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Januar 2005
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Tina Manske
für satt.org | |
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Thomas Müller: Bestie MenschWas kann ein Mann erzählen, der in seiner bisherigen Laufbahn mit etlichen Serienmördern, Vergewaltigern, sadistischen Quälern und ähnlichen Verbrechern gesprochen hat? Antwort: Nicht viel Neues. Spätestens seit man ihn beim Hin- und Herzappen zufällig bei JB Kerner gesehen hat, möchte man wissen, um was für einen „Teufels“-Kerl es sich da handelt und was dieser Mensch für Bücher schreibt. Thomas Müller ist nämlich der bekannteste europäische Profiler – obwohl er selbst diese Bezeichnung für wenig geeignet hält. Sagen wir es weniger plakativ: Thomas Müller ist der Star unter den Kriminalpsychologen. Durch seine Arbeit, die die Untersuchung von Tatorten und das Antizipieren von Handlungen seitens der Täter beinhaltet, können Verbrechen schneller aufgeklärt, ja vielleicht sogar verhindert werden. Das Buch „Bestie Mensch“ weckt also hohe Erwartungen: Was kann ein Mann erzählen, der in seiner bisherigen Laufbahn mit etlichen Serienmördern, Vergewaltigern, sadistischen Quälern und ähnlichen Verbrechern gesprochen hat, der die Akten von 518 Verbrechensopfern gewälzt hat? Kann so einer, muß so einer nicht so denken können wie diese „Bestien“ selbst? Da möchte man natürlich schon mal reinlugen, in solche Hirne. Aber Thomas Müller hat eigentlich nur zwei Nachrichten an seine Leser. Erstens: Es gibt Erfahrungswelten, die wir nicht betreten können. Zweitens: Nicht was einer sagt ist entscheidend, sondern was er tut – die Handlung ist der Moment der Wahrheit. Diese beiden Weisheiten, die er wahrscheinlich aus einem Samy-Molcho-Seminar mitgenommen hat, wiederholt er in seinem Buch so lange, bis es keiner mehr hören kann. Dazwischen streut er Bröckchen aus seiner Biographie, hauptsächlich wie begeistert alle von ihm waren und welch großartige Menschen mit ihm arbeiten wollten. Er ist halt ein toller Hecht, der Dr. Müller! (Ist Profilneurose eigentlich eine Volkskrankheit unter österreichischen schreibenden Männern? Das sollte man mal untersuchen.) Nur leider ist er kein Autor, denn die schiefen Vergleiche und Metaphern, an denen er sich versucht, hätte nur ein aufmerksames Lektorat korrigieren können. Ein solches gab’s aber anscheinend nicht, und so müssen wir von Menschen lesen, die Handlungen „setzen“, anstatt sie zu auszuführen, oder von Menschen, denen man nicht ansieht, was sie in ihrem Leben bereits „umgesetzt“ haben (Bäume? Verkehrsschilder?). Es ist nun einmal so: Müller kommt aus dem Polizeidienst, und das Behördendeutsch ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen, inklusive unbeholfen gespreizter Formulierungen wie „der Begierde des Todes die Türe weisen“. Aus dieser Tatsache kann man ihm noch nicht einmal einen Vorwurf machen – sie macht die Lektüre dieses Buches, das doch eigentlich jeden Thriller ersetzen können sollte, nur furchtbar langweilig. Selbstliebe und Redundanz tun ihr übriges. Das Ganze ist deshalb schade, weil hier die Möglichkeit ungenutzt verstrich, den Kontext „anormaler“ Erfahrungswelten dem Boulevard und den bürgerlichen Klischees zu entziehen und so etwas wie einen „aufklärerischen“ Bestseller zu schreiben. Stattdessen wieder nur das Fazit: „Menschen, die komplexe Verbrechen begehen, haben keine gelben Augen. Sie kratzen nicht mit ihren Fingernägeln am Boden dahin oder haben ein Kainsmal auf der Stirne …“ Abschließend sei erwähnt, dass Müller während eines Projektes die kriminelle Energie von Shakespeare und Schiller zutage förderte, indem er deren Dramen „Die Räuber“ respektive „Richard III.“ nach Profiler-Manier analysierte. Beide Dramatiker, so Müller, konnten das Denken und die Antizipation der Täter simulieren und die Manipulation von Menschen fiktional „umsetzen“. Nur, dass sie damit statt hinter Gitter in die Weltliteratur Einzug hielten – was, es sei wiederholt, Dr. Thomas Müller zumindest mit diesem Buch nicht gelingen wird. |
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