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Dezember 2006 |
Sibylle Sassenholz
für satt.org |
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Selbstbestimmt ausschlafenNeu ist der Anblick von Menschen, die in Cafés vor Notebooks sitzen, nicht. Neu ist vielleicht, dass sie gemeinsam einen WLAN-Hotspot nutzen und nicht an Hausarbeiten oder Romanen schreiben, sondern auf diese recht angenehme Weise ihrer Lohnarbeit nachgehen. Nachdem Begriffe wie Generation Praktikum und urbanes Pennertum eher die Missstände einer gut ausgebildeten, aber arbeitslosen Gruppe junger Akademiker beklagten, sorgt eine neue Bezeichnung dieser Menschen für bessere Laune: Digitale Boheme.
Holm Friebe und Sascha Lobo kreieren diesen Begriff in ihrem Buch „Wir nennen es Arbeit. Die digitale Boheme oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“ zur Beschreibung einer immer größer werdenden Gruppe Freiberufler, für die die Selbständigkeit keine Not sondern eine Tugend ist. Die Autoren stellen Arbeitslosigkeit, Globalisierung und das Internet als die zentralen Parameter der veränderten Arbeitswelt heraus. Sie analysieren kritisch, genau und unter Auswertung eines beträchtlichen Textfonds die Veränderungen, die sich für Mensch, Arbeit und Markt durch die Ausdifferenzierung der kapitalistischen Strukturen ergeben haben. Häufig ausgehend von kapitalismuskritischen Analysen der Frankfurter Schule, werden die sublimen und verschleierten Machtstrukturen junger, moderner und hipper Unternehmen, die sich ihrer flachen Hierarchien rühmen, belustigt offen gelegt. Aspekte von Ausbeutung und Entfremdung werden mit Guerilla-Marketing und Benchmarking zusammengedacht. Die Cleverness der heutigen Werbestrategen bewundernd, wird die Vereinnahmung von Kunst und Subkultur nicht bejammert, sondern an eben dieser Stelle soll das Geld in die eigene Tasche fließen – sofern die künstlerische Freiheit gewahrt bleibt. Als Selbstvermarkter erster Güte wissen aber auch die Autoren selbst das Feuilleton mit der Ausrufung einer neuen Boheme zu bedienen. Aber es wird auch die uralte Frage nach der Un-Möglichkeit eines richtigen Lebens im falschen gestellt. Wie verhält man sich, wenn man die Asozialität wirtschaftlicher Marktstrukturen sieht, das Aussteigertum aber keine Alternative darstellt? Zunächst verweigert man eine Festanstellung, in der Ideen gemolken, vermarktet, vergoldet und zu Aktien werden. Dann leistet man Widerstand durch Anpassung. Der Blick der Autoren richtet sich auf die unzähligen Möglichkeiten, die sich jenseits einer Festanstellung und vornehmlich durch das Internet auftun. Vorausgesetzt natürlich, man ist kreativ, internetkompatibel, flexibel, eingebunden in ein riesiges Kontaktnetzwerk, motiviert, karrierebewusst, gut ausgebildet und in dem, was man tut, besser als andere. So kann das Leben eines digitalen Bohemiens funktionieren. Voraussetzungen also, die nicht jeder mitbringt, mit denen sich auch innerhalb der Konzerne Karriere machen ließe. Als Volkswirt, Journalist (Friebe) und Werbetexter (Lobo) sind die Autoren nicht unerfolgreich. Lobo ist Chefredakteur des Weblogs „Riesenmaschine“ und Werber, Friebe schreibt für Zeitungen und betreibt mit Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig die Zentrale Intelligenzagentur, die sich unter anderem und unter anderem auch sehr ironisch mit Trendforschung beschäftigt. Ihre Ideen wollen sie sich aber von keinem Konzern klauen lassen, sondern lieber auf eigene Rechnung arbeiten. Innerhalb des Kontaktnetzwerks, was hier zum „Respektnetzwerk“ wird, werden Aufträge hin und her geschoben, das alte Vitamin B vermittelt nicht mehr innerhalb der Verwandtschaft und des Clans, sondern innerhalb eines Freundeskreises, wobei ein qualitativer Unterschied behauptet wird. Als Grundsatz gilt, dass manche Aufträge einfach nur gemacht werden müssen, damit man andere machen kann. Mischkalkulation also. Es wird eine selbstbestimmte Lebens- und Arbeitsform skizziert, die nicht zuletzt durch das Internet möglich wird. So entwirft eine Webdesignerin in dem Online-Rollenspiel „Second Life“ Mode für Online-Spielcharaktere - und verdient damit bares Geld, eine Lehrerin verkauft eben dort Immobilien und beschäftigt deshalb im Offline-Leben mittlerweile sechs Angestellte – all das nur möglich durch Web 2.0.
Doch wie schon angedeutet: der Weg ist schmal, die Lebensweise nur für wenige geeignet – die Autoren behaupten nichts anderes. Worin besteht die Neuigkeit, fragt man sich angesichts von Berufsgruppen, die seit vielen Jahren als Freiberufler arbeiten – Fotografen, Programmierer, Journalisten – und von denen sich ein Großteil nicht nur scherzhaft als Selbstausbeuter bezeichnet. Sollte der Unterschied allein in der Haltung zu diesem Dasein bestehen? Die einen müssen es tun, während die anderen es tun wollen? An den Umständen ändert sich doch nichts. So bleibt beispielsweise die Tatsache bestehen, dass sich Unternehmen durch die Anstellung freier Mitarbeiter ihrer sozialen Verantwortung entledigen. Die digitale Boheme arbeitet denen in die Hände, deren Handeln sie verurteilt. Das wird durch die eigene Freiheit, durch die Möglichkeit, ausschlafen zu können, nicht anders. Die immer wieder betonte „wir spielen da nicht mit“- Haltung erscheint wie ein hilfloser Versuch, dem Rückzug ins Private doch noch einen politisch korrekt-linken Anstrich zu verleihen und sich von den „bourgeoisen Bohemiens“ abzugrenzen. Dennoch: In Anbetracht der unsäglichen Diskussionen um Arbeitslosigkeit, Unterschicht und des unwerten Lebens ohne Arbeit und in Anbetracht von Konzernen, die glauben damit werben zu können, dass ihre Praktikanten auch krank zur Arbeit kommen (BP) - in Anbetracht also dieser Angst schürenden Debatte, wirkt es wie eine Befreiung, wenn Lobo und Friebe klar stellen: „Nur weil die zu vergebenden Plätze hinter den Bürofassaden knapper werden, heißt das nicht, dass sie dadurch auf Dauer attraktiver werden.“ So ist eine Festanstellung durchaus auch als Gefahr zu begreifen, denn „es geht um Loyalität in einem ganz grundlegenden Sinne: mitmachen und einverstanden sein … wer täglich acht Stunden oder mehr in einer Firma absolviert, wird danach nicht auf dumme Gedanken kommen. Irgendwann lacht er nicht mehr nur über die Witze des Chefs, er findet sie sogar lustig.“ So schafft das Buch in gewisser Weise ein neues Selbstbewusstsein, es glättet die Wogen der Verzweiflung und macht Mut sich seiner vielleicht vergessenen beruflichen Ziele zu erinnern und diese eben nicht der Arbeitsmarktsituation unterzuordnen. Zudem ist es eine Freude, lesen zu können, welch ein Zirkus ein renommiertes Unternehmen sein kann, mit welcher Ernsthaftigkeit über Joghurts „philosophiert“ wird ( »Wenn dieser Joghurt dein Freund wäre, welche Eigenschaften hätte er dann?«), wie Professionalität mit Anpassung verwechselt wird, wie Loyalität teuer erkauft werden muss und welch ein Schwachsinn sich hinter Corporate Identity verbergen kann. Und diese Freude potenziert sich um ein Vielfaches, wenn man ausgeschlafen mit Laptop in einem Cafè sitzt und nicht arbeitet. |
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