Joachim Radkau/Frank Uekötter (Hg.):
Naturschutz und Nationalsozialismus
Als „echte Naturschutzbewegung“ bezeichnete Erich Gritzbach den Nationalsozialismus 1938 in seiner parteiamtlichen Biographie des Reichsforstmeisters, Reichsjägermeisters und Obersten Beauftragten für den Naturschutz Hermann Göring [1]. Diese Selbststilisierung mag heute verwundern, zumal seit Entstehung der GRÜNEN Ende der 1970er Jahre Umwelt- und Naturschutz gemeinhin mit einer linken politischen Positionierung in Verbindung gebracht wird.
Daß aber jene These einer braun-grünen Allianz von der Geschichtswissenschaft nicht von vorneherein als bloße Propagandabehauptung abgetan werden kann, zeigt nun der Sammelband „Naturschutz und Nationalsozialismus“ in aller Ausführlichkeit auf knapp 500 Seiten, von dessen 18 Beiträgen einige im folgenden exemplarisch besprochen werden. Er versammelt die Ergebnisse eines 2002 von der Stiftung Naturschutzgeschichte [2] mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums ausgerichteten Fachkongresses, der die „geschichtsbewusste Praxis in Umwelt- und Naturschutz“ (so Bundesumweltminister Jürgen Trittin) fördern sollte. Im Gegensatz zur Vergangenheitsaufarbeitung anderer in den Nationalsozialismus verstrickter Fachrichtungen geschah dies wie von den Ausrichtern mehrfach hervorgehoben - ohne den vorgelagerten Druck einer öffentlichen Debatte, wenn auch erst mit über 50-jährigem zeitlichen Abstand [3].
Hauptanliegen des Buches ist „jenseits von Apologie und Anklage“ die differenzierende Untersuchung der personellen und ideologischen Verbindungen zwischen den Sphären von Naturschutz und Nationalsozialismus. Dabei wird zu Recht zwischen gestaltender Landschaftspflege und bewahrendem Naturschutz unterschieden, die allerdings ein elitäres Selbstverständnis und eine autoritäre Politikauffassung teilten. Aber während erstere unmittelbar an der auf genozidaler Beseitigung der jüdischen und slawischen Bevölkerungsgruppen aufbauenden Umgestaltung der eingegliederten Ostgebiete beteiligt war, liegen beim Naturschutz die Dinge deutlich komplizierter. Die erheblichen ideologischen Schnittmengen zwischen Nationalsozialismus und dem größtenteils aus dem Heimatschutz hervorgegangenen Naturschutz zeigten sich etwa in der Berufung auf ein exzeptionelles deutsches Wesen oder in der Ablehnung der modernen Massengesellschaft. So fügten sich führende Naturschützer wie etwa Walther Schoenichen mit ihrer extremrassistischen und antisemitischen Rhetorik nahtlos in die NS-Weltanschauung von Blut und Boden ein, wohingegen andere auch nach 1933 weiterhin die gemäßigteren Formeln von Volk und Heimat bevorzugten.
In seinen grundsätzlichen Überlegungen „Naturschutz und Nationalsozialismus wo ist das Problem?“ widmet sich der Mitherausgeber Joachim Radkau der Verortung des Naturschutzes im nationalsozialistischen Machtgefüge: Weder die Schutzbehauptung einer Nischenexistenz noch die vereinfachende These einer unmittelbaren Nähe zur Macht würden in ihrer totalitarismustheoretischen Verkürzung der Realität gerecht. Erst mittels des Polykratie-Konzepts könnten die vielfältigen Beziehungen zwischen dem Naturschutz und den konkurrierenden Machtzentren des Nationalsozialismus deutlich gemacht werden. Für Hitler etwa galt Natur bloß als politisch-darwinistische Lehrmeisterin, nicht aber als schützenswertes Gut. Göring hingegen war von der grundlegenden Bedeutung der deutschen Natur und der Naturschutzgebiete für die sittliche Wiedergeburt des deutschen Volkes überzeugt. Angesichts des rapiden Bedeutungsverlustes des Naturschutzes im Zuge der forcierten Kriegswirtschafts- und Autarkiepolitik konstatiert Radkau aber, dass er letztendlich „weit mehr für die nationalsozialistische Ideologie und Imagination als für die effektive Politik von Bedeutung war“.
Als Beitrag zur Rechts- und Institutionengeschichte stellt Edeltraud Klueting das Gesetzeswerk des Dritten Reiches zum Tier- und Naturschutz vor. Deutlich wird hier die Rolle von Führerstaat und Ermächtigungsgesetz für die schnelle Durchsetzung zum Teil seit Jahrzehnten umstrittener Vorhaben, weswegen viele Naturschützer den totalitären Umbau des Staates enthusiastisch begrüßten. In den Gesetzesinhalten selbst findet sich eine verschieden starke Durchdringung mit NS-Gedankengut: So habe das bereits April 1933 verabschiedete Gesetz über das Schlachten von Tieren in seiner Instrumentalisierung der deutschen Tierliebe vor allem dem Verbot des rituellen jüdischen Schächtens gedient und sei damit Ergebnis einer „Allianz zwischen Tierschutz und Antisemitismus“. Bezüglich des Forstlichen Artgesetzes von Dezember 1934 waren forstliche Fachfragen nachrangig gegenüber der Übertragung rassenideologischen Gedankengutes auf die Saatgutkontrolle. Das Reichsnaturschutzgesetz von Juni 1935 hingegen wird als im wesentlichen unideologisch beschrieben, allerdings sei es bis auf die Möglichkeit entschädigungsloser Enteignung nur Kompilation bereits existierender Gesetze und Entwürfe. Die umfangreiche legislative Naturschutzaktivität der Jahre 1933 bis 1935 war Klueting zufolge kaum mehr als ein propagandistisches „Strohfeuer“ ohne realpolitische Folgen.
Der ideengeschichtliche Beitrag von Friedemann Schmoll exemplifiziert unter dem Titel „Die Verteidigung natürlicher Ordnungen“ die möglichen ideologischen Verknüpfungen zwischen Naturschutz und Antisemitismus am Topos der Reklamekritik. Der Widerstand gegen die sich im Kaiserreich rapide verbreitende Landschaftsreklame als Symbol für Massengesellschaft und Konsumismus begründete sich anfangs milieuspezifisch aus heimatschützerischen, antiamerikanischen oder antisemitischen Motiven. Im Rahmen der Radikalisierung der politischen Rechten nach 1918 kam es zur zunehmenden Verschmelzung dieser drei Motivlagen, womit der als heimatlos perhorreszierte Jude zur Hauptgefahr für die deutsche Landschaft avancierte. Im Mai 1935 verbot dann ein Erlaß Görings die Landschaftsreklame mit Hinweis auf deren undeutschen händlerischen Geist. Große Teile der Naturschutzbewegung radikalisierten sich so in Richtung Rassismus und Antisemitismus, während anfangs noch vorhandene liberale und demokratische Strömungen ins Abseits gerieten. Als entscheidend für diese Entwicklung „von einer bildungsbürgerlichen Bewahrbewegung zum Stichwortlieferanten einer Vernichtungsideologie“ erscheint Schmoll die Anschlussfähigkeit grundlegender Ideologeme des Mainstream-Naturschutzes: Anti-emanzipatorische Grundhaltung, Sehnsucht nach quasi-natürlicher Ordnung sowie Berufung auf deutsche Eigenart.
Mittels organisationsgeschichtlicher und biographischer Perspektive untersucht Anna-Katharina Wöbse den Reichsbund für Vogelschutz als „Soziale Bewegung im Gleichschritt“. Der 1899 als Bund für Vogelschutz gegründete Verein avancierte nach der nationalsozialistischen Machtübernahme durch erzwungenen Beitritt der anderen Vogelschutzverbände schnell zur größten Naturschutzorganisation. Den Vorsitz übte von der Gründung bis zu ihrem Tod 1941 die deutsche Vogelmutter Lisa Hähnle aus, so daß hier Kontinuitäten wie Brüche in der Arbeit eines Naturschutzverbandes exemplarisch deutlich werden. Das apolitische und gleichzeitig staatstragende Selbstverständnis zeigte sich in der Konzentration auf lokale Aktionen etwa der Nistkastenpflege, wie auch die Anpassung an die neue Ideologie und Rhetorik „widerstandslos“ erfolgte: Bereits 1934 wurde der Arierparagraph eingeführt und Vogelschutz im Sinne des Führers propagiert. Als Grund für diese reibungslose Zusammenarbeit sieht Wöbse weniger die weltanschauliche Übereinstimmung als machtpolitische Überlegungen: Während Hähnle sich gesteigerten Einfluß im Vogelschutz erhoffte, ging es den Nationalsozialisten um den propagandistischen Mehrwert etwa der Lieferung von 5.000 Nistkästen auf den Obersalzberg.
Abschließend untersucht Jens Ivo Engels die Strategien der „Vergangenheitsdeutung und bewahrung“ des westdeutschen Naturschutzes nach 1945, wo bis in die späten 1980er Jahre statt kritischer Aufarbeitung eigener Verstrickungen ein interessengeleitetes „Geschichtsbild zwischen Erfolgsgeschichte und Opferstatus“ dominierte. Auf der einen Seite wurden insbesondere das Reichsnaturschutzgesetz und die Reichstelle für Naturschutz zu auch für die Bundesrepublik vorbildlichen Errungenschaften stilisiert. Eben dafür mussten aber andererseits die ideologischen Aspekte des Naturschutzes im Nationalsozialismus verschwiegen werden zugunsten der Legende rein fachlicher politikferner Arbeit gegen angeblichen Widerstand der NSDAP. Beleg für den Erfolg dieser „aktiven Geschichtspolitik“ des deutschen Naturschutzes sind seine im wesentlichen ungebrochenen wie unreflektierten personellen und institutionellen Kontinuitäten über den politischen Systemwechsel hinweg. Da ebenso jegliche Auseinandersetzung mit den ideologischen Berührungspunkten zwischen Naturschutz und Nationalsozialismus unterblieb, fanden sich im naturschützerischen Diskurs noch bis in die 1970er Jahre „volkstumsideologische Restbestände“, gepaart mit kulturkonservativem Vokabular und ungetrübt elitärem Selbstverständnis.
Der durch einen umfänglichen Literaturbericht von Frank Uekötter abgeschlossene Sammelband kann interessierten Lesern insbesondere aus Geschichtswissenschaft und Naturschutz zur Lektüre nachdrücklich empfohlen werden. Erstmals wird hier der schwierigen Konjunktion von Naturschutz und Nationalsozialismus in einer Vielzahl von Perspektiven nachgegangen, ohne aber in moralisierende oder polemisierende Vereinfachungen zu verfallen. Allerdings verbleiben, wie die Herausgeber selbst auch freimütig einräumen, noch zahlreiche Desiderate: z.B. lokalgeschichtliche Studien zur konkreten NS-Naturschutzpraxis oder komparatistische Untersuchungen zur Naturschutzpolitik demokratischer wie totalitärer Staaten.
Zum Schluß seien noch einige kleinere Mängel des ansonsten vorzüglichen Bandes benannt: Eine stärker ideologiegeschichtliche Perspektive könnte der Untersuchung von weltanschaulichen Schnittmengen zwischen dem Ideologiekonglomerat des Nationalsozialismus und den verschiedenen Strömungen des Naturschutzes wie von Kontinuitäten und Brüchen noch gesteigerte Aussagekraft verleihen. Zu Hermann Göring als einer zentralen Persönlichkeit zwischen Nationalsozialismus und Naturschutz wäre ein biographischer Beitrag sicher wünschenswert gewesen. Und nicht zuletzt ist das Fehlen eines Personen- und Sachregisters gerade angesichts der Vielzahl von angesprochenen Themen besonders bedauerlich.
[1] Gritzbach, Erich: Der Reichsforstmeister und Reichsjägermeister, in: Ders., Hermann Göring. Werk und Mensch, München 1938, S.76-119, Zitat S.95.
[2] Vgl. www.naturschutzgeschichte.de
[3] Vgl. als Vorarbeit etwa die primär institutionengeschichtlich ausgerichtete Studie von Klein, Manfred: Naturschutz im Dritten Reich, Diss. Univ. Mainz 2000.