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Juli 2007 |
Johannes Zechner
für satt.org |
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Die totale Erinnerung.
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Christian Kracht, Eva Munz, Lukas Nikol: Die totale Erinnerung. Kim Jong Ils Nordkorea Rogner & Bernhard 2006 132 S., 100 Farbabb., € 24,90 » amazon (Abbildungen aus dem besprochenen Band.) |
Das kommunistische Nordkorea hat den nicht unbegründeten Ruf, einer der rätselhaftesten Staaten der Erde zu sein. Die vom „Ewigen Großen Führer“ Kim Il Sung nach Ende des Zweiten Weltkrieges begründete Parteidiktatur ging 1994 in dynastischer Thronfolge auf seinen Sohn und „Großen Führer“ Kim Jong Il über, zu dessen weiteren Ehrentiteln unter anderem „Geliebter General“, „Führer aus Stahl“, „Immerwährender Himmel“ und „Morgenstern“ zählen. [1] Das steinzeit-stalinistische System im weitgehend vom Rest der Welt abgeschotteten Nordkorea ist geprägt von Einparteienherrschaft und Personenkult, einem Arbeitslager- und Gefängnissystem mit etwa 200.000 politischen Gefangenen, Hungersnöten mit mindestens einer Million Toten und einer in den letzten Jahren zunehmend aggressiven Atomwaffenpolitik. [2]
Nach dem Zerfall des kommunistischen Ostblocks und der zumindest wirtschaftlichen Liberalisierung Chinas gerät die „Koreanische Demokratische Volksrepublik“ am Anfang des 21. Jahrhunderts mehr und mehr zum anachronistischen Überbleibsel aus dem Zeitalter der ideologischen Blockkonfrontation. Auf der inzwischen sprichwörtlichen „Achse des Bösen“ leistet ihr dabei nach dem durch die US-Invasion herbeigeführten Systemwechsel im Irak lediglich der Iran noch bis auf Weiteres Gesellschaft. International hält dem selbsternannten Arbeiterparadies nur ein stetig schrumpfendes Häuflein von Sympathisanten weiterhin in dialektisch-materialistischer Unverbrüchlichkeit die Treue. [3]
Einen seltenen Einblick in dieses gleichsam außerhalb von Geschichte und Zeit stehende Paralleluniversum Nordkorea gewährt das Buch „Die totale Erinnerung. Kim Jong Ils Nordkorea“, laut Verlagswerbung der „erste Bildband über Nordkorea“ überhaupt. [4] In seinem Vorwort betont der bisher eher als Popliterat ausgewiesene Christian Kracht den „holographischen“ Charakter des von ihm gemeinsam mit den beiden Photographen Eva Munz und Lukas Nikol bereisten Landes. Den wenigen ausländischen Besuchern, denen überhaupt ein Einreisevisum erteilt werde, zeige sich nur die aufwendige „360-Grad-3-D-Inszenierung“ einer von der riesigen Propagandamaschine bis ins Detail kontrollierten Realität. [5] So bevölkerten leicht als solche zu erkennende Statisten die U-Bahnhöfe von Pjönjang zur Simulation von Großstadtleben, während in den wenigen Kirchen der bedrängten christlichen Minderheit fiktive Gottesdienste zur Beruhigung des um die Religionsfreiheit besorgten Auslandes stattfänden.
Bedauerlicherweise aber scheinen die drei westlichen Besucher in der wohl geschlossensten Gesellschaft der Welt jener von Kracht angesprochenen „Potemkinisierung“ der Realität unbewusst selbst aufgesessen zu sein: Allzu oft reproduzieren die ästhetisch ansprechenden Photographien letztendlich unkritisch offizielle Ansichten und Stereotypen. Die knapp 100 Farbphotographien zeigen Plattenbauten und Staatsmonumente, Gedenkfeiern und Propagandakunst, fast menschenleere Plätze und gigantische Paradestraßen, schwach bestückte Lebensmittelgeschäfte und trostlose Hotelbars. Einzelne Menschen und deren Alltagsleben kommen dabei kaum in den Blick, auf eine mögliche Relativierung der staatlichen Propaganda-Perspektive durch Bildlegenden wird verzichtet.
Stattdessen erfolgt eine wohl postmodern inspirierte „Rhythmisierung“ der Abbildungen durch Zitate aus Kim Jong Ils filmdidaktischem Hauptwerk „Über die Filmkunst“, dem wir unter anderem die folgende Erkenntnis verdanken: „Das Bewusstsein der Menschen kann man weder sehen noch mit dem Lineal messen“. Dabei wird deutlich, dass die nordkoreanische „Sonne der Menschheit“ intellektuell und sprachschöpferisch den Vergleich mit anderen publizistisch dilettierenden Diktatoren wie Libyens Muammar al-Gaddafi oder Turkmenistans Saparmurat „Turkmenbaschi“ Nijasow nicht zu scheuen braucht. [6] Fraglich bleibt, wie eine solche Erkenntnis zum besseren Verständnis der politischen Realität einer kommunistischen Diktatur beitragen kann.
Bilanzierend betrachtet zeigt der Bildband „Die totale Erinnerung“ Nordkorea als ein perfekt inszeniertes Gesamtkunstwerk, erliegt aber gleichzeitig mangels kritischer Distanz dessen Faszinosum.
[1] Vgl. zur Biographie etwa das populäre Sachbuch von Michael Breen: Kim Jong Il. Nordkoreas „Geliebter Führer“, Hamburg 2004 sowie die hagiographische Darstellung auf der offiziellen deutschsprachigen Website Nordkoreas.
[2] Weitere Informationen enthält etwa der Jahresbericht 2006 von Amnesty International.
[3] Zu nennen ist hier für Deutschland vor allem der linientreue „Freundeskreis der Juche-Ideologie in der Kommunistischen Partei Deutschlands“.
[4] Diesen Anspruch erhebt allerdings auch der Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag für seinen Bildband „Nordkorea. Fotografien aus einem abgeschotteten Land“.
[5] Vgl. für diese mediale Inszenierung etwa die ausgewählten Ausschnitte aus dem staatlichen Fernsehprogramm Nordkoreas.
[6] Zum Vergleich sei verwiesen auf die englischsprachigen Volltextversionen von Gaddafis „Grünem Buch“ sowie von Nijasows „Ruhnama“.
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