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November 2007 |
Christina Mohr
für satt.org |
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Role Models sind wichtigBetrachtet man die deutsche Medienlandschaft, könnte man denken, die Frauen hätten „es geschafft“: TV-Moderatorinnen allüberall, die deutsche Frauenfußballnationalmann(frau)schaft wurde zum zweiten Mal hintereinander WeltmeisterIn, nicht zu vergessen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die modern-demokratische Errungenschaft schlechthin. Und natürlich: Frauenthemen in der öffentlichen Debatte, im Feuilleton, in Talkshows. Schaut man genauer hin, wird klar, dass in der sogenannten „Debatte“ ein einziges, nur scheinbar frauenspezifisches Thema ad nauseam hin- und herdiskutiert wird: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, kurz, die Frau als Superglucke oder Rabenmutter. Daneben scheint es nichts Erwähnenswertes zu geben, ausgefochten wird der „Kampf“ von den Antipodinnen Eva Herman und Alice Schwarzer beziehungsweise deren UnterstützerInnen/GegnerInnen.
Der von Ex-Intro-Redakteurin Sonja Eismann herausgegebene Reader „Hot Topic“ (der Titel bezieht sich auf einen Song von Le Tigre und die gleichnamige US-amerikanische Bekleidungsfirma) beweist mit jeder Zeile, wie wenig die medial befeuerte „Debatte“ mit den Lebensrealitäten junger Frauen zu tun hat. Die im Buch versammelten Autorinnen schreiben über „Hot Topics“, brennende Themen wie Abtreibung, Magersucht, Körperbehaarung, Feminismus und Fußball, Drag Kings, das Leben im Prekariat, um Musikerinnen in einem männlich dominierten Umfeld und viele andere Dinge, die vom Mainstream bisher weitgehend unentdeckt und unkommentiert blieben. Und auch wenn es „nur“ eine Äußerlichkeit ist: das Cover von „Hot Topic“ ist nicht pink oder rosa, sondern hellgrün. In Zeiten komplett barbiefarbener Frauen-Büchertische ist das schon ein Statement – so gut wie alle Bücher von oder über Frauen werden derzeit in rosa Papier gewickelt, wenn die Verwendung dieser Farbe auch manchmal ironisch gemeint sein dürfte oder als bewusste Übertreibung eingesetzt wird (siehe das grellpinkfarbene Cover von Alice Schwarzers Buch „Die Antwort“). Doch die Farbpolitik der Verlage grenzt ein und ab: ein klar abgrenzbares Feld wird hier behandelt, das Schröder'sche „Gedöns“, leicht erkennbar durch die niedliche, genuin weibliche (oder schwule) Farbe rosa. Hier ein Ausschnitt aus einem Buchmessengespräch mit Sonja Eismann zu ihrem gänzlich unrosa Buch: Als dein Buch angekündigt wurde, dachte ich wegen des Titels „Popfeminismus“, es ginge hauptsächlich um Musik … SE: Mir war schon von Anfang an klar, dass es nicht nur um Musik gehen sollte, dem Verlag allerdings nicht (lacht). In den USA erscheinen regelmäßig Anthologien und Bücher zu feministischen Themen, in Deutschland gibt es solche Bücher kaum. Ich beziehe mich schon auch auf den Band „Lips, Tits, Hits, Power“*, der ja mittlerweile zehn Jahre alt ist. Darin geht es viel um Musik, das gab es also alles schon, ich wollte möglichst viele Bereiche abdecken. Und zwar nicht nur die Lebenswelten junger Frauen, auch das Thema 'ageism' sollte eine Rolle spielen.
Christiane Rösinger hat mal gesagt, Madonna habe ihr das Altern vermiest – Madonna würde einen damit quälen, dass man ja immer jung aussehen kann, wenn man nur hart genug trainiert …. SE: Was soll Madonna auch machen? Es gibt ja keine Modelle für das Altern als Frau im Showgeschäft. Sie hat keine andere Wahl, als das Spiel mitzuspielen. Warum gibt es keine mit amerikanischen Veröffentlichungen vergleichbare deutsche Bücher? SE: In Deutschland gibt es eine starke antifeministische Tradition, das Ehegattensplitting zum Beispiel wurde im Dritten Reich erfunden. Heutzutage werden antifeministische Tendenzen medial inszeniert und vorangetrieben. Zum Beispiel die unsägliche Eva Herman-Debatte: ich habe mir bei youtube einen Ausschnitt aus der Kerner-Show angeschaut (ZDF-Sendung vom 9.10.07, Kerner warf Herman aus der Show, Anm. cm), besonders schockierend sind die Kommentare, die bei youtube eingestellt sind. Lauter Leute, die sich auf die Seite von Eva Herman stellen und schreiben, dass sie doch recht habe, mit dem was sie sagt, dass es dringend nötig ist, dass jemand wie sie solche Dinge sagt, undsoweiter. In den USA ist der sogenannte third-wave-feminism viel stärker als in Deutschland – hier wird Feminismus nur und ausschliesslich mit Alice Schwarzer in Verbindung gebracht. Das stimmt natürlich so nicht, es gibt ja Ladyfeste in vielen Städten, die Gender- und Queer-Studies der Hamburger Hochschule und, und, und. Aber das sind doch eher vereinzelte Projekte, die keine grosse öffentliche Wahrnehmung bekommen. Die Konzentration auf Alice Schwarzer ist eine typische mediengesteuerte Kampagne: es gibt keine Pluralität, im Gegenteil, es findet eine totale Verengung statt, der Blick wird auf eine einzige Person gerichtet, die zwar allen Ruhm, aber auch alle Häme abbekommt. Alice Schwarzer polarisiert sehr stark, gerade junge Frauen fühlen sich von ihr nicht repräsentiert und distanzieren sich von ihr. Sind Role models denn überhaupt notwendig?
SE: Role models sind wahnsinnig wichtig, ja, weil es in den meisten Bereichen keine (sichtbaren) weiblichen Genealogien gibt und deswegen jede Generation von Frauen aufs neue das völlig deprimierende Gefühl bekommt, sie müsse das Rad neu erfinden, vor ihr sei keine andere Frau gewesen. Männer haben das Problem in der Regel ja nicht, weil Geschichte (und zum Beispiel ja auch Popgeschichte) nach wie vor von Männern gemacht wird und die da mehr als sichtbar und präsent sind. Role models können aus allen Bereichen kommen: das kann Sojourner Truth sein oder Angela Davis oder bell hooks, das kann Yoko Ono oder Joan Jett oder Kathleen Hanna sein, das kann aber auch meine beste Freundin sein, die darauf scheißt, sich die Körperbehaarung abzurasieren und damit wahnsinnig selbstbewusst und offensiv umgeht. Eben solche Frauen als Vorbilder, die sich nicht um die öffentliche Meinung und Wahrnehmung scheren und durch ihre Haltung Mut und power vermitteln. Meine Mutter hat mir, als ich noch ein Teenager war, das Manifest „Die Rechte der Frau“ von Olympe de Gouges geschenkt, die „Mémoires d'une jeune fille rangée“ von Simone de Beauvoir und fast alle Romane von Jane Austen. Zu meinen Geburtstagen (ich habe lustigerweise am internationalen Frauentag Geburtstag) hat sie mich zu Lesungen von Christine Nöstlinger, die wir beide sehr verehren, oder zu Signierstunden von Franziska Becker (die in den 80ern die comics "Mein feministischer Alltag" gezeichnet hat) mitgenommen. Meine Mutter ist eher nüchtern und pragmatisch und hat das nie an die große Glocke gehängt, aber ich bin ihr wirklich wahnsinnig dankbar. Auch mein Vater hat meine feministischen Bestrebungen immer unterstützt und achtet heute in seinem Unijob immer besonders auf die Gleichberechtigung von Frauen. Von daher hatte ich schon eine sehr gute beziehungsweise privilegierte Basis auf meinem Weg zum Feminismus, aber es gab noch genug Widersprüche zu überwinden … Warum gibt es so wenige Pop-Journalistinnen, warum ist das in erster Linie doch ein Jungsding? SE: Ehrlich gesagt, denke ich mir oft, es gibt doch wirklich wichtigere Themen als Popmusik … bisher konnte ich mich aber doch immer wieder dazu motivieren, Rezensionen zu schreiben. Ich denke, Mädchen werden dazu erzogen, irgendwann etwas 'vernünftiges', praktisches zu machen, sich nicht mit „Unwichtigem“ abzugeben. Jungs werden eher dazu angehalten und sogar bekräftigt, ihre Hobbies weiter zu verfolgen. Auch dieses Spezialisten- oder Nerd-Ding, also gegenseitig mit den seltensten Platten zu protzen, oder sich den ganzen Abend an der Theke über seltene Pressungen aus Japan zu unterhalten, ist doch eher männlich besetzt. Ich beobachte bei vielen jungen Frauen eine regelrechte Rückorientierung zu konservativen Werten – zum Beispiel nehmen viele Frauen bei der Hochzeit wiederganz selbstverständlich den Namen des Mannes an … SE: Ja, das stimmt, Feministin zu sein, ist ganz negativ besetzt. Viele Frauen fühlen sich formal gleichberechtigt und nehmen die strukturelle Diskriminierung, die es ja unbestritten gibt, gar nicht wahr. Dabei haben viele jüngere Männer ganz selbstverständlich feministisches Gedankengut verinnerlicht und haben offenbar weniger Probleme mit dem Feminismus als die Frauen selbst. Die meisten Männer sind doch sogar erleichtert, wenn sie nicht ständig den Starken spielen müssen! Hot Topic. Popfeminismus heute
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