Ulrich Pfeil:
Die »anderen« deutsch-französischen Beziehungen.
Die DDR und Frankreich 1949-1990
Es gibt in Ulrich Pfeils Studie ein schönes Helmut-Schmidt-Zitat, das in dem dickleibigen Band gleich zwei Mal auftaucht. Es stammt aus einem Interview, das der Altbundeskanzler vor drei Jahren dem Spiegel gab, und geht so: "In der Rückschau sieht es für alle heutigen Skribenten so aus, als sei die deutsch-französische Zusammenarbeit etwas Selbstverständliches gewesen. Dies war aber bis 1974 überhaupt nicht der Fall." Schmidt meint natürlich die westdeutsch-französische Zusammenarbeit, die er in der Tat gemeinsam mit Valéry Giscard d’Estaing wesentlich mitgestaltet und ausgebaut hatte. Dass ein solches Zitat auch für Pfeils Analyse durchaus zentral ist, die sich ja den »anderen«, bisher kaum erforschten ostdeutsch-französischen Beziehungen widmet, ergibt sich aus einer für die DDR-Außenpolitik fatalen Koinzidenz: Die ostdeutschen Diplomaten, deren frankreichpolitischen Konzeptionen zu einem Großteil auf der Hoffnung beruhten, im westdeutsch-französischen Verhältnis für Irritationen sorgen bzw. von den innerhalb des westlichen Bündnisses auftretenden Spannungen profitieren zu können, wurden just in dem Moment offiziell anerkannt, als das westdeutsch-französische Tandem so richtig in Fahrt kam. Deshalb blieb die DDR in den Augen französischer Außenpolitiker auch lange nach ihrer Anerkennung durch Frankreich "kein Staat wie jeder andere" (Pfeil). Auch als François Mitterrand der DDR im Dezember 1989, ein Vierteljahrhundert nach der offiziellen Anerkennung, endlich den symbolträchtigen Staatsbesuch schenkte, auf den sie so lange vergeblich gewartet hatte, geschah dies zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt. Der französische Präsident hatte nicht nur die innere Stabilität der DDR überschätzt und das außenpolitische Kalkül Helmut Kohls unterschätzt, er lag auch mit seinen Erwartungen an die demonstrierenden DDR-Bürger daneben. Das "deutsche Volk der DDR", wie sich Mitterrand ausdrückte, hatte zwar noch zu Beginn der Montagsdemonstrationen durchaus im Einklang mit den Vorstellungen Mitterrands "Wir sind das Volk" skandiert. Zur Zeit des Staatsbesuchs jedoch, gut einen Monat nach dem Mauerfall, zog die Mehrheit der Demonstranten bereits die "Ein Volk"-Variante des Slogans vor. Mitterrands Stabilisierungsbemühungen kamen zu spät. Auf dem Weg nach Schönefeld hatte sich sein Flugzeug "nahezu mit dem von Bundeskanzler Helmut Kohl in der Luft gekreuzt, der von der Menge in Dresden enthusiastisch empfangen worden war". Es gibt sie doch, die Ironie der Geschichte.
So ist denn auch Ulrich Pfeils Geschichte der ostdeutsch-französischen Beziehungen eigentlich die Geschichte einer Dreiecksbeziehung. Ohne Berücksichtigung der Bundesrepublik und des innerdeutschen Systemkonflikts, das stellt Pfeil von Anfang an klar, ist das ostdeutsch-französische Verhältnis nicht zu verstehen. Eine zweite Besonderheit ergibt sich aus dem Umstand, dass von zwischenstaatlichen, diplomatisch verfassten Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich bis 1974 streng genommen nicht die Rede sein kann. Der erste Botschafter der DDR in Frankreich, Ernst Scholz, wurde am 26. März 1974 durch Präsident Pompidou akkreditiert. Und doch nehmen die Jahre der "politisch-diplomatischen 'Nullbeziehungen'" zwischen 1949 und 1973 etwa zwei Drittel der knapp 650 Textseiten ein. Tatsächlich gelingt es Pfeil, nicht nur die Anerkennungsbemühungen der DDR-Staatsführung und ihrer größtenteils kommunistischen Bündnisgenossen in Frankreich nachzuzeichnen, ihre diskursiven Strategien und personellen Kanäle offen zu legen und dabei auch innerkommunistische Konfliktpotentiale zu problematisieren, sondern auch die (zumeist mehr schlecht als recht gedeihenden) semi-offiziellen Früchte dieser Annäherungen im politischen, zivilgesellschaftlichen und kulturellen Leben Frankreichs zu würdigen. Zu Recht, denn an die Stelle offizieller diplomatischer Beziehungen trat eine "bildreiche Imagepolitik" unterhalb der diplomatischen Ebene, mithilfe der ostdeutsch-französischen "Freundschaftsgesellschaften" beispielsweise. Auch der Kulturaustausch wurde als Mittel unterschwelliger Anerkennungspolitik instrumentalisiert. UFA-Filme etwa, oder auch die in Frankreich recht erfolgreichen Theaterstücke Berthold Brechts sollten das französische Publikum für die Belange der DDR sensibilisieren und so das Terrain für eine baldige Anerkennung von offizieller Seite vorbereiten helfen, gewissermaßen durch die Hintertür. Diskursiver Kern dieser Bemühungen blieb dabei stets der Verweis auf das eigene antifaschistische Erbe, von dem man hoffte, es würde das in seine Résistance-Vergangenheit so verliebte Frankreich der Nachkriegszeit für das Projekt DDR erwärmen (und von der Bundesrepublik entfremden).
Dass auch dieser an und für sich schlüssigen Strategie verhältnismäßig wenig Erfolg beschieden war, lag nicht nur an dem Umstand, dass auch solche Franzosen, die der DDR wegen ihrer antifaschistischen Staatsdoktrin Sympathien entgegen brachten, durch aktuelle Entwicklungen (die Intervention der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag, die Biermann-Ausweisung) ein ums andere mal verschreckt wurden. Dass sie letztlich scheitern musste, war auch der Tatsache geschuldet, dass der antifascisme à la RDA ein bornierter, für die individuellen Erfahrungen ostdeutscher aber eben auch französischen Antifaschisten verschlossener Monopolantifaschismus blieb, der aus Angst vor Widerspruch und Subversion aus dem offiziell propagierten kulturellen Staatsgedächtnis alle Narrative ausschloss, die ihm nicht in den Kram passten. Mit einer solchen Einstellung war selbst mit französischen Kommunisten, die in den vierziger Jahren gemeinsam mit deutschen Parteigenossen gegen die deutschen Besatzer gekämpft hatten, keine Außenpolitik zu machen. Pfeil spricht in diesem Zusammenhang von einem "politisch-ideologischen Balanceakt zwischen Abgrenzung und Öffnung". Außenpolitik mit angezogener Handbremse.
Ulrich Pfeils Studie ist eine echte Pionierleistung, um die (hoffentlich) auf absehbare Zeit niemand herumkommen wird, der sich mit den ost- und westdeutsch-französischen Beziehungen zwischen 1949 und 1990 beschäftigt, und dabei die in den letzten Jahren landauf, landab erhobene Forderung auch nur halbwegs ernst nimmt, die hiesige Zeitgeschichte möge doch endlich mit der historiographischen Integration der beiden deutschen Nachkriegsgeschichten beginnen.