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September 2007 |
Johannes Zechner
für satt.org |
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Inszenierungen der Küste
Wasser - als Grundlage allen Lebens und damit auch jeder menschlichen Kultur - wurde erst vergleichsweise spät zum Thema für die Geschichtswissenschaft. Im Zuge der disziplinären Etablierung der Umweltgeschichte widmeten sich seit den 1990er Jahren neben US-amerikanischen [1] zunehmend auch deutsche Veröffentlichungen der Kultur- und Naturgeschichte von Flüssen, Seen und Meeren [2]. Der kulturwissenschaftliche Sammelband „Inszenierungen der Küste“, welcher auf eine 2006 von der Isa Lohmann-Siemens-Stiftung im traditionsreichen Hamburger Warburg-Haus veranstaltete Tagung zurückgeht [3], verfolgt in diesem thematischen Zusammenhang den methodisch vielversprechenden Ansatz der „cultural landscape studies“. In ihrem Vorwort versprechen die Herausgeber Norbert Fischer, Susan Müller-Wusterwitz und Brigitta Schmidt-Lauber „neue Perspektiven auf die Kulturlandschaft Nordseeküste“, die – um es vorwegzunehmen - die meisten der zehn Beiträge im folgenden auch mit Erkenntnisgewinn eröffnen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei die These, dass Landschaften als Naturräume immer auch eine „Projektions-, Imaginations- und Repräsentationsfolie“ für unterschiedlichste kulturelle, politische oder wirtschaftliche Interessen darstellten. Den Anfang macht der Geobotaniker Hansjörg Küster mit einem knappen und gewohnt souveränen Abriss über die Geschichte des Naturraums Nordseeküste, der als Grenzraum zwischen Meer und Land stets von der dynamischen Interaktion natürlicher wie menschlicher Einflüsse geprägt gewesen sei. Der Literaturwissenschaftler Ludwig Fischer schildert dann im kultursoziologischen Anschluss an Bourdieu die „symbolischen Kämpfe“ um das Wesen der Küste zwischen ,Naturlandschaft’ und ,Kulturlandschaft’. In diesen mit sprachlichen Mitteln ausgetragenen, aber für die Landschaftsentwicklung reale Folgen zeitigenden Auseinandersetzungen um Benennungs- oder Deutungsmacht fänden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts etablierte Topoi ihr Fortwirken bis in die Debatten der 1980er Jahre um die Einrichtung des Nationalparks Wattenmeer [4]. Die Kunsthistorikerin Susan Müller-Wusterwitz widmet sich in ihrem aufschlussreichen Beitrag dem „patriotischen Zeichensystem“ der Landschaft, indem sie niederländische Küstenbilder des 16. und 17. Jahrhunderts in ihren jeweiligen politischen Kontext stellt. Während künstlerische Darstellungen der heimischen Küste diese als „nationales Bollwerk“ gegen fremde Invasoren oder als egalitäre „Bühne der Republik“ inszenierten, hätten negative Ereignisse - wie etwa Schiffbrüche - nur vor fremden Küsten Darstellung gefunden. Ebenfalls für die Epoche der Frühen Neuzeit thematisiert die Historikerin Maria Luisa Allemeyer anhand der zeitgenössischen Eingaben und Memoranden die kontroversen Debatten darüber, ob natürliche Dünen oder künstliche Deiche die beste Form des Küstenschutzes seien. Angesichts zahlreicher Quellenparaphrasen kommt dabei aber leider der übergeordnete Aspekt der Küsteninszenierung deutlich zu kurz. Hingegen versteht es der niederländische Soziologe Otto S. Knottnerus, die ambivalente frühneuzeitliche Wahrnehmung der Küstenlandschaft als Grenzregion zwischen geordnetem Land und chaotischem Meer nachzuzeichnen. Erst durch die Gemeinschaftsaufgabe des Deichbaus sei das bis dahin labile Identitätskonstrukt der Küstenbewohner gestärkt worden, wodurch auch die teils drakonischen Strafandrohungen für Akte des ,Deichfrevels’ zu erklären seien. Der Historiker Norbert Fischer untersucht die „Gedächtnislandschaften des maritimen Todes“ im 19. und 20. Jahrhundert, bestehend aus den mannigfachen Gedenkorten für Fischer, Flutopfer, Seeleute oder Strandleichen entlang der Nordseeküste. Dabei unterscheidet er überzeugend drei sich ablösende Phasen: von der „inszenierten Pietät“ gegenüber angeschwemmten Strandleichen über die „inszenierte Identität“ als regionale Selbstvergewisserung der Küstenbewohner bis hin zum „inszenierten Mythos“ der gefährlichen Nordsee als Mittel des Tourismusmarketings [5]. Mittels der ethnologischen Methode der teilnehmenden Beobachtung und dem von Eric Hobsbawm entlehnten Theorem der ,invention of tradition’ versucht die Kulturanthropologin Brigitta Schmidt-Lauber, den Inszenierungsstrategien des Küstenortes Carolinensiel auf den Grund zu gehen[6]. Dies gelingt ihr eindrücklich am Beispiel der „Denkmals(er)findung“ für die 2005 errichtete Skulptur der ,Caroline’, die ungeachtet ihres weitgehend ahistorischen Charakters von Bewohnern, lokalen Honoratioren und Marketingprofis mit vielfältigen vermeintlich historischen Bedeutungen und Deutungen versehen wurde. Mit den visuellen Inszenierungen der Urlaubsindustrie befasst sich der Historiker Martin Rheinheimer in seiner Analyse von Postkarten der Nordseeküste, der zufolge die meisten Motive unter weitgehender Ausblendung der Küstenbewohner aus den Themenkreisen touristische Infrastruktur oder Landschaft stammten. Während der Einbezug der bisher noch wenig genutzten Quellengattung der Werbepostkarten vielversprechend erscheint, liefern die durch Auszählung von Ebay-Angeboten ermittelten statistischen Daten aber noch keine solide Grundlage für Rückschlüsse auf die Gesamtheit aller produzierten Postkarten. Der Humangeograph Jürgen Hasse analysiert anschließend die touristischen Codierungen in 20 Werbeprospekten verschiedener Küstenorte, allerdings sind angesichts dieser schmalen Quellenbasis seine weitreichenden Schlussfolgerungen zur „Konstruktionsarbeit der Tourismus-Akteure“ nicht recht nachvollziehbar. Zudem wird die Lektüre des Beitrages durch einen interdisziplinär kaum anschlussfähigen und für ein breiteres Publikum schlicht unverständlichen Jargon unnötig erschwert („Die impressive Situation birgt in ihrer mehrfach codierten Sinnlichkeit eine Kontingenz, die eine Gabelung der Assoziation in mindestens zwei segmentierte Situationen impliziert“ etc.). Abschließend stellt die Volkskundlerin Julia Meyn noch verschiedene „biographische Küstenlandschaften“ vor, welche für die vierzehn interviewten Küstenbewohner einen wesentlichen Teil persönlicher Identitätskonstruktion ausmachen. Ihre daraus extrapolierten, sich ergänzenden Idealtypen der Küstenlandschaft sind die „Alltagslandschaft“ zwischen pragmatischem Umgang und emotionaler Verklärung, die „Konfliktlandschaft“ im Spannungsfeld von traditioneller Küstennutzung und Ansprüchen des Naturschutzes sowie die durch Windkraftparks oder Ölpest vermeintlich oder real „bedrohte Landschaft“. In seiner anregenden Methoden- und Quellenvielfalt bietet der im besten Sinne interdisziplinäre Band Einblicke in Imaginationen, Konstruktionen und Repräsentationen der Nordseeküste vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Mit der gediegenen Hardcover-Ausführung und der Vielzahl auch farbiger Abbildungen unterscheidet sich die Publikation wohltuend von den vielen schlechtgehefteten Bleiwüsten auf dem Markt, obgleich einige der detailreichen Drucke, Gemälde und Stiche doch noch etwas größer hätten abgebildet werden können. Positiv ist ferner gegenüber der mittlerweile zum Gemeinplatz gewordenen Klage über die thematische Beliebigkeit von Sammelbänden hervorzuheben, dass die meisten der Beiträge sich tatsächlich an dem vorgegebenen theoretischen Rahmen orientieren. Wünschenswert wären nun weitere Detailstudien, um mittels ideengeschichtlicher und sozialgeschichtlicher Untersuchungen die Denktraditionen und Trägerschichten der verschiedenen Küsteninszenierungen noch genauer bestimmen zu können: Wie unterscheiden sich diesbezüglich beispielsweise deutsche von niederländischen, städtische von ländlichen, männliche von weiblichen Küstenkonstruktionen? Darüber hinaus sollten die weitreichenden Thesen einiger Beiträger zu den biographischen und touristischen Küstenlandschaften unbedingt noch auf breiterer Quellenbasis überprüft beziehungsweise spezifiziert werden. Schließlich wäre es sicher eine lohnende Aufgabe, die untersuchten Inszenierungen und Konstruktionen der Nordseeküste in Beziehung zu setzen zu jenen anderer deutscher Kulturlandschaften wie etwa der Alpen, der Heide oder des Waldes. [1] Vgl. dafür etwa Margaret Beattie Bogue: Fishing the Great Lakes. An Environmental History 1783-1933, Madison 2000; Mark Cioc: The Rhine. An eco-biography 1815 – 2000, London/ Seattle 2002; Libby Hill: The Chicago River. A Natural and Unnatural History, Chicago 2000 sowie Alice Outwater: Water. A Natural History, New York 1996.
[2] Vgl. dafür etwa Deutsches Historisches Museum (Hrsg.): Die Elbe. Ein Lebenslauf, Berlin 1992; Johann Georg Prinz von Hohenzollern/ Christiane Lange (Hrsg.): Mythos und Naturgewalt Wasser, München 2005; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Wasser, Köln 1998; Hansjörg Küster: Die Ostsee. Eine Natur- und Kulturgeschichte, München 2002 sowie Richard Pott: Die Nordsee. Eine Natur- und Kulturgeschichte, München 2003. [3] Vgl. zum Veranstalter und zum Veranstaltungsort. [4] Vgl. zum Nationalpark. [5] Vgl. zum touristischen Motiv der Nordsee als ,Mordsee’ etwa die ,Sturmflutenwelt Blanker Hans’. [6] Vgl. für die touristische Inszenierung Carolinensiels als Traditionshafen. |
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