmal verselbständigt sich so was. Man bekommt es gar nicht recht mit. Na ja, Besichtigung irgendeiner Stadt mit Supermarktaufwartung. Für die Selbstbedienungskassen braucht es einiges an Kompetenz. An den altertümlichen Menschenkassen sitzen Leute vom Fach, da piepst es bei jedem Produkt, das bringt der Laie gar nicht hin. Da piepst es vielleicht bei jedem dritten oder vierten. Aber nicht schlimm, am Ende ist der Sack voll und alle zufrieden. Astrein. Weiter zur Mittagsfähre. Lenz am Steuer. Management vom Feinsten. Nach so und so vielen Kilometern Landstraße sind wir schon wieder auf dem Wasser und werden übergesetzt von Ystad (Schweden) nach Rønne auf Bornholm (Dänemark). Beim Anladen ertönt auf der Fähre erfreulicherweise das Bornholm-Lied: »Bornholm! Bornholm! Bornholm!« Bornholm-Gudhjem Die Ferieninsel Bornholm ist »Künstlerkolonie und Touristenmekka« (Irgendein Werbeschild) und außerdem Terrain des Chipwrecked Festivals. Meta und ich beschließen von unserem Ferienhaus in Bornholm-Gudhjem das Festival zu Fuß aufzusuchen. Sieben Kilometer geradeaus, bisschen die Landschaft auf sich wirken lassen, besser geht’s nicht. Nach ein, zwei Kilometern regnet es uns auf einmal voll. Von oben fällt der Regen auf uns runter. Zuerst schlagen wir uns in halbwegs schützendes Gestrüpp, doch es ist Regen der Sorte, die Stunden anhält. Das erkennt man rasch, wenn man sich mal ein bisschen mit Regen beschäftigt hat. Mal schauen also, ob per Anhalter weiterzukommen ist auf Bornholm. Die Dänen machen einen guten Eindruck: Das dritte Fahrzeug fährt rechts ran. Eine überaus freundliche Dame und ihre Mutter bitten uns auf ihre Rückbank. Wir nennen unsere Anhaltspunkte und fahren sie an: Nichts. Die Frau will uns aber nicht einfach irgendwo im Regen stehen lassen, darum geht die gemeinsame Fahrt weiter. Langsam wird es unangenehm. Wie in einem dieser seltsamen Filme, in dem alles höflich und nett losgeht, bis langsam klar wird: Einer lügt. Ich denke: Ich bin der, der lügt. – Oder Meta vielleicht. Weiß man noch nicht so genau. Dem Himmel sei dank taucht am Wegrand plötzlich ein papierener Fetzen auf: Festival, hat jemand draufgeschmiert. Den könnten wir genauso gut erst vorhin selber da angebracht haben. Trotzdem, ein Anfang. Wir folgen dem Zettel und gelangen zu einem hölzernen Schaukelpferd, darauf wieder: FESTIVAL. Diesmal in Großbuchstaben und verschiedenen Farben für die einzelnen Buchstaben. Es ist das Ende des geteerten, befahrbaren Weges. Dahinter folgt ein matschiger Feldweg und an dessen Ende eine Scheune, die an die Behausung der degenerierten Familie aus »The Texas Chain Saw Massacre« erinnert. Da drin muss das Festival sein. Heiliger Strohsack! Wir sind da.
Chiptune Gipfeltreffen. Über drei Dutzend Chiptune-Künstler in drei Tagen. Heute ist der zweite Tag und es machen Gerüchte über drei Zahlende die Runde, später heißt es fünf. Zwei davon kenne ich persönlich. Trotzdem sind dem Veranstalter die Bändchen ausgegangen. Zitat: »Ich merk mir die Leute!« GWEM spielt neben der Scheune, der Regen hat fast aufgehört. Nach der Show bekommt jeder Besucher ein GWEM-Plektrum als Werbegeschenk. STU spielt in der Scheune, in den Ecken alte Käfige, die aussehen, als bärgen sie eine schauerliche Vergangenheit. In meinen Segeltuchschuhen feuchtelt es, aber ich gräme mich nicht. Die Sockenproblematik hat sich in Wohlgefallen aufgelöst, denn das Ferienhaus verfügt über eine Waschmaschine. Sonntag, 26.08. Bornholm. Wieder Festival, dritter und letzter Tag. Wieder gibt es eine Getränkemarke für jeden Künstler. Dafür bekommt man einen Becher Bier oder einen Becher selbergemachten Wein. Andere Getränke gibt es nicht. Angeblich befindet sich irgendwo ein Wasserhahn, aus dem man trinken kann. Meta entdeckt einen Beerenstrauch. »Mit den allerfeinsten fruchtigen Brombeeren zum Durstlöschen«, erklärt sie. »Wem dafür die Geduld fehlt, kann ja die Pfützen aussaufen.«
Montag, 27.08. Bornholm. »Na, schön mitgeschrieben, Van Oystern?« – »Was macht die Biographie, Van Oystern? Schon fertig?« – Die alte Leier! Langzeitbeobachtung, Freunde. Darauf kommt es an. Das verstehen viele nicht. Die wissen auch nicht, wie hart es ist, überhaupt irgendwo irgendwas hinzuschreiben. Das Härteste überhaupt, vermutlich.
Der Supermarktvorsteher zuckt mit den Schultern: Keine Ahnung, wie lang’s noch dauert. Niemand regt sich auf. Die Leute gehen einfach nach Hause. Später heißt’s: Schaden am Bornholmkabel! Die Insel ist von der Festlandstromversorgung gekappt, das eigene Kraftwerk muss ran. Und niemand da, der noch weiß, wie es funktioniert. Kann Tage dauern. Wir zünden eine Kerze an und spielen das NAOMI SAMPLE & THE GO GO GHOSTS Würfelspiel. Gareth wird 8bit-Meister. Dienstag, 28.08. Bornholm. Der Strom ist wieder da. War doch nicht so schlimm. Werde geweckt von Chiptune. Eine Hauch von Zermürbung weht durchs Ferienhaus. Warum sind alle immer vor mir wach? Ist es das Alter? Bekommen sie langsam Angst vor dem Tod?
Mittwoch, 29.08. Bornholm. Im Ferienhaus stinkt es täglich ein bisschen ärger. Teile der Reisegruppe haben aneinander eine gemeinsame Leidenschaft entdeckt: Käse. Die wird jetzt im Kollektiv ausgelebt. Das Zeug riecht wie Opa Olafsons abgeschabte Fersen, oder schlimmer eigentlich. Abgeschabte Fersen gehen ja noch. Ferner wird diskutiert über die Nutzbarmachung von Quallen. Aus machen kann man wohl Spiegelei machen, aus den sogenannten Spiegeleiquallen. Ich habe inzwischen auch eine Qualle gesehen, keine Spiegeleiqualle, sondern eine harmlose, derzeit noch nicht nutzbar gemachte Ohrenqualle. Der Tagesprogrammpunkt wird beschlossen: Eine Fahrradtour nach Bornholm-Dueodde an den schönsten Badestrand weit und breit. Ich bin seit zehn Jahren auf keinem Fahrrad mehr gesessen, geschweige denn habe ich in meinem Leben eine vergleichbare Strecke (29,5 Kilometer) zurückgelegt. Wird schon nicht so schlimm sein, denke ich – und werde belehrt!
Telefun, Bornholm 2018 Donnerstag, 30.08. Bornholm. Beim Frühstück.
Zum finalen Bornholmer Abendbrot legt Meta mal Musik auf: »Across The Fields Of Forever« von WOODS OF INFINITY.
Es wird groß getafelt, alle sind da. Kraus zückt sein Handy. Der Veranstalter aus Kopenhagen hat sich gemeldet: »Sorry, Leute. Voll verplant. Samstag kein Konzert!« Lässig, der Typ. Die Unterkünfte sind natürlich schon gebucht. Privat, versteht sich. In der Chiptune-Szene lässt man sich, wie bereits erwähnt, für Konzerte nicht bezahlen. Da ist man auf Tour oder daheim. Schließlich geht’s von Rønne zurück nach Ystad, die vorletzte Fahrt der BornholmerFærgen. Mach’s gut, kleine Fähre. Ab übermorgen übernimmt die Hammerhus. Nach 150 Jahren. Mehr Verbindungen, niedrigere Preise. Aber ohne uns. Lenz chauffiert uns von Ystad weiter nach Abbekås, wo wir im Hafen auf einem kleinen Segelboot pennen. Dabei handelt es sich um die günstigste Übernachtungsmöglichkeit, die sich an der gesamten schwedischen Künste für diese Nactht per Airbnb hat finden lassen. Irgendwo in der Nähe finden Schießübungen statt. So lange geschossen wird, müssen die Boote im Hafen bleiben. Freitag, 31.08. Abbekås. Im Hafenklo muss ich den Kopf tief in einen metallenen Hohlkörper stecken, um mir nach dem Zähneputzen Wasser in den Mund laufen zu lassen. Dabei gehen auch die anderen lichtsensorisch gesteuerten Service-Elemente an: Klospülung, Föhn und Seife. Die Seife ist dummerweise direkt neben dem Hahn integriert und läuft mir deswegen ins Haar. Meta hat sich das Wasser mit der Hand zum Mund geführt.
Am späten Nachmittag erreichen wir in Lenz’ Karre Kopenhagen-Frederiksberg, den Geburtsort des Filmschauspielers Ib Mossen, einem der berühmtesten Interpreten des Bornholm-Lieds.
Samstag, 01.09. Kopenhagen. »Damals« heißt auf Dänisch »gammeldags«. Zukunftsorient, der Begriff. Angenehm! Ich wünsche mir seine Eingliederung in die deutsche Sprache. Dann könnten die Kids sagen: »Unsere blöden Eltern schwadronieren schon wieder von gammeltags!« oder »Hör mir auf mit den Gammeltagen!« Mitlesende Befugnisträger, bitte rasch befehligen! Danke.
Großes Abschiedstreffen in der Bip Bip Bar. In dieser zweistöckigen, angenehm engen, mit Arcade-Automaten vollgestellten Lokalität sollte das Konzert sein. Vielleicht. Der Barmann hat noch nie davon gehört, lässt aber trotzdem für unsere ganze Gruppen unbegrenzt gezapftes Bier springen. Die Automaten sind kostenlos bespielbar. Es läuft ausschließlich Rockmusik aus den 80ern und 90ern. Zu meiner Verwunderung ist die Bar von jungen Leuten frequentiert. Das ist schön, so fühlt man sich nicht so hängengeblieben. Sondern gut, tatsächlich.
Der Kraus weiß es auch. Auf unserem nächtlichen Weg zum Pennplatz fasst er zusammen: »Heute war es am coolsten: Den ganzen Abend Freibier, gratis Videospiele und nicht auftreten müssen.«
Erscheint »demnächst«, vermutlich im Ventil Verlag: ![]() |
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