…und was machen Sie so im Leben?
Was nun folgt, widerstößt gegen die bisher geltenden
Prinzipien der Glücklichen Arbeitslosen(1), die ungern mit
der Theorie beginnen. Sie bevorzugen vielmehr Propaganda durch
Tat, Untat und vor allem Nicht-Tat. Zudem gibt es auf dem Gebiet
der glücklichen Arbeitslosigkeit noch keine entscheidenden
Forschungsergebnisse, die präsentierbar wären. Jedoch
sind ein paar Erklärungen nötig, denn die Gerüchte,
die den Glücklichen Arbeitslosen schon einen heimlichen Ruhm
verschafft haben, sind nicht frei von Mißverständnissen.
Über ziemlich grundlegende Aspekte sogar, nämlich das
Glück, und die Arbeitslosigkeit außerdem.
Erstens, da vom Glück die Rede ist, wird die Sache sofort
verdächtig. Glück ist bürgerlich. Glück ist
unverantwortlich. Glück ist undeutsch. Und überhaupt,
wie kann man glücklich sein, angesichts der Armut, der Gewalt
und der Schrippen, die nun 67 Pfennige kosten, obwohl nichts weiter
als Luft drin ist.
Paul Watzlawick hat eine schlagende „Anleitung zum Unglücklichsein"
verfaßt, in dem er eine solche Einstellung schildert:
"Was, wenn wir am ursprünglichen Ereignis unbeteiligt
sind? Wenn uns niemand der Mithilfe beschuldigen kann? Kein Zweifel,
dann sind wir reine Opfer, und es soll nur jemand versuchen, an
unserem Opfer-Status zu rütteln oder gar zu erwarten, daß
wir etwas dagegen unternehmen. Was uns Gott, Welt, Schicksal,
Natur, Chromosome und Hormone, Gesellschaft, Eltern, Verwandte,
Polizei, Lehrer, Ärzte, Chefs oder besonders Freunde antaten,
wiegt so schwer, daß die bloße Andeutung, vielleicht
etwas dagegen tun zu können, schon eine Beleidigung ist.
Außerdem ist sie unwissenschaftlich."
Um diese Frage zu behandeln, wäre es nötig, in den Sumpf
der Psychologie vorzudringen, wovor wir uns natürlich hüten
werden.
Gegen das Glücklichsein hält man aber auch noch andere
Argumente parat. Zum Beispiel wird behauptet, der Totalitarismus
bestehe darin, die Menschen gegen ihren Willen glücklich
machen zu wollen. Aber die unglücklichen Arbeiter und Arbeitssuchenden
brauchen sich keine zusätzliche Sorge zu machen: der Glückliche
Arbeitslose hat nicht die Absicht, sie gegen ihren Willen glücklich
zu machen. Gewiß ist Glück ein Stichwort für alle
möglichen Quacksalber, die ihre Wundermedizin anpreisen wollen.
Aber der Glückliche Arbeitslose hat keine Wundermedizin anzubieten.
Programmatisch sieht das so wie bei Lautréamont aus, der
1869 seine eigene Aufgabe formulierte:
"Bis jetzt wurde Unglück geschildert, um Furcht und
Erbarmen zu erzeugen. Nun werde ich das Glück schildern,
um ihr Gegenteil zu erzeugen."
Und jetzt zur Sache: Wir wissen alle, daß Arbeitslosigkeit
nicht abgeschafft werden kann. Läuft der Betrieb schlecht,
dann wird entlassen, läuft er gut, dann wird in Automatisation
investiert - und auch entlassen. In früheren Zeiten wurden
Arbeitskräfte gefordert, weil es Arbeit gab. Nun wird verzweifelt
Arbeit gefordert, weil es Arbeitskräfte gibt, und keiner
weiß, wohin mit ihnen, denn Maschinen arbeiten schneller,
besser und billiger.
Die Automatisation ist immer ein Traum der Menschheit gewesen.
Der Glückliche Arbeitslose Aristoteles vor 2300 Jahren:
"Wenn jedes Werkzeug seine eigene Funktion selbst erfüllen
könnte, wenn zum Beispiel das Weberschiffchen allein wirken
könnte, dann würde der Werkmeister keine Gehilfen brauchen,
und der Herr keine Sklaven."
Nun hat sich dieser Traum verwirklicht, und alle empfinden es
als einen Alptraum, da sich die sozialen Bedingungen nicht so
rasch wie die Technik gewandelt haben. Dieser Prozeß ist
unumkehrbar, denn Roboter und Automaten werden nicht wieder von
Arbeitern abgelöst. Außerdem wird die „menschliche"
Arbeit, wo sie noch nötig ist, in Billiglohnländer ausgelagert
oder von unterbezahlten Immigranten hier geleistet. Diese abwärts
führende Spirale könnte nur mit der Wiedereinführung
der Sklaverei beendet werden.
Jeder weiß es, doch darf man es nicht aussprechen. Offiziell
herrscht der „Kampf gegen die Arbeitslosigkeit", eigentlich
ein Kampf gegen die Arbeitslosen. Zu diesem Zweck werden Statistiken
verfälscht, Pseudo-Arbeitsplätze beschafft und schikanöse
Kontrollen durchgeführt. Da solche Maßnahmen immer
unzureichend sind, wird noch dazu herummoralisiert und behauptet,
der Arbeitslose habe seine Situation selbst verschuldet. Man macht
aus den Arbeitslosen einfach „Arbeitssuchende", allein
um die Realität zu zwingen, sich der Propaganda anzupassen.
Der Glückliche Arbeitslose sagt laut, was jeder weiß.
"Arbeitslosigkeit“ ist ein schlechtes Wort, ein negativ
besetzter Begriff, die Kehrseite der Medaille der Arbeit. Ein
Arbeitsloser ist bloß ein Arbeiter ohne Arbeit. Dabei wird
über den Menschen als Poet, als Reisender, als Suchender,
als Atmender nichts gesagt. In der Öffentlichkeit darf nur
von Arbeitsmangel die Rede sein, erst in privaten Sphären,
abseits von Journalisten, Soziologen und anderen Schnüfflern,
wagt man, aufrichtig zu sein. „Ich wurde entlassen, geil!
Endlich habe ich Zeit, jeden Tag auf Parties zu gehen, brauch
nicht mehr aus der Mikrowelle zu essen und kann ausgiebig vögeln."
Soll diese Trennung zwischen privater Weisheit und öffentlicher
Lüge aufgehoben werden? Man sagt uns, es sei nicht der richtige
Moment, die Arbeit zu kritisieren, es sei eine Provokation, die
den Spießern gerade recht käme. Noch vor zwanzig Jahren
konnten die Arbeiter ihre Arbeit und auch die Arbeit an sich in
Frage stellen. Heute müssen sie, nur weil sie nicht arbeitslos
sind, Zufriedenheit heucheln, und die Arbeitslosen müssen,
nur weil sie keine Arbeit haben, Unzufriedenheit heucheln. Somit
hat sich die Kritik der Arbeit in Wohlgefallen aufgelöst.
Der Glückliche Arbeitslose ist über diese infantile
Erpressung erhaben.
Wo die Arbeitsethik verloren gegangen ist, bleibt die Angst
vor der Arbeitslosigkeit die beste Peitsche zur Steigerung des
Kriechertums. Ein gewisser Schmilinsky, Management-Berater zur
Ausrottung der Blaumacher, sagt es ganz deutlich:
"In einem Rennstall überlegen Sie sich auch, welches
Pferd noch das Gnadenbrot bekommt und welches nicht. Unternehmen,
die heute überleben wollen, müssen zuweilen auch rabiat
sein. Zuviel Güte kann einem Unternehmen den Hals brechen.
Ich rate meinen Kunden, mit der eisernen Hand im Samthandschuh
durchzugreifen. Wir leben in einer Zeit, in der Arbeiter rund
um sich herum beobachten, wie Stellen abgebaut werden. Niemand
will unangenehm auffallen. Firmen neigen zunehmend dazu, diese
Unsicherheit zu nutzen, um die Fehlzeiten deutlich zu senken."
(Der Spiegel 32/1996)
Das Schaffen eines artgerechten Biotops für Glückliche
Arbeitslose würde auch die Lage der Arbeiterschaft verbessern:
die Angst, arbeitslos zu werden, würde abnehmen, und der
Mut, sich zu widersetzen, könnte leichter zum Ausdruck kommen.
Vielleicht würde sich eines Tages das Kräfteverhältnis
wieder zu den Arbeitenden neigen. „Was? Sie wollen kontrollieren
ob ich richtig krank bin oder nicht? Dann geh ich lieber zu den
Glücklichen Arbeitslosen".
Arbeit ist eine Überlebensfrage. Diese Meinung können
wir teilen. Bob Black schreibt dazu aus Nord-Amerika:
"Arbeit ist Massenmord oder Genozid. Arbeit wird jeden, der
diese Worte liest, direkt oder indirekt umbringen. Zwischen 14000
und 25000 Menschen kommen in diesem Land jährlich bei der
Arbeit um. Mehr als zwei Millionen werden dabei zu Behinderten.
20 von 25 Millionen werden verletzt. In dieser Zahl sind noch
nicht einmal die halbe Million Menschen mit Berufskrankheiten
einbezogen. Es wird nur die Oberfläche angekratzt. Was die
Statistik nicht aufzeigt, sind all die Menschen, deren Lebensdauer
durch Arbeit verkürzt wird - das ist doch eben Mord. Denken
Sie an all die Ärzte, die sich mit 50 zu Tode schuften. Denken
Sie an all die Workaholics!
Und auch wenn Sie nicht getötet oder verkrüppelt werden
während Ihrer Arbeit, so könnten Sie es doch, während
Sie zur Arbeit gehen, von der Arbeit kommen, Arbeit suchen oder
versuchen, die Arbeit zu vergessen. Natürlich darf man auch
nicht versäumen, all die Opfer von Umweltverschmutzung, arbeitsbedingtem
Alkoholismus und Drogenabhängigkeit zu zählen. Hier
werden Leute gekillt in wenigstens sechsstelliger Zahl, allein
um den Überlebenden Big Macs und Cadillacs zu verkaufen!"
Der Schuhmacher oder Tischler ehrte sein Handwerk. Und Werftarbeiter
konnten noch stolz darauf sein, das prächtige Schiff vom
Stapel laufen zu sehen, das sie selbst gebaut hatten. Dieses Gefühl
von Nützlichkeit gibt es in 95% aller Jobs nicht mehr. Der
"Dienstleistungs"-sektor beschäftigt nur Dienstboten
und Computeranhängsel, die keinen Grund haben, stolz zu sein.
Selbst ein Arzt fungiert nur noch als Handelsvertreter der pharmazeutischen
Konzerne. Wer kann von sich noch behaupten, er mache sich nützlich?
Entscheidend ist nicht mehr, wozu etwas nützt, sondern wieviel
man damit verdienen kann. Alleiniges Ziel jeder einzelnen Arbeit
ist, den Gewinn des Unternehmens zu steigern, und ebenso ist auch
die alleinige Beziehung des Arbeiters zu seiner Arbeit sein Gehalt.
Gerade deshalb, weil Geld das Ziel ist und nicht gesellschaftlicher
Nutzen, existiert Arbeitslosigkeit. Vollbeschäftigung bedeutet
ökonomische Krise, Arbeitslosigkeit bedeutet gesunder Markt.
Was passiert, wenn ein Konzern ankündigt, daß er so
und so viele Arbeitsplätze vernichtet? Alle Börsenspekulanten
loben seine Sanierungsstrategie, die Aktien steigen, und bald
darauf wird die Bilanz die entsprechenden Gewinne aufweisen. Auf
diese Weise schaffen die Arbeitslosen mehr Profit als ihre Ex-Kollegen.
Logischerweise müßte man also dem Arbeitslosen dafür
danken, daß er wie kein anderer das Wachstum fördert.
Stattdessen kriegt er nicht einen Furz des Gewinns ab, den er
selber schafft. Der Glückliche Arbeitslose ist der Meinung,
daß er für seine Nicht-Arbeit entlohnt werden muß.
Hier können wir uns auf Kasimir Malewitsch, den Maler
des „schwarzen Quadrat auf weißem Grund", beziehen.
1921 schrieb er in seinem Buch „Faulheit - eigentliche Wahrheit
der Menschen", das erst vor zwei Jahren auf Russisch veröffentlicht
wurde:
"Das Geld ist nichts als ein kleines Stück Faulheit.
Je mehr man davon hat, desto ausgiebiger wird man die Glückseligkeit
der Faulheit kennenlernen. [] Im Kapitalismus ist die Arbeit auf
eine Weise organisiert, die den Zugang zur Faulheit nicht allen
Menschen gleichermaßen ermöglicht: Genießen kann
die Faulheit nur, wer durch Kapital abgesichert ist. So hat sich
die Klasse der Kapitalisten von dieser Arbeit befreit, von der
sich die gesamte Menschheit befreien muß."
Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, so liegt das nicht
daran, daß er keine Arbeit hat, sondern daß er kein
Geld hat. Also sollten wir nicht mehr von „arbeitslos",
sondern von „geldlos", nicht mehr von „Arbeitssuchenden",
sondern von „Geldsuchenden“ reden, um die Dinge klarer
zu stellen. Wie wir sehen werden, bietet der Glückliche Arbeitslose
an, diesen Mangel durch die Suche nach unklaren Ressourcen auszugleichen.
Man rechne einmal nach, wieviel Geld insgesamt von den Steuerzahlern
und Betrieben „für Arbeitslosigkeit“ offiziell
ausgegeben wird, und dividiere durch die Zahl der Arbeitslosen:
Na, da sind eindeutig mehr Nullen dran, als wir auf unseren Konten
finden, nicht wahr? Ausgegeben wird nicht hauptsächlich für
den Wohlstand der Arbeitslosen, sondern für seine schikanöse
Kontrolle, durch zwecklose Termine, sogenannte „Um-, Aus-,
Fortbildungsprogramme", die nirgendwoher kommen und nirgendwohin
führen, Scheinbeschäftigungen für einen Scheinlohn
- nur um die Statistiken künstlich herunterzudrücken.
Also nur, um ein wirtschaftliches Trugbild aufrecht zu erhalten.
Unser erster konkreter Vorschlag ist sofort umsetzbar: Die
Beendigung aller Kontrollmaßnahmen gegen Arbeitslose, Schließung
sämtlicher Statistik- und Propagandabüros (das wäre
unser Beitrag zum Sparpaket) und automatische, unbefristete Zahlung
der Unterstützung inklusive der gesparten Summen.
Die jüngsten konservativen Auswüchse lauten, die
Arbeitslosen seien von Vater Staat abhängig, sie lägen
ihm auf der Tasche, seien dadurch unfähig, auf eigenen Füßen
zu stehen, und so weiter und so fort. Nun, soweit wir wissen,
existiert der Staat immer noch, und kassiert auch Steuern ein.
Deshalb sehen wir keinen Grund, weshalb wir auf seine Unterstützung
verzichten sollten. Aber staatsfixiert sind wir nicht. Unseretwegen
mag das Einkommen der Glücklichen Arbeitslosigkeit sehr wohl
vom privaten Sektor finanziert werden, sei es durch Sponsoring,
Adoption, extra Kapitalertragssteuer oder Erpressung. Wir sind
nicht wählerisch.
Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, dann liegt das auch
daran, daß der einzige gesellschaftliche Wert, den er kennt,
die Arbeit ist. Er hat nichts mehr zu tun, er langweilt sich,
er hat keine Kontakte mehr, da ja die Arbeit oft auch einzige
Kontaktmöglichkeit ist, das gleiche gilt übrigens auch
für Rentner. Der Grund dieser existentiellen Misere ist natürlich
die Arbeit und nicht die Arbeitslosigkeit. Der Glückliche
Arbeitslose weiht neue gesellschaftliche Werte ein, auch wenn
er nichts anderes schafft. Er entwickelt die Kontakte mit einem
Haufen sympathischer Menschen. Er ist sogar bereit, Resozialisierungskurse
für gekündigte Arbeitnehmer zu geben.
Immerhin verfügen alle Arbeitslose über eine preiswerte
Sache: Zeit. Das könnte ein historisches Glück sein,
die Möglichkeit, ein vernünftiges, sinn- und freudvolles
Leben zu führen. Man kann unser Ziel als eine Zurückeroberung
der Zeit kennzeichnen. Dabei ist der Glückliche Arbeitslose
ein aktiver Mensch. Gerade deshalb hat er keine Zeit zu arbeiten.
Jacques Mesrine, einst „Staatsfeind Nr.1“ Frankreichs
und Verfasser des Buches Der Todestrieb, hatte sich entschieden:
"Wenn ich 6 Uhr morgens Lust hatte zu vögeln, wollte
ich mir Zeit dafür nehmen, ohne auf die Uhr zu gucken. Ich
wollte ohne Uhr leben, denn mit der Zeitmessung kam der erste
Zwang in das Leben der Menschen. Die gängigen Sätze
des täglichen Lebens klingelten mir im Kopf: „Keine
Zeit, um", „Zur rechten Zeit kommen", „Zeit
gewinnen", „Seine Zeit verlieren". Ich aber wollte
"die Zeit haben zu leben“ und die einzige Möglichkeit,
das zu schaffen, ist, nicht Sklave der Zeit zu sein. Ich wußte,
wie irrationell meine Theorie war und daß man mit ihr keine
Gesellschaft bilden konnte. Aber was war das schon für eine
Gesellschaft mit ihren schönen Prinzipien und Gesetzen!"
Es wurde uns erwidert, der Glückliche Arbeitslose sei nur
arbeitslos im Sinne des heutzutage üblichen Gebrauchs des
Wortes „Arbeit", also „Lohnarbeit". Dazu müssen
wir ausdrücklich sagen, daß der Glückliche Arbeitslose
zwar keine Lohnarbeit sucht, doch sucht er auch keine Sklavenarbeit.
Und es gibt, soweit wir wissen, nur zwei Arten von Arbeit: Sklaven-
und Lohnarbeit. Gewiß gibt es auch Studenten, Künstler
und andere Wichtigtuer, die kein Papier schreiben und keinen Napf
lecken können, ohne zu behaupten, sie leisteten eine wichtige
"Arbeit". Sogar die sog. „Autonomen“ können
kein antikapitalistisches „Seminar“ organisieren, ohne
"produktive Debatten“ in „Arbeitsgruppen"
zu führen. Armselige Worte für armselige Gedanken.
Nicht nur im heutigen Sinne ist „Arbeit“ ein trauriges
Wort. Sie ist es immer gewesen:
Arbeit ist wahrscheinlich eine Bildung zu einem im germanischen
Sprachbereich untergegangenen Verb mit der Bedeutung „verwaist
sein, ein zu schwerer körperlicher Arbeit verdingtes Kind
sein", das vom indogermanischen *orbho-s, „Waise",
abgeleitet ist. Bis in das Neuhochdeutsche hinein bedeutet Arbeit:
"Mühsal, Plage, unwürdige Tätigkeit".
In dem Sinne ist also „Glückliche Arbeitslosigkeit"
sogar ein Pleonasmus. In den romanischen Sprachen ist die Sache
noch eindeutiger, da „travail", „trabajo"
usw. von dem lateinischen „tripalium", ein dreispitziges
Folterinstrument, das gegen die Sklaven angewendet wurde, abgeleitet
ist. Den sittlichen Wert der Arbeit als Beruf des Menschen in
der Welt hat Luther ausgeprägt. Zitat:
"Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen."
Man könnte sagen, die Frage der Wortwahl sei ohne Bedeutung.
Aber die Folgen blieben nicht aus, verwechselte man das Wort „Getränk"
mit „Coca Cola", das Wort „Kultur“ mit „Harald
Juhnke“ oder gar „Tätigkeit“ mit „Arbeit".
Sobald man von Arbeit oder Arbeitslosigkeit redet, hat man
es mit moralischen Kategorien zu tun. Diese Tendenz spitzt sich
gegenwärtig zu, man braucht nur eine Zeitung zu lesen, um
sich darüber klar zu werden.
"Ein Machtwechsel zwischen zwei Weltanschauungen hat stattgefunden",
so ein Sozialexperte in Washington. „Statt Armut als Konsequenz
ökonomischer Ursachen zu sehen, dominiert nun jene Denkschule,
die Armut als Folge moralischen Fehlverhaltens sieht."
Wie damals auch, als die Priester ihr Seelenmonopol bedroht sahen,
ist die Moral nur dazu da, die sich ausweitenden Risse zwischen
Weltanschauung und Realität zu flicken. Wer zu einem Arbeitslosen
sagt: „Du hast gesündigt", erwartet, daß
dieser die Kategorie „Sünde“ anerkennt und entweder
"ja“ oder „nein“ sagt. Weinerliche Versuche,
das Mitleid dieser Welt zu erregen, erregen höchstens Mitleid.
Nur ein erhabenes Lachen kann Moral ernsthaft außer Kraft
setzen.
Es ist offensichtlich, daß Paul Lafargue, der Autor von
"Recht auf Faulheit", ein historisches Vorbild des Glücklichen
Arbeitslosen ist.
"Die Nationalökonomen werden nicht müde, den Arbeitern
zuzurufen: Arbeitet, damit der Nationalreichtum wachse! Und doch
war es einer der ihrigen, Destutt de Tracy, der da sagte:,Die
armen Nationen sind es, wo das Volk sich wohlbefindet, bei den
reichen Nationen ist es gewöhnlich arm' Aber von ihrem eigenen
Gekrächz betäubt und idiotisiert, erwidern die Ökonomen:
,Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den Nationalreichtum
und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, um, immer ärmer
geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu
sein.'"
Jedoch fordern wir nicht ein Recht auf Faulheit. Faulheit ist
nur die Kehrseite vom Fleiß. Wo Arbeit nicht anerkannt wird,
verliert auch Faulheit ihren Sinn. Kein Laster ohne Tugend.
Seit Lafargues Zeiten ist klar geworden, daß die dem Arbeiter
zugestandene „Freizeit“ meistens noch langweiliger ist
als die Arbeit selbst. Deshalb kann es nicht nur darum gehen,
die Arbeitszeit zu verkürzen und die Freizeit zu verlängern.
In Spanien sollte vor kurzem die Siesta unter dem Vorwand verboten
werden, sie würde den europäischen Markt gefährden.
Wir solidarisieren uns 100%ig mit jenen spanischen Arbeitern,
die daraufhin meinten, die EG sollte lieber die „Euro-Siesta
einführen".
Der Glückliche Arbeitslose, das sollte klar sein, unterstützt
nicht die Partisanen der Kurzzeit, die denken, alles wäre
zum Besten, wenn jeder seine Arbeit behielte, aber nur 5, 3 oder
2 Stunden täglich arbeiten würde. Was ist das für
eine Wurstelei? Gucke ich auf die Uhr, wenn ich für meine
Freunde ein Essen zubereite? Gucke ich, wieviel Zeit ich damit
verbringe, diesen Scheißtext zu schreiben? Zählt man
mit, wenn man liebt?
Das heißt aber nicht, daß die glückliche Arbeitslosigkeit
eine neue Utopie ist. Utopie bedeutet „nicht existierender
Ort". Der Utopist entwirft die genauen Pläne einer angeblich
idealen Konstruktion und erwartet, daß die Welt sich in
diese Form gießt. Dagegen ist der Glückliche Arbeitslose
eher ein Topist: er bastelt mit Orten und Sachen, die schon vorhanden
sind. Er konstruiert kein System, sondern sucht nach allen Möglichkeiten,
sein Umfeld zu verbessern.
Ein ehrenwerter Korrespondent schreibt uns:
"Geht es dem Glücklichen Arbeitslosen um eine gesellschaftliche
Anerkennung mit daraus resultierender finanzieller Absicherung
ohne Vorbedingungen, oder geht es ihm um eine Revolutionierung
des Systems mittels ungesetzlicher Aktionen, wie Stromzähler
abklemmen? Die Verbindung beider Strategien erscheint zumindest
nicht gerade logisch: Ich kann doch schlecht gesellschaftliche
Akzeptanz fordern und gleichzeitig Gesetzesbrecher prämieren."
Nun, der Glückliche Arbeitslose ist kein Fanatiker der Illegalität.
In seinem Bestreben, Gutes zu tun, ist er sogar bereit, zu legalen
Mitteln zu greifen. Außerdem: was heute ein Recht ist, war
einst ein Verbrechen, das Streikrecht zum Beispiel. Und es kann
immer wieder ein Verbrechen werden. Vor allem reden wir von gesellschaftlicher
Anerkennung. Wir wenden uns nicht an den Staat oder offizielle
Stellen, sondern an Otto Normalverbraucher.
Da hören wir schon den Chor der Klassenkampftheoretiker:
"Das alles ist ein bloßes Ventilsystem, mit denen unbeschäftigte
proletarische Sedimentierungen in einer illusorischen Nische zur
Umwandlung der noch verbliebenen Lebensfunktionen angehalten werden,
um die Widersprüche des Kapitalismus zu mildern. Die Glücklichen
Arbeitslosen amüsieren sich, und währenddessen kann
die Bourgeoisie unbekümmert ihre Gewinne vermehren. Verrat!
Verrat!"
Jeder konkrete Schritt, ja jeder Atemzug kann als Anpassungsversuch
verleumdet werden. Und gerade um die Möglichkeit zu Atmen
geht es eben. Die klügste sozialkritische Theorie kann nur
wenig helfen, solange ihr praktischer Ausgang lautet: „wait
and see".
Es ist uns bewußt, daß unser Versuch auf verschiedene
Weisen scheitern kann. Er kann zum Beispiel als bloßer Witz
enden, ein Schabernack ohne Folgen. Die originelle Idee kann aber
auch unter Tonnen von betoniertem Ernst ersticken. Es kann auch
passieren, daß ein Grüppchen von Arbeitslosen dermaßen
erfolgreich wird, daß sie sich zu Glücklichen Geschäftsmenschen
verwandeln, ohne jede Beziehung zu ihrem ursprünglichen Umfeld.
Das sind Risiken, kein Schicksal. Nun stoßen wir den Ball
an. Ob er schließlich im Tor landen wird oder nicht, hängt
nicht nur von uns ab.
Es gibt im Moment mehrere Initiativen gegen Sozialabbau, gegen
Neo-Liberalismus usw. Die Frage ist aber auch, wofür soll
man sich erklären? Bestimmt nicht für den Wohlfahrtsstaat
und die Vollbeschäftigung von einst, deren Wiedereinführung
sowieso noch unwahrscheinlicher ist, als die der Dampflokomotive.
Aber das Gegenbild könnte noch schrecklicher werden: Es ist
vorstellbar, daß es den Arbeitslosen zugestanden würde,
auf dem Brachland und den Mülldeponien der Postmodernität
ihr Gemüse anzubauen und soziale Beziehungen selbst zu improvisieren,
von High-Tech-Polizei fernüberwacht und von irgendeiner Mafia
roh ausgebeutet, während die wohlhabende Minderheit unbekümmert
weiter funktionieren würde. Die Glücklichen Arbeitslosen
suchen einen Ausweg aus dieser Alternative des Schreckens. Auf
das Prinzip kommt es an.
Ein Stichwort der herrschenden Propaganda heißt: Die
Arbeitslosen seien ausgeschlossen, und zahlreiche Gutmenschen
plädieren für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Was das eigentlich heißt, erklärte ein Unesco-Humanist
auf dem Kopenhagener „Sozialgipfel":
"Der erste Schritt zur sozialen Eingliederung ist, ausgebeutet
zu werden."
Danke für die Einladung!
Vor dreihundert Jahren guckten die Bauern neidisch das Schloß
des Fürsten an. Mit Recht fühlten sie sich von seinem
Reichtum, seiner Edelmuße, seinen Hofkünstlern und
Kurtisanen ausgeschlossen. Nun, wer möchte gern wie ein gestreßter
Manager leben, wer will sich den Kopf mit seinen sinnlosen Ziffernreihen
vollstopfen, seine blondgefärbten Sekretärinnen ficken,
seinen gefälschten Bordeaux trinken und an seinem Herzinfarkt
verrecken? Von der herrschenden Abstraktion schließen wir
uns freiwillig aus. Eine andere Art Eingliederung wünschen
wir uns.
In armen Ländern gibt es Millionen von Menschen, die außerhalb
des Kreislaufs der Marktwirtschaft leben müssen. Täglich
berichten die Zeitungen über die Plage der sogenannten Dritten
Welt, eine deprimierende Kette von Hungersnot, Diktatur, Krieg
und Krankheiten. Dabei darf man nicht übersehen, daß
gleichzeitig mit diesem (meist importierten) Elend auch eine andere
Wirklichkeit stattfindet: ein von vorkapitalistischen Traditionen
unterstütztes, intensives soziales Leben. Im Vergleich dazu
sieht die westliche Gesellschaft so gut wie tot aus. Dort wird
die Arbeit des weißen Mannes verachtet, weil sie kein Ende
kennt - im Gegensatz zum Beispiel zu jenen somalischen Handwerkern,
deren Gewinne in einem jährlichen Fest verjuxt werden. Je
niedriger das Bruttosozialprodukt, desto größer die
Fähigkeit der Menschen zu feiern. Der Ethnologe Serge Latouche
in Der Planet der Schiffbrüchigen:
"Die Armen sind viel reicher als man denkt und als sie selber
glauben. Die unglaubliche Lebensfreude, die viele Beobachter in
afrikanischen Vorstädten beeindruckt, täuscht weniger
als die deprimierenden objektiven Berechnungen statistischer Apparate,
die lediglich den verwestlichten Teil von Reichtum und Armut einschließen."
Für Europäer besteht natürlich die Gefahr, Exotik
zu betreiben. Aber die soziale Überlegenheit des armen Südens
wird auch von Südländern selbst bestätigt. Der
Ägypter Albert Cossery zum Beispiel in Bettler und Stolze:
"In diesem Moment spiegelte sein Gesicht sämtliche irdischen
Kümmernisse wider. Doch dieser Zustand drängte sich
ihm von Zeit zu Zeit nur auf, damit er den Glauben an seine Würde
nicht verliere. Denn El Kordi dachte, Würde sei lediglich
eine Folgeerscheinung von Unglück und Verzweiflung. Es war
die Lektüre westlicher Bücher, die ihm den Geist derart
verfälscht hatte."
Die Glücklichen Arbeitslosen haben von Afrika und anderen
nichtwestlichen Kulturen viel zu lernen und zu verlernen. Natürlich
geht es nicht darum, uralte soziale Gebräuche nachzuahmen,
aber wir können uns inspirieren lassen. Auch Picasso und
die Dadaisten fanden in der afrikanischen Kunst eine erfrischende
Quelle von Kreativität.
Es sei hier nur ein Beispiel erwähnt: Vor ein paar Jahren
untersuchten Soziologen das Leben der Bevölkerung eines Elendsviertels
von Dakar, in Senegal. Sie stellten fest, daß das Einkommen
einer durchschnittlichen zwölfköpfigen Familie das Siebenfache
ihres „offiziellen“ Einkommens beträgt. Nicht,
daß die Leute das Wundermittel, Banknoten zu versiebenfachen,
erfunden haben, nur vermehren sie die Wirksamkeit des knappen
Geldes durch einen intensiven Umlauf. Es ist unmöglich, in
Afrika zu leben, ohne einer Gruppe, einer Sippe, einem Freundeskreis
anzugehören. Innerhalb dieser Netze wird das Geld durch ein
genau festgesetztes System von Geschenken, Spenden, Anlagen, Darlehen
und Rückzahlungen in eine permanente Zirkulation gesetzt.
Da die Möglichkeiten, eine größere Summe zu erhalten,
in der Familie angehäuft sind, kann sie jederzeit über
eine Geldmenge verfügen, die ohne Vergleich mit ihren kargen
Ressourcen ist. Zudem ist dieser Geldverkehr nur ein Teil jener
"Ökonomie der Gegenseitigkeit", neben dem Austausch
von allerlei Dienstleistungen, die Feten nicht zu vergessen, die
die Gruppen zusammenhalten. Geld spielt bei alldem keine Rolle.
Deshalb ist es unmöglich, irgendeinen „Lebensstandard"
nach westlichem Muster zu messen.
Man stelle sich vor, dasselbe System wäre hier wirksam.
Sozialhilfeempfänger würden dann 3500 DM pro Monat zu
Verfügung haben, was nicht alle Probleme lösen würde,
aber immerhin den Kohl fetter machen würde. Und noch dazu
würden sie von Sachen profitieren, die Geld nicht kaufen
kann. Die Frage: Wieviel Geld brauche ich, um richtig leben zu
können, ist unzureichend. Wer über keine sozialen Verbindungen
verfügt, wird nie genug Geld haben, um seine existentielle
Not zu mildern. Der hiesige Sozialhilfeempfänger kennt zwar
eine große Behinderung, da er sich auf keine Sippe und keinen
Brauch stützen kann, alles muß erfunden werden. Aber
immerhin hat er einen Vorteil: seine Lebensbedigungen sind nicht
so harsch wie in Afrika.
Für die Glücklichen Arbeitslosen öffnet sich
da ein weites experimentelles Feld, das wir die „Suche nach
unklaren Ressourcen“ nennen.
Wie Sie jetzt vielleicht verstanden haben, ist unsere Muße
sehr anspruchsvoll, theoretisch und praktisch, ernst und spielerisch,
lokal und international (allein in Europa gibt es schon 20 Millionen
virtuelle Glückliche Arbeitslose). Eines Tages werden Sie
mit Stolz sagen können: Ich habe den Anfang miterlebt.
Die Glücklichen Arbeitslosen
(1) Peter-Paul Zahl veröffentlichte 1973 in West-Berlin
eine Zeitschrift, „Der Glückliche Arbeitslose",
in der er das Motto „Berufsverbot für alle“ propagierte
(das haben wir erst neulich erfahren; es handelt sich also nicht
um einen direkten Einfluß, sondern um einen glücklichen
Zufall).