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März 2006
Johannes Springer
für satt.org

Evelyn Engesser: Journalismus in Fiktion und Wirklichkeit
Halem Verlag, Köln 2005

Umschlagmotiv

440 Seiten, 34 €
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Evelyn Engesser:
Journalismus in
Fiktion und Wirklichkeit

Ein Vergleich des Journalistenbilds
in literarischen Bestsellern mit Befunden
der empirischen Kommunikatorforschung

Warum sollten Journalisten schlechtere Voraussetzungen haben einen Roman zu schreiben als z.B. Bäckermeister oder Mechaniker, fragte unlängst Denis Scheck zum 75. Geburtstag Tom Wolfes, und hob damit kritisch auf die vor allem in deutschen Feuilletons verbreitete Ablehnung von durch (Ex-)Journalisten produzierte Prosawerke ab. Nun haben Journalisten, wenn sie denn zu einem Romanwurf ansetzen, nicht selten das Bedürfnis über das Feld zu schreiben, welchem sie tagtäglich ausgesetzt sind, dem Mediensystem. Auch Wolfe ist hier keine Ausnahme, wie vor allem "Fegefeuer der Eitelkeiten" demonstriert hat. Interessant ist dies aus Rezipientensicht auch aus einem wahrheitspolitischen Grund: man erhofft sich eine unverfälschtere, womöglich ehrlich-kompromittierende Perspektive auf den Journalismus, verstanden als System, das auch in gesellschaftlichen, politischen Dimensionen zu denken ist, und nicht selten ist die Möglichkeit zur Einnahme einer solchen Rolle auch das kardinale Motiv für die Schreiber. Journalistenromane sind also in nicht geringer Zahl auch Texte über Journalisten. Das Netz der Medien und der Journalismus als darin aufgehender Komplex werden aber nicht nur in Auswürfen sich selbst bespiegelnder Genremetamorphotiker fokussiert. Dieses Feld erscheint so schillernd dramatisch oder zumindest essentiell, dass es ein sehr viel beschriebenes Faszinosum ist, also auch traditionell in textuellen Fiktionen nicht professioneller Journalisten auftaucht. Letztere sind indes auch zahlenmäßig die relevantere Gruppe.

Was kann man nun mit diesem Thema anfangen, außer eine gewisse Nähe und Beeinflussung zwischen den Feldern zu konstatieren und sich darüber entweder wegen produktiver Befruchtungen zu freuen oder aus puristischen Ängsten vor niveauarmen Hybridisierungen zu ärgern? Man kann es beforschen. Dieses Projekt verfolgt Evelyn Engesser in ihrer Untersuchung "Journalismus in Fiktion und Wirklichkeit", in der ein Vergleich des in internationalen literarischen Bestsellern konstruierten Journalistenbildes mit Aussagen der empirischen Kommunikatorforschung bemüht wird. Und zwar aus guten Gründen, geht sie doch davon aus, dass es einen interdependenten Zusammenhang zwischen Literatur und Gesellschaft bzw. Journalismus gibt. Konstituiert wird diese Korrelation durch Reflektion und Spiegelung gesellschaftlicher Werte, Normen, Einstellungen einerseits und Formung bzw. Prägung von ebendiesen samt Einwirkung auf die ganze Umweltwahrnehmung andererseits, man kann also von einer veritabel bidirektionalen Verbindung sprechen. Der Forschungswert liegt auf den konkreten Fall angewendet bei erster Bedeutungsrichtung darin, Material zu nicht erforschten Arealen der Mediengeschichte gewinnen zu können und auch Erkenntnisse über die soziale Wirklichkeit, die in einem paradoxerweise etwas verschwiegenen Geschäft wie dem Journalismus verunmöglicht werden, indirekt aus der Literatur (dann meist mit Journalisten als Autoren) heraus zu destillieren. Im zweiten Element referiert der Forschungsertrag auf die Präsenz des literarisch repräsentierten Journalismusbildes in der Gesellschaft, also die Strahlkraft dieser Konstruktion für Wahrnehmungsfragen im Zusammenhang mit Selbstbildern von (prospektiven) Journalisten und Fremdbildern von Seiten des allgemeinen Publikums.

Diese Koordinaten zwischen Bespiegelung und Formung sind natürlich erstmal recht allgemeingültig, in vorliegender Arbeit gibt es aber keine ausufernden Grundsatzbetrachtungen zu Korrelationen von Gesellschaft und Literatur, sondern einen übersichtlichen Fokus und eine sehr konsequente und präzise Engführung am Diskurs der Kommunikatorforschung. Dass dabei nicht eben ein lukkulisches Leseerlebnis herausspringt, ist dabei noch ein zu vernachlässigendes Problem. Ein schwerwiegenderes ist dabei eher das zur Untersuchung herangezogene Material. Engessers Sample ist methodisch einwandfrei hergeleitet, mit dem Schönheitsfehler, dass es ob dieser Korrektheit am Ende kaum zu präzisen Ergebnissen kommt. Als Gegenstand werden nämlich nur Bestseller aus der Spiegel-Bestsellerliste herangezogen, gleich welchen Genres oder sonstiger Unterscheidungskategorien, entscheidend ist das Vorkommen des Themas Journalismus. Dass sie dafür einen weiten Begriff davon veranschlagt, der in gleichen Teilen die Ebenen Gesellschaftssphäre, Medienstruktursphäre, Institutionssphäre und Subjektsphäre untersuchen will, muss indes als Vorzug gewertet werden, der umso stärker ins Gewicht fällt, als damit ein angenehm weiter Blick auf das Phänomen eröffnet wird und zudem eine sehr schlüssige Untersuchungsstruktur gefunden ist, die bis zuletzt sehr gut durchgehalten wird. Die Auswahl des Samples ist jedoch wirklich problematisch. Ist die Öffnung für einen breiten Zeitraum, 1970-2000, und Zulassung internationaler Titel noch sehr spannend, so kann die Ausklammerung jedweder Distinktionsmittel nicht wirklich plausibel gemacht werden. Das führt zwar zu einer Auswahlsystematik mit der man methodisch verallgemeinerbare Aussagen treffen kann, verursacht jedoch im Laufe der Analyse häufig das Problem, kaum noch zu interessanten Ergebnissen zu kommen, weil das einzige Auswahlkriterium, die Popularität des Produktes, zu einem zwar extrem breitenwirksamen, in sich aber wenig aussagestarken Korpus geführt hat. Umso erstaunlicher ist bei diesem Charakter der Sammlung der Befund, wie breit in den Fiktionen der Markt als Problem des Journalismus betrachtet werde und Konkurrenz und Wettbewerb als Hemmnisse eines gut funktionierenden Systems Journalismus. Selbst und gerade hier lassen sich also auch Spuren eines Diskurses finden, der eine dezente Kritik am allzu wilden Markt und dessen Einwirken auf Medien formuliert. Dagegen zeigen aber Ergebnisse in der Subjekt- und Akteursphäre, dass von einer Art künstlerischen Kapitalismuskritik keine Rede sein kann. Zwar bekennen sowohl die fiktionalen Akteure wie die in der Realität, dass sie unter besonderen und auch strapaziösen Bedingungen ihr Auskommen zu bestreiten hätten, jedoch Kompensation fänden im außergewöhnlichen Arbeitsklima und der zwanglosen, aus eigenem Antrieb betriebenen Beanspruchung. Dass dabei die fiktionalen Akteure in signifikanter Zahl Suchtkranke sind, kann zwar in Relation zu den Lebens- und Arbeitskonditionen gesetzt werden, steht aber anscheinend zu dem allumfassenden Resümee, dass die Konstruktion des fiktionalen Journalisten beschönigend wirkt und als Traumbild eine funktionale Aufbereitung des Systems als aufregend und spannend generiert, nicht im Widerspruch.

Dass Engesser dann zwar noch zu differenzieren versucht, indem sie erklärt, nur Unterhaltungsromane würden verklären und anspruchsvolle Literatur zeige die Defizite auf, vermag nicht zu überzeugen, da dieses Urteil erstens keine wirkliche ästhetische Fundierung hat und zweitens wie einige andere Ergebnisse auch wie ein Gemeinplatz wirkt, der nicht diese aufwändige Forschungsarbeit benötigt hätte. Eigentlich schade, denn das Anliegen und der enorme Aufwand sind durchaus honorabel, allein eine raffinierte These – das bloße Differenz/Konvergenz-Spiel zwischen empirischen Kommunikatorforschungsbefunden und den fiktionalen Entwürfen ist vielleicht nicht das beste Pferd, auf das man hätte setzen können – in Kombination mit einem reduzierten und spezifizierten Gegenstand hätte womöglich etwas relevantere und innovative Resultate gezeitigt.