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Juli 2001
Guillaume Paoli
für satt.org



Guillaume Paoli:
EIN LATENTES MANIFEST

Nebenstehender Vortrag wurde am 18. 5. 2001 an der Berliner Volksbühne von einem Tonträger vorgespielt, während der geladene Redner sich neben dem vorbereiteten Pult auf einem blauen Luftbett räkelte.

Der Text stammt aus der neuen Ausgabe (Sommer 2001) des »müßiggangster«, dem Kontemplationsblatt der Glücklichen Arbeitslosen.
Die Ausgabe kann gegen Porto und Spende bestellt werden bei:
gluecklichearbeitslose
@satt.org



sattLINK:
Das Manifest der glücklichen Arbeitslosen

EIN LATENTES MANIFEST



OFF STIMME:
Punkt 1. Die Volksbühne verpflichtet den Vertragspartner für einen Vortrag im Rahmen des Themenwochenendes "Recht auf Faulheit - Zukunft der Nichtarbeit" am 18.05.2001.
Punkt 2. Die Volksbühne zahlt für den Vortrag ein Honorar in Höhe von 500,- DM brutto. Hiermit sind alle Forderungen des Vertragspartners - einschließlich evtl. Zahlungen von Tantiemen sowie Leistungsschutzrechte - abgegolten.
Punkt 5. Wird die Veranstaltung als Folge höherer Gewalt oder anderer Umstände, die keine der Vertragsparteien zu vertreten hat, unmöglich, so sind beide Vertragsparteien von ihren Leistungspflichten befreit, und jede Vertragspartei trägt selbst die bis dahin entstandenen Kosten. Bei schuldhaftem Vertragsbruch trägt die schuldhafte Vertragspartei alle entstehenden Kosten.

(1 Min. 30 Schweigen)

Seid Ihr wirklich so sicher, daß Arbeitslose nicht streiken können?

(30 Sek. Schweigen)

Seitdem sie in die Öffentlichkeit getreten sind, haben die Glücklichen Arbeitslosen mehr Angebote bekommen, als sich Arbeitsuchende erträumen könnten. Mühelos hätten wir als Faulenzersprecher, Helden des Nicht-Tuns oder Arbeitslosenstars eine fette Karriere machen können. Dies beweist zum einen, daß das Gerede über ehrliche Arbeit als einziger Zugang zu gesellschaftlicher Anerkennung Quatsch ist. Wußten wir schon. Zum zweiten zeigt sich, daß selbst die hartnäckigste Arbeitsverweigerung als neue Arbeitsquelle funktionstüchtig gemacht und somit neutralisiert werden kann. Selbstverständlich sind wir viel zu eitel, um auf diese vulgäre Weise berühmt werden zu wollen. Also ist etwas Enthaltsamkeit vonnöten.
Ein Müßiggänger genießt und schweigt.

(1 Min. Schweigen)

Sie haben den Wecker, wir haben die Zeit.

(30 Sek. Schweigen)

Der glückliche Arbeitslose hat deswegen ein Marktpotential, weil er eine Sehnsucht verkörpert, die sich zunehmend ausbreitet. "Heute mache ich, was ich am liebsten tue: Nichts" sagt der Franzose aus der Gauloises-Werbung. "Niemand ist durch Arbeit reich geworden" ergänzt der Werbespot irgendeiner Bank. " Wo sind die Leidenschaften, wo das Glück?" klagt Guido Westerwelle; der jede Nacht von Muße träumt. Doch die Muße ist eine anspruchsvolle Dame, die sich natürlich mit so einem neoliberalen Leistungsträger nie einlassen würde. Gebraucht wird ein Bild von dem, was auf dem generalisierten Markt nicht vorhanden ist. Daß sich Sozialneid nun auf die niedrigere Einkommensklasse richtet, sagt übrigens einiges über die wunderbaren Leistungen der gegenwärtigen Gesellschaft. Dazu schreibt eine Meinungsredakteurin der taz: "Als Sehnsucht bestätigt die Muße den Wert der Arbeit. Als Praxis würde sie ihn zerstören; nach Jahrhunderten der kapitalistischen Erziehung kann sich dies niemand vorstellen". Du scheinst erzogen zu sein meine Süße. Doch allein in den Büros, wo du dich verdingst, ist eine solche Vorstellung undenkbar.

(1 Min. Schweigen)

Wie die Liebe läßt sich die Muße nicht erklären, sondern lediglich vergegenwärtigen.

(30 Sek. Schweigen)

Sei es in der Internet-Branche, den übrigen Medien, der Kultur, der Politik oder der Werbeindustrie, was hauptsächlich produziert wird, ist heiße Luft. Jegliche Weigerung, mitzumachen, ist ein positiver Beitrag gegen die drohende Klimakatastrophe.

(30 Sek. Schweigen)

Allerdings sollte man keiner Arbeitskritik trauen, die nach Praktikantenschweiß riecht.

(1 Min. Schweigen)

Zurecht gehört ein solches Thema zum Theater. Im vorigen Akt hatte der Bundesgaukler die Halbierung der Arbeitslosenzahl versprochen. Nun hätte er am liebsten vor dem nächsten Wahltermin jeden Arbeitslosen in zwei Hälften zersägt, doch für solche Hardcore-Szenen ist das deutsche Publikum noch nicht reif genug. Also muß mit neuen Regelungen getrickst werden.. Wer mehr als einmal im Monat das Wort "Frühstück" ausspricht oder aber fünfzehn Stunden Topfschlagen nicht vorweisen kann, wird aus der Statistik gestrichen. Langzeitarbeitslose werden zu Arbeitsberater für Kurzzeitarbeitslose ausgebildet, oder umgekehrt. Was an Stütze gestrichen wird, wird sinnvoll in Kontrollmaßnahmen und Subventionierung von Pseudojobs gesetzt. So wird die Illusion einer effizienten Wirtschaftspolitik aufrechterhalten. Eine gelungene Inszenierung.

(30 Sek. Schweigen)

Nebst einer solchen Hanswurstpolitik werden auch soziale Proteste karnevalisiert. Was nicht in der Straße und den entsprechenden Ämtern stattfindet, wird im Internet oder auf der Bühne vorgetragen. Unterhaltungskunst mit subversivem Flair ist zum tragenden Sektor der Freizeitbranche avanciert. Damit werden auch Arbeitsplätze geschaffen. Soll das heißen, daß alles nun zum gleichen Spektakel gehört? Nein, die eigentliche Verschwörung findet doch statt, bloß woanders weit vom Rampenlicht entfernt. Mehr dazu werdet Ihr heute abend nicht erfahren.

(Mehr Schweigen)