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Juli 2003
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Edda Gerstner
für satt.org | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Unser Mann im AllBericht von der
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Gregor Sedlag Fotos © Helene Hecke Erfrischungen werden gereicht … Hans Esselborn (mitte) Rainer Stache Alexander Seibold Regina Schleicher Dietmar Dath, Klaus N. Frick und Klaus Farin |
Um das Phänomen "Perry Rhodan" zu ergründen, hatten das Archiv der Jugendkulturen (Berlin), die Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn und der Pabel-Moewig Verlag (Rastatt) vom 11. bis 13. Juli zu einer Fachtagung über "Perry Rhodan" nach Berlin geladen. Zehn Referenten aus Kultur und Wissenschaft näherten sich in ihren Vorträgen dem Massenmedium.
Perry Rhodan erschien zum ersten Mal am 8. September 1961 im Moewig-Verlag. Die Väter der Serie, das Autoren-Team Karl-Herber Scheer und Walter Ernsting hatten das Konzept entworfen. Ihre Prämisse: "Was wäre, wenn Menschen unserer Zeit auf dem Mond landeten (damals für viele absolute Utopie) und dort auf Außerirdische träfen?" Damals war nicht abzusehen, daß diese Serie ein Dauerbrenner werden würde - bis heute sind allein 2200 Hefte, über 400 Taschenbücher und mehr als 80 Hardcoverbände erschienen. Die einzelnen Romane werden von einem wechselnden Autorenteam geschrieben, die groben Handlungszüge von den Exposé-Schreibern vorgegeben.
Wie Gregor Sedlag in seinem Vortrag "Bundesrepublikanisches Lebensgefühl im Spiegel der Perry Rhodan-Serie" ausführte, war es für die Deutschen des Jahres 1961 kein Problem, sich mit dem Amerikaner Perry Rhodan, der nach anfänglichen Schwierigkeiten die Erde zu einer Nation "Terra" eint, zu identifizieren. Im Gegenteil hätte die Erinnerung an Auschwitz und das "Dritte Reich" es ihnen erschwert, zu einer nationalen Identität zu finden. Daher sei es sehr verlockend gewesen, sich als "Terraner" und Weltenbürger zu fühlen. Es sei nicht verwunderlich, daß zur Zeit des kalten Krieges auch in der Serie Kämpfe und Raumschlachten mit anderen Bewohnern der Galaxis die Handlung der Romane bestimmten. Während die Bundesrepublik das Wirtschaftswunder erlebte und den Anschluss an den Weltmarkt schaffte, erlebten die Terraner den Aufstieg des Solaren Imperiums und es gelang ihnen, Zugang zur überlegenen Technik der Arkoniden zu erhalten.
In den achtziger Jahren veränderte sich das politische Umfeld und auch
die Serie. Die Zahl der Raumschlachten nahm ab, das Solare Imperium wurde zerschlagen, es traten Superintelligenzen und Kosmokraten auf. Perry Rhodan, der mittlerweile unsterblich geworden war, habe eine Entwicklung von der Figur zur Idee durchgemacht, die Figuren mehr Profil erhalten.
Wie Professor Hans Esselborn in seinem Vortrag "Topoi der Kritik an Perry Rhodan seit den 70er Jahren" erläuterte, wurde im Jahr 1967 erstmals vehemente Kritik an den Romanen laut. Es wurde der Vorwurf des Faschismus und der Pseudowissenschaft erhoben, und man warf der Serie vor, den Leser zu manipulieren. Es wurde davor gewarnt, junge Menschen dieser Trivialliteratur auszusetzen. Diese Kritik sei auch durch die politischen Strömungen dieser Zeit (Vietnamkrieg, Studentenrevolten) bedingt gewesen. Perry Rhodan, der bis dato noch als charismatischer Führer verstanden wurde, sei plötzlich nur noch "Führer" im negativen Sinn gewesen. Prof. Esselborn zeigte in seinem Vortrag aber auch auf, daß es in der Serie nicht um Gut und Böse gehe, sondern die Serie den Grundlagen des Science-Fiction-Genres folge. Es gehe um die Behauptung einer "Innen-Gruppe" gegen eine "Außengruppe". Das Schema müsse immer Bedrohung – Abenteuer – Rätsel lauten. So werde für den Leser Spannung erzeugt. Zum Vorwurf der Pseudowissenschaft sei zu sagen, daß Perry Rhodan reine Unterhaltung sei und in der Tradition der amerikanischen Space-Opera stehe . Deshalb müsse hier auch nicht, wie in den technischen Zukunftsromanen von Dominik, Technik erklärt werden. Technik sei in amerikanischer SF kein zentrales Thema. Sie müsse nicht funktionieren, sie dürfe nur keinen Illusionsbruch verursachen. In den 80er Jahren nahm die Kritik ab (sicher auch bedingt durch den Wechsel der Exposé-Redaktion), und in den 90er Jahren erschienen erstmals differenzierte Arbeiten und Forschungsberichte zum Thema Perry Rhodan.
Wie alle Referenten bedauerte auch Prof. Esselborn, daß es zum Thema Perry Rhodan noch zu wenig echte Forschung gebe. Das liege unter anderem daran, daß Polemik und Vorurteile Forschung über "Heft-Literatur" hemmen. Er räumte aber auch ein, daß der enorme Umfang der Perry Rhodan-Serie, die Verteilung auf verschiedene Autoren und die Tatsache, daß die Serie noch nicht abgeschlossen ist, Forschung erschwere.
Aus der Sicht des Lesers referierte Dr. Rainer Stache in seinem Vortrag "Perry Rhodan - kybernetisch". Er vertrat die These, daß es keine schlechte Literatur gebe, sondern jede Literatur ihre Daseinsberechtigung habe. Die Qualität von Literatur mache sich an der Interaktionsfähigkeit mit dem Leser fest. Wichtig sei, daß der Leser weder über- noch unterinformiert werde und die Texte ohne Fehler und Brüche blieben. Spannung dürfe niemals nur der Spannung wegen erzeugt werden, sondern müsse für den Leser in der Handlung nachvollziehbar sein. Er lobte die hochkomplexe Parallelwelt der Perry Rhodan-Zyklen und den Respekt, den man dem Leser entgegenbringe. Allerdings hielt er sich auch nicht mit Kritik zurück. So bedauerte er, daß mit der deutschen Sprache oft schlampig umgegangen würde und durch überzogene Wortspielereien im Text die innere Glaubwürdigkeit der Handlung leide.
Einen ganz anderen Ansatz hatte Dipl.-Theologe Alexander Seibold. Er untersuchte "Das Göttliche in Perry Rhodan". Seibold kam zunächst zu dem Schluß, daß die wahren Götter im Perry Rhodan-Kosmos die Autoren seien. Sie erschüfen die Figuren und lenkten die Geschicke ihrer Helden. Dennoch seien die Galaxien nicht ohne Götter. Allein die Arkoniden beten 12 Gottheiten an. Doch selbst der Arkonide Atlan ist der Meinung, daß Götter "Nichtse" seien, denn er habe im Laufe seines unsterblichen Lebens schon zu viele Götter kommen und gehen sehen. Ebenso verhält es sich aber auch mit den Autoren. Nur Perry Rhodan ist immer gegenwärtig. Ist er also der Gott der Terraner?
In der Tat zeigte Alexander Seibold Parallelen zu Jesus Christus auf: Perry Rhodan ist der Erbe des Universums, er eint die Erde (eine Analogie zum Johannes Evangelium, wo es heißt: "alle sollen eins sein"), von ihm erwarten die Terraner die Erlösung. Hier allerdings unterscheiden sich die Figuren Christus und Rhodan, so Seibold. Denn während Christus die Welt durch Tod und Auferstehung schon erlöst habe und die Christen sich bereits in der Endzeit befänden, stehe die endgültige Erlösung für die Terraner noch aus. Abschließend stellte Seibold fest, daß in der Perry Rhodan-Chronologie die Frage nach Gott freigesetzt werde und daß, obwohl die Autoren sich bemühten, keiner bestehenden Religion zu nahe zu treten und sich zurückhaltend und neutral verhielten, die Serie nicht religionslos sei.
Regina Schleicher untersuchte am letzten Tagungstag die Geschlechterrollen bei Perry Rhodan. Auch wenn Perry Rhodan überwiegend von Männern gelesen werde und im Perry Rhodan-Kosmos hauptsächlich Männer agierten, sei das Perry Rhodan-Universum keineswegs ohne Frauen, so Schleicher. Sie kämen sogar in einer großen Bandbreite vor und es würden ihnen auch Macht, Führungspositionen, Technikwissen und Verstand zugeordnet. Allerdings komme Sexualität selten vor und wenn, fehle oft jede Erotik. Aber schon Prof. Esselborn hatte in seinem Vortrag festgestellt, daß das Genre SF Erotik praktisch ausschließe. Regina Schleicher bemängelte außerdem, daß es in den Romanen immer noch "Mädels" statt junger Frauen gebe - es ist jedoch recht tröstlich, daß der Chefredakteur, Klaus Frick, sofort einräumte, daß in den Neuauflagen der Romane gnadenlos "entmädelt" werde und daß man auch die alten Haudegen weichspülen wird - d.h. es wird nicht mehr soviel gesoffen und geraucht werden in der Kommandozentrale.
Dieses Vorgehen zeigt ganz deutlich, daß Perry Rhodan zwar auch Literatur ist, aber in erster Linie ein industriell gefertigtes Massenprodukt, das dem Markt unterliegt und deshalb in einem stetigen Wandel begriffen ist. Es ist seiner jeweiligen Leserschaft verpflichtet und muß sich daher auch am Zeitgeist orientieren.
Der Tagungsband erscheint in ca. drei Monaten.
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