"Aus öde wird schön": Unter dieses Leitmotiv stellt Roland Siekmann seine "Kulturgeschichte der Sennelandschaft", die sich jenem eigentümlichen Wahrnehmungswandel widmet. Mittels des Ansatzes einer "hermeneutischen Sozialgeographie" untersucht die Bielefelder Dissertation die historische Entwicklung des Denkens, Sprechens und Schreibens über Landschaft am Beispiel der Senne. Dabei geht Siekmann von dem Paradoxon aus, daß dieser geographisch wie kulturell extrem periphere Raum im heutigen Ostwestfalen-Lippe zugleich einer der "am besten beschriebenen und untersuchten Landschaftsräume" ist. In der Folge zeichnet die Studie auf knapp 500 Seiten detailliert die Prozesse intellektueller Imagination und sozialer Konstruktion nach, durch die im Laufe von drei Jahrhunderten der einst gemiedene Frei- und Grenzraum der Senne zu einer romantischen 'Bilderbuchlandschaft' und daran anschließend sogar zu einem 'Naturparadies' werden konnte. Der untersuchte Diskurs kreiste dabei in all seinen Wandlungen stets um die Vorstellung von der Senne als einer 'eigenartigen' Landschaft im doppelten Sinne des Wortes. Das hierfür ausgewertete Quellenmaterial ist ungewöhnlich umfangreich und reicht von landes- und heimatkundlicher Literatur über populäre Bildbände und Fernsehdokumentationen bis hin zu qualitativen Interviews mit ehrenamtlichen und professionellen Senneschützern.
Noch im 18. Jahrhundert galt die Senne der Bevölkerung in den umgebenden Landesherrschaften wie den zuständigen Experten für Raumentwicklung und Agrarreform als sandig-trockene und unwirtliche 'Wüste in Westfalen'. Im Grenzgebiet der Herrschaftsräume von Lippe und Paderborn gelegen, erfüllte die siedlungsarme Region vorrangig die Aufgaben eines verkehrstechnischen Durchgangsraumes sowie eines ökonomischen Hinterlandes für extensive Nutzungen wie Schafweide oder Bienenzucht. Die negative Stereotypisierung der Landschaft als gefährlich und ärmlich übertrug sich auch auf die wenigen dort lebenden Menschen, zu denen in der Wahrnehmung vor allem Schmuggler, Deserteure und 'Zigeuner' gerechnet wurden. Für den externen Blick auf die Senne und ihre Bewohner kennzeichnend war damit einerseits das Stigma einer Armutsregion voller Elend, Kriminalität und Laster. Andererseits nutzten die angrenzenden Landesherren aber auch gerne die weitgehend siedlungsfreien Räume, um unliebsame Bevölkerungsgruppen aus den eigenen Kernterritorien als "Randgruppen in der Randlandschaft" anzusiedeln.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzog sich dann ein tiefgreifender Wandel im Blick auf die Senne, in dessen Folge die vormals gefürchtete Einöde immer mehr zur "schaurig-schönen Heidelandschaft" stilisiert wurde. Siekmann weist dabei auf die historischen Parallele zum weitaus bekannteren Fall der Lüneburger Heide hin, etwa den Anteil des 'Heidedichters' Hermann Löns an der Romantisierung auch der Senne. Interessanterweise brachte dieser Bedeutungswandel kaum neue landschaftliche Eigenschaften der Senne ins diskursive Geschehen, vielmehr kam es zu einer umfassenden Umwertung vorher eindeutig negativ besetzter Begrifflichkeiten und Zuschreibungen. So wurde etwa die Siedlungsleere und Abgeschiedenheit der Landschaft positiv gewendet zu Einsamkeit und Verwunschenheit. Auch die Armut der Bewohner verklärte man zur Anspruchslosigkeit, womit vormals als Symbole der Rückständigkeit geltende Figuren wie der Schafhirte oder der Heidebauer zu Idealtypen des einfachen ländlichen Lebens in seiner vermeintlichen Harmonie gerieten. Die konstruierte Heide-Idylle diente so als "Kompensationsraum" für das bedrohlich empfundene Voranschreiten der modernen Lebens- und Wirtschaftsweise in Form von Urbanisierung und Industrialisierung. Die zahlreichen bildungsbürgerlich geprägten Vereine für Naturkunde und Heimatforschung wie auch die regionalen Gliederungen von Wandervögeln und Naturfreunden entdeckten nun die vorher gemiedene Senne, welche als vermeintlich urtümliche Landschaft zum Objekt ihres Interesses und zum Ziel ihrer Wanderungen wurde.
In engem Zusammenhang mit dieser romantischen Verklärung vormoderner Landschafts- und Lebensformen stand die "Temporalisierung des Landschaftsblicks": Gerade angesichts der relativen Geschichtslosigkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit intensivierte sich so die Suche nach vor- und frühgeschichtlichen Spuren in der "Geschichtslandschaft" Senne. Zu identitätsstiftenden Symbolen für die Imagination einer 'uralten Senne' wurden dabei neben anderem die prähistorischen Grabhügel, die Senner Pferde als 'Deutschlands älteste Pferderasse' sowie die unter dem Sennesand vermuteten 'germanischen Heiligtümer'. Deutlich herausgestellt wird von Siekmann die weltanschauliche Nähe dieser Versuche der Landschaftsaneignung zu heimatschützerischen und auch immer deutlicher völkischen Denkmustern. In der Zeit des Nationalsozialismus gab es daher sogar Bestrebungen von Heinrich Himmlers SS-Ahnenerbe, Teile der Senne als 'Nationalheiligtum' unter einen besonderen Schutz zu stellen. Nach 1945 führten jene ideologischen Kontaminationen der Frühgeschichtsforschung zu einer "ernsthaften Krise" in der Beschäftigung mit diesen Aspekten der Sennelandschaft.
Die naturschützerische Beschäftigung mit der Senne begann erst einige Jahrzehnte nach den Anfängen des regionalen Heimatschutzes, war aber über das geteilte romantische Wunschbild von der offenen Heidelandschaft mit diesem gleichwohl "konstitutiv verknüpft". Unter die hier anfangs noch dominanten sinnlich-ästhetischen Argumente für den Schutz der Landschaft mischten sich jedoch immer mehr rational-naturwissenschaftliche Begründungen aus den Bereichen von Ökologie und Artenschutz. Mit der weiteren Professionalisierung und Institutionalisierung des bundesrepublikanischen Naturschutzes wurde die Senne zum Aktions- und Arbeitsfeld für eine Vielzahl von Naturschützern. Spätestens mit den in den 1990er Jahren entwickelten Plänen für einen 'Nationalpark Senne' auf dem großflächigen Gelände des dortigen Truppenübungsplatzes gelang es dann, die Sennelandschaft auch im Bewusstsein der bundesweiten Öffentlichkeit als eines der wenigen verbliebenen 'Naturparadiese' zu etablieren.[1]
Allerdings bekam so das lange in Fachkreisen und Bevölkerung vorherrschende Bild der urtümlich-authentischen Heidelandschaft Konkurrenz durch einen vorher bestenfalls randständigen Denkansatz, dem zufolge die vermeintliche Urlandschaft der Heide als anthropogen geprägte Kulturlandschaft zu verstehen sei. Im Sinne des aufkommenden Prozeßschutzes sollte nun die ursprüngliche Urwaldlandschaft vor Beginn der menschlichen Einflussnahme zumindest partiell wiederhergestellt werden. Siekmann schließt seine Betrachtungen mit der aus den Interviewanalysen gewonnenen Feststellung, daß sich in der Vorstellungswelt der heute tätigen Senneschützer das romantisch geprägte 'Heide'-Ideal und das naturwissenschaftliche 'Urwald'-Paradigma zunehmend vermischten.
Siekmanns Studie belegt am Fallbeispiel der Senne mit überzeugendem theoretischem Konzept und auf breiter Quellenbasis, wie sehr materiale Landschaft zugleich stets "Projektionsfläche" für kulturelle Konstruktionen ist. An der Schnittstelle von Sozialgeographie und Umweltgeschichte weist er en detail nach, auf welchem Wege Veränderungen in den sozioökonomischen oder politischen Rahmenbedingungen immer auch unsere Vorstellungen und Wahrnehmungen von Landschaft und Natur beeinflussen. Überraschend ist die für eine Dissertation ungewöhnlich gediegene Ausstattung des Bandes, dessen 81 Reproduktionen allesamt in hoher Qualität und teilweise sogar farbig abgebildet sind. Kritisch anzumerken bleiben somit nur Kleinigkeiten: Einige der ausgewählten Zitate, insbesondere bei der Analyse der Interviews, sind mit bis zu einer Buchseite Länge allzu ausführlich wiedergegeben, während das gemischt thematisch und chronologisch gegliederte Literaturverzeichnis in seiner Unübersichtlichkeit einen schnellen Zugriff unnötig erschwert. Es bleibt abschließend zu wünschen, daß der von Siekmann gewählte methodische Ansatz eine Anregung für die Wahrnehmungsgeschichten weiterer Landschaften und Naturen sein wird.