I
»Das Wort Provinz hat seinen Sinn verloren. Man könnte eine artifizielle Definition herstellen: Orte, die weniger als soundsoviel Einwohner haben, nennen wir Provinz. Aber wer etwas Qualitatives meint: den Gegensatz zum Herzen des Landes, die etwas zurück-gebliebenen Landeskinder … irrt. Ob Deutschland provinziell ist, soll nicht so schnell entschieden werden. Auf jeden Fall ist es eine einzige Provinz. Vielleicht werden manche Berliner böse sein. Sie haben Berlin nicht mehr erlebt.«
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Es muss schon was dran sein an der Provinz, taugt sie doch als gesellschaftspolitisches Mahnbild in Zeiten fortschreitender Globalisierung ebenso wie als argumentative Floskel in kunstambitionierten Diskussionen.
So nannte im November 2001 etwa Jan Ross in der ZEIT die »Entprovinzialisierung« ein »spezifisch deutsches Thema«, wenn es nach dem 11. September (so die neue Zeitrechnung) einmal mehr um »das vielberufene Erwachsenwerden der Bundesrepublik«, sprich: das Übernehmen weltpolitischer Verantwortung, das eben mit dem Blick über den eigenen Tellerrand beginnen muss, gehe:
»Deutsche und Nichtdeutsche werden [in Zukunft] einander genauer ansehen, kritischer auch [ …]. Zugleich kommt der Öffentlichkeit zu Bewusstsein, dass eine Welt jenseits von Brüssel existiert. Man ist auf einmal peinlich berührt, dass es hierzulande kaum Interesse und Expertise für etwas fernere Winkel der Erde gibt [ …].«
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Mit Entprovinzialisierung ist hier ein Prozess beschrieben, der freilich nicht erst mit der Wiedervereinigung und dem Umzug der Bundesregierung vom beschaulichen Provinznest Bonn mit seinem Fünf-Gleise-Bahnhof in das zur Metropole deklarierte Berlin eingesetzt hat – europäisch und schließlich global denken war schon seit den 70er Jahren ein Motto deutscher Politik. Doch mit der Kür der neuen Hauptstadt (und damit der Einlösung eines bei Gründung der Bundesrepublik selbstgegebenen Versprechens) war manifest geworden, was von Intellektuellen im In- und Ausland schon seit Jahrzehnten mit eher bangem Erwarten prognostiziert wurde: ein Wiedererstarken des deutschen Nationalbewusstseins im Zuge des Politikerwortes vom Ende der Nachkriegszeit (war Bonn nicht als Synonym für Provinzialität und Politik der kleinen Schritte auch Teil einer nicht gerade freiwilligen Buße für Verheerungen und Untergang des Deutschen Reiches?) und ganz nach dem bewährten Wirtschaftswunder-Slogan Wir sind wieder wer, einhergehend mit einer beinahe zwangsläufigen, wenn auch nicht durchweg kontrollierten Tendenz zum Zentralismus, zur Fokussierung von Politik, Kunst und Kultur in der Goldgräberstadt an Havel und Spree.
Berlin3 als Dorado für Literaten, als »Erlösungsmoloch« (Ralf Hanselle), sowie die Wiederentdeckung der Großstadt als zentrales Motiv in der Literatur der 90er Jahre stellten freilich nicht unumstrittene Entwicklungen dar, wie jüngst etwa die Gründung der Rheinischen Brigade zeigt, einer Interessengemeinschaft zur Kenntlichmachung rheinischer Autorinnen und Autoren in Abgrenzung zur angeblichen neuen Großstadtkultur, gleichsam ein »Bekenntnis zur Region«. Und der Kölner Schriftsteller Achim Wagner prägte unlängst das Wort: »Mit Berlin als Hauptstadt ist per definitionem der Rest des Landes Provinz geworden …«
II
»Wer über die Provinz gerecht zu sprechen versucht, gilt als hoffnungslos provinziell. [ …] Und am Ende läuft es immer auf zwei Antworten hinaus: Die Provinz ist heute überall – und nirgends. Oder: Die Provinz – das sind die anderen.«
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Es muss schon was dran sein am traditionellen Gegensatz von Großstadt und Provinz.
Erst neulich erzählte mir ein Freund aus der Kapitale von einer Lesung, bei der ein heftiger Streit darüber entbrannt sei, ob die zuletzt vorgetragene Geschichte eines noch unbekannten Berliner Jungautors tatsächlich, wie getan, mit dem Adjektiv provinziell belegt, oder besser: abgestraft werden dürfe, der schließlich gegenüber dem nicht-ortsansässigen Thesengeber in dem Satz gipfelte: Junger Mann, wir sind hier in Berlin! Und damit sei die Diskussion schlagartig beendet gewesen. Man möchte dem eifrigen Lokalpatrioten gerne das Marcuse-Zitat vom Anfang entgegenhalten – allein: Was berechtigt uns anzunehmen, dass der Autor heute, nachdem sich die politische Landschaft Deutschlands so gravierend geändert hat, noch zu seinem Postulat aus dem Jahre 1966 stehen würde?
»Provincia«, klärt uns Ludwig Marcuse (hier freilich stellvertretend für viele) auf, »war einmal, recht neutral, ein Amtsbereich; dann ein Verwaltungsbezirk außerhalb Italiens. Später nannte man Provinz die lange Peripherie eines Landes im Gegensatz zur kondensiertesten Siedlung, der Kapitale.«5 Dieser Gegensatz ist gemeint, wenn heute – recht unneutral – das Wort Provinz gebraucht wird, der Gegensatz zwischen Kapitale und plattem Land, zwischen dem mutmaßlich fortschrittlichen und dem mutmaßlich rückständigen Lebensraum. Provinz ist das Kindheits-Idyll der heilen und heilenden Welt ebenso wie das einengende, das Individuum in seiner Entwicklung grausam beschränkende Umfeld – Flucht inklusive, ja schon der bloße Begriff scheint sie zu implizieren, und nur wenige Autoren fühlen sich berufen, die Provinz vor ihren Verachtern ebenso zu beschützen und zu verteidigen wie vor ihren idealisierenden (oder ärger: ideologisierenden) Schwärmern.
Einer von ihnen ist Tobias Hülswitt. Der 27jährige ehemalige Steinmetzgeselle und Absolvent des Deutschen Literaturinstituts Leipzig hat seine Jugend auf dem Lande, in der tiefen Pfalz, zu einem Erzählband verdichtet, der ihm einen Achtungserfolg bescherte. In Saga, 2000 bei KiWi erschienen, erscheint die Provinz erstaunlich unprovinziell, die geschilderte Welt keineswegs einengend, auch wenn (natürlich) vom Ausbruch, vom Überschreiten des heimatlichen Horizonts die Rede ist – und von der heimlichen Angst davor:
Jedenfalls erzählte mir Christof, als wir es uns oben auf dem Felsplateau gemütlich gemacht hatten und nach Westen guckten, [ …] fünfmal im Jahr bei Vollmond zögen Elfen übers Land. Man kann sich hinter einem Baum oder einer Hecke verstecken und ihnen zusehen, wie sie übers Land ziehen. Es ist schön, sagte Christof, ihnen zuzusehen, sie sehen gut aus und sind immer ausgelassen und heiter. Und wenn man nicht wüßte, daß es Elfen sind, meinte Christof, dann könnte man sie glatt für Amerikaner halten. [ …]
Und dann sagte er, ohne noch einmal auf die Amerikaner zu sprechen zu kommen, daß einen die Elfen jedoch sofort, wenn sie einen hinter dem Baum oder der Hecke entdeckten, schnappten und mitnähmen.
Den Rest der Nacht, sagte Christof, mußt du dann mit ihnen mitlaufen, und wenn du am Morgen wieder nach Hause kommst, ist deine Familie schon lange nicht mehr am Leben. Von den Leuten im Dorf kennt dich keiner mehr, und du selber kennst auch keinen mehr. Für die Menschen sind nämlich zweihundert Jahre vergangen, während du mit den Elfen liefst, und du, sagte Christof, du bist dann ein Elwetritsch. «
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Da entpuppt sich das heimische Nest, das wir flüchten wollen, ja um unser selbst willen flüchten müssen, in der Flucht aber bereits ahnen, dass wir es so auf immer verlieren können, als Falle, in die wir wahllos hineintappen. Für den Elwetritsch gibt es keinen Ort der Rückkehr, zumindest ist es nicht mehr der selbe.
Die Falle heißt also Heimatlosigkeit – auch das ein immer wiederkehrendes Thema in der Literatur, »ein deutsches Thema« zudem, wie Christian Graf von Krockow in seinem Erfahrungsbericht Heimat konstatiert. Dass darin sowohl Risiken als auch Chancen für den Betreffenden liegen können, hat zuletzt der Schriftsteller Martin Mosebach in einem in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Essay zum Ausdruck gebracht:
»Wenn [das] Urbild des Dichters als heimatlos beschrieben wird, dann müsste man daraus schließen, dass der Schriftsteller, der seine Heimat verliert, seiner Bestimmung näherkommt. Er verlässt sein Milieu, um zu dem Punkt zu gelangen, von dem aus es betrachtet werden kann.
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Ob das auf den Autor Tobias Hülswitt so zutrifft, muss dahingestellt bleiben. Zumindest scheint die geographische Ferne8 (erst Leipzig, jetzt Berlin) zum Ort seiner Herkunft seinem Schreiben nicht abträglich zu sein – ganz im Gegenteil, möchte man meinen und Hellmut Geißner beipflichten, der schon 1966 für das Verhältnis von Literatur und Provinz thesenhaft proklamierte:
»[Der Autor] kann auf dem flachen Land Weltliteratur und Provinzielles in der Großstadt schreiben. / Die Teilhabe am urbanen Literaturbetrieb bedeutet keinen literarischen Vorsprung. / [ …] / Literarische Qualität hat keinen spezifischen Ort. / Literarische Qualität hat kein spezifisches Sujet. / Wird die Provinz literarisches Sujet, dann ist sie bereits aufgehoben (Hegel). / Nur in dieser Distanziertheit wird literarische Provinz Weltsujet und transferierbar.
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III
»So sehr Heimat auf Orte bezogen ist, Geburts- und Kindheitsorte, Orte des Glücks, Orte, an denen man lebt, wohnt, arbeitet, Familie und Freunde hat – letztlich hat sie weder einen Ort noch ist sie einer. Heimat ist Nichtort. Heimat ist Utopie. Am intensivsten wird sie erlebt, wenn man weg ist und sie einem fehlt; das eigentliche Heimatgefühl ist das Heimweh. Aber auch wenn man nicht weg ist, nährt sich das Heimatgefühl aus Fehlendem, aus dem, was nicht mehr oder auch noch nicht ist. Denn die Erinnerungen und Sehnsüchte machen die Orte zur Heimat.«
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Unmerklich scheinen wir das Thema gewechselt zu haben und sind uns doch, unausgesprochen, einig: Provinz, damit ist auch Heimat gemeint. Wenn vom Heimatidyll die Rede ist und ebenso (in einem Atemzug oft) von Heimatdichtung und Heimatfilm, wird man damit schwerlich die Häuserschluchten der Großstadt oder die Schornsteine und Fabrikhallen der Industriegebiete assoziieren, vermutlich nicht einmal dann, wenn man selbst aus solch einem Umfeld stammt. In unserer Vorstellung ist Heimat ebenso Provinz wie Nichtort – »das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war«. Heimat meint das uns vertraute, behagliche und überschaubare Inventar von Landschaft und Leuten – und hat, auf diesen Minimalnenner gebracht, eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem, was uns unwillkürlich assoziativ zu Provinz einfallen will.
In der November-Ausgabe des Internet-Literaturmagazins schriftstelle liest sich das etwa so:
Es gibt einfach einen Reiz, den die Welt der angeblich einfachen, unwissenden Menschen auf dem Lande ausübt. Sie erscheint uns rätselhaft. Dörfer, Äcker und dünn besiedelte Gegenden vermitteln die Idee geistiger Leere. [ …] Dabei spiegelt die Reduktion und Konzentration auf die ganz elementaren Dinge des Lebens – das Essen und Trinken und das Wetter – die Sehnsucht des Städters wider, der nicht unmittelbar an einem Produktionsprozess beteiligt ist, nach Einfachheit, nach Sorgen, die sich klar benennen lassen und nach einer ursprünglichen Gefühlswelt. Die Provinz als Ort von Wahrhaftigkeit, von reiner, unverschmutzter Selbst- und Naturerfahrung, aber auch als Ort der geistigen Beschränktheit und der emotionalen Enge kann für vielerlei Konflikte im Zivilisationsstress eine offene Bühne werden. «
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Der rätselhafte Reiz des platten Lands, die geistige Leere oder Beschränktheit, die Konzentration auf das Wesentliche12, die Provinz als Ort der Wahrhaftigkeit letztlich – Wohl dem, der in Städten lebt! möchte man den Berliner Herausgebern zurufen, die diesen arg tiefen Griff in die Klischeekiste gewagt und auch darüber hinaus nicht viel Neues zum Thema zu bieten haben. Interessant aber erscheint dieser (freilich gekünstelte) Einblick in die Seele des Städters, als Synonym eines Kindheitstraums von der heilen Welt, unter einem anderen Aspekt, nämlich der schon erwähnten Kongruenz zwischen dem herkömmlichen Bild der Provinz und der Heimat. Ist nicht gerade Heimat für uns ein Ort von Wahrhaftigkeit – und eben darum auch Nichtort/Utopie?
Heimat kann (wem sagt mans!) auch schmerzlicher (Nicht-)Ort sein, zumal für den, der sie hinter sich lassen will – dann ist es ganz so, wie es Angelika Mechtel der Protagonistin ihrer Geschichte »An zwei Orten zu leben«, gleichsam eine Gefangene der Provinz, zugedenkt: »Wenn sie aufsteht, fängt das Dorf an. [ …] Hier ist sie zu Hause. Nur die Toten gehen fort, ohne jedoch die Lebenden zu verlassen.«13 Tröstlich hingegen erscheint Heimat für den, der sie nicht fliehen will, aber getrennt von ihr ist, als der Ort, »wo die Straße deinen Namen kennt« und wohin die »Liebe für die dein Herz brennt« uns aus der Ferne zurückruft: »Komm heim / [ …] Nimm den Fluss setz dich ans Ruder und geh erst bei uns an Land / Deine Füße tragen Schätze von denen du und wir nichts wissen / Ich sende Grüße von diesem Ort und will dich nicht länger missen!«14 Vergegenwärtigen wir uns die Gefahr der Heimatlosigkeit, die mit dem Aufbruch aus der Provinz verbunden sein kann, liegt hierin die gleichsam magische Formel, dieser Falle zu entgehen: Wir werden eingeladen, das heißt die Heimat selbst wird zum Akteur, sie startet eine Rückrufaktion: Mutabor! – ich werde zurückverwandelt, ich werde dem Ort, den ich verlassen habe, wieder verwandt – und schaut, welche Schätze ich von meinem Trip mit den Elfen mitgebracht habe!
IV
»Die Suche nach Zugehörigkeit und Zuhausesein im Regionalen ist übrigens nicht nur ein deutsches Thema. In einer Zeit, in der sich die politischen Entscheidungsprozesse immer weiter hinauf auf eine höhere, abstraktere Ebene verschieben und am Ende irgendwo in der Bürokratie von Brüssel verlieren, wächst das Bedürfnis nach Ausgleich, eben nach dem regional Besonderen. [ …] Deutschlands Reichtum [ …] war immer die Vielfalt. Sie zu achten und zu stärken statt zu schwächen sollte heute und in der Zukunft ein Gebot unserer Klugheit sein.«
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Heimat – das ist natürlich nicht zuletzt die Sprache, getreu dem Sinnspruch Wittgensteins: »Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt«. »The Place of Heimat« lautet der ursprüngliche Titel des hier bereits zitierten Vortrags, den Bernhard Schlink 1999 in der American Academy in Berlin gehalten hat. Das verweist auf eine sprachliche Besonderheit: Heimat ist ein Begriff, für den es z.B. im Englischen keine Entsprechung gibt – und nicht nur dort. Heimat ist also auch im wortwörtlichen Sinne ein deutsches Thema.
Das erklärt sich aus der geschichtlichen Topographie Deutschlands: Über 500 souveräne und teilsouveräne Königreiche und Fürstentümer zählte das Heilige Römische Reich deutscher Nation, ohnehin eher ein historisches Hilfskonstrukt denn eine tatsächliche Entität, zu seiner Glanzzeit. Anders als im späteren Deutschen Reich war damit zugleich der gesamte deutsche Sprachraum gleichsam in Territorien gegliedert – viele Provinzen also, allerdings ohne die eine Kapitale. Das mag als Erklärung beinahe genügen, warum Heimatgefühl in Deutschland stets etwas anderes meinte als Patriotismus oder Nationalismus. Heimat ist nicht die Nation, sondern die Provinz (korrekter: Region), der man entstammt oder der man sich zugehörig fühlt, und diese Provinz steht in mehr oder minder ausgeprägter Konkurrenz, zumal Abgrenzung zu anderen Provinzen.
Wenn heute das Wort provinziell im politischen Sinne verwendet wird, dann meint es genau diesen Unterschied zwischen Heimat und Nation, die von manchen als Defizit verstandene angebliche Unfähigkeit, im nationalen oder gar globalen Kontext zu denken. Gerade in dieser Provinzialität aber liegt die Vielfalt begründet, die die deutsche Sprache und Kultur – und natürlich die Literatur – prägt. Bei genauer Betrachtung findet sich Regionalkolorit in nahezu jedem literarischen Werk, eine Scheu vor der Provinz haben deutschsprachige Schriftsteller nie gekannt, nicht einmal dann, wenn sie sie ausdrücklich verachteten. Nationalliteratur ist auch darum hierzulande nicht nur Mangelware, sondern schlicht ein unsinniger Terminus, wenn es nur darum geht, eine Einordnung im Sinne von E- und U-Literatur zu treffen – als qualitatives Kriterium taugt er ebensowenig wie der oft abfällig gebrauchte Begriff Provinzliteratur.
Man mag daher mit Hellmut Geißner zu dem Schluss gelangen:
»Literatur in ihren drei Parametern: Autor, Werk, Leser, Literaturkritik, Literaturtheorie und Literaturwissenschaft haben keine originäre Beziehung zur Provinz: das und in der Formel Literatur und Provinz verdeckt das Problem.«
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Damit ist freilich nicht alles geklärt, viele Bezüge sind aber zumindest angerissen. Sich mit ihnen näher zu beschäftigen, kann auch heute eine lohnenswerte Aufgabe für jeden ernsthaft Schreibenden sein. Und sei es auch 'nur' der eigenen Verortung wegen …
Fußnoten
1 Ludwig Marcuse: Gibt es noch die Provinz? In: Carl Amery (Hg.): Die Provinz. Kritik einer Lebensform. München: dtv, 1966. S. 182.
2 Jan Ross: Arbeit am neuen Weltbild. In: DIE ZEIT 45/2001, Dossier.
3 Wobei freilich der Mythos der Metropole fast so alt ist wie der Mythos der Provinz – was mir Anlass für eine kurze Fußnotenanekdote gibt: Immer wenn meine Eltern mit uns Kindern früher in Urlaub, also meist nach Bayern, Österreich oder in die Schweiz, fuhren und meine Oma, die ihr ganzes Leben im Dorf verbracht hatte, gefragt wurde, wohin wir denn verreist seien, antwortete sie stereotyp: Erschedwo hinner Berlin! (Irgendwo hinter Berlin!) Hinter Berlin war Synonym für die große weite Welt, etwa so, wie, laut einer bekannten deutschen Countryband, der wilde wilde Westen gleich hinter Hamburg anfängt.
4 Martin Gregor-Dellin: In Aschern und anderswo. In: Amery (Hg.): Die Provinz, a.a.O., S. 35 f.
5 A.a.O., S. 181.
6 Tobias Hülswitt: Saga. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2000. S. 146 ff. – Die vom Verlag gewählte Bezeichnung Roman ist übrigens irreführend und verdankt sich wohl eher vermarktungstechnischen Überlegungen.
7 Martin Mosebach: Je ferner der Rhein rückt, desto lauter wird sein Rauschen. Eine kleine Poetik der Heimatlosigkeit. In: Süddeutsche Zeitung vom 05.01.2002.
8 Ein Verweis auf die Geschichte scheint hier angebracht, schließlich ist der Diskurs um Literatur und Provinz längst nicht neu, wie schon die in diesem Artikel zitierten Autoren aus den 60er Jahren beweisen. Hingewiesen sei hier etwa auf die Diskussion um literarisches Schaffen im Spannungsfeld von geographischer Nähe und Ferne, der 1977 in der Zeitschrift die horen (Heft 104 und 106) geführt wurde.
9 Hellmut Geißner: Literatur und Provinz. Nachgetragenes. [1966] Im Internet unter http://www.uni-stuttgart.de/ndl1/hoflitage/hofgeissner1.htm (Stand: 08.11.2001)
10 Bernhard Schlink: Heimat als Utopie. [The Place of Heimat.] Frankfurt a.M.: edition suhrkamp (Sonderdruck), 2000. S. 32.
11 Editorial zu: schriftstelle – mag für literatur. 2. Ausgabe (November 2001), Thema: Provinz. Im Internet unter: http://www.schriftstelle.de/thema_2_/index.php (Stand: 27.11.2001).
12 Das wohl prominenteste Klischee unter den hier aufgezählten, die sich übrigens auch bei Hülswitt wiederfinden, freilich ironisch konnotiert aus dem umgekehrten Blickwinkel: »Dann frage ich mich, ob es mit meiner Kindheit auf dem Land zu tun hat, daß ich Sinead OConnor und Alanis Morissette nicht auseinanderhalten kann, aber ich sage mir, daß andere Dinge wichtiger sind und daß man auf dem Land zwangsläufig nur das Wesentliche lernt. Ich frage mich, was das Wesentliche ist, aber ich kann es so schnell nicht beantworten und denke, ich werde es später beantworten.« (Saga, S. 140)
13 Angelika Mechtel: An zwei Orten zu leben. In: Vera Botterbusch und Klaus Konjetzky (Hgg.): 17x Heimat. An zwei Orten zu leben. München: Goldmann, 1985. S. 175.
14 Söhne Mannheims: Komm heim. Text: Xavier Naidoo und Eric Serra.Aus dem Album Zion, 2000.
15 Christian Graf von Krockow: Heimat. Erfahrungen mit einem deutschen Thema. München: dtv, 1992. S. 160.
16 Hellmut Geißner, a.a.O.