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März 2008
Christina Mohr
für satt.org

Neue Deutsche Mädchen

In die Feminismus-Debatte ist ein frischer Wind eingezogen: Junge Frauen um die Dreißig haben genug davon, dass ihnen alte Schlachtrösser wie Alice Schwarzer, Zurück-an-den-Herd-Apologetinnen wie Eva Herman oder Supermamis wie Ursula von der Leyen die Welt erklären und die öffentliche Darstellung weiblicher Lebenswelten bestimmen. Zur Zeit ist es vor allem Charlotte Roche, die mit ihrem Körperflüssigkeiten- und Splattertext „Feuchtgebiete“ die Feuilletonseiten füllt, obwohl der Roman weder als Debattenbuch noch als feministische Positionsbestimmung taugt oder gemeint ist. Doch ganz offensichtlich ist ein Perspektivenwechsel dringend nötig, der verdeutlicht, was junge Frauen heute denken, fühlen und wollen. Neue Fragen müssen gestellt werden: was hat der Feminismus für Frauen in Deutschland gebracht, was muß noch erreicht werden und was ist jungen Frauen heute wichtig? Gibt es neben Alice Schwarzer Vorbilder und role models, die für einen „modernen“ Feminismus stehen? Und wie soll ein moderner Feminismus überhaupt aussehen?

Bei Hoffmann und Campe erschien kürzlich das Buch „Wir Alphamädchen“ von Susanne Klingner, Meredith Haaf und Barbara Streidl, rowohlt veröffentlichte „Neue Deutsche Mädchen“ von Jana Hensel und Elisabeth Raether. Die Alphamädchen haben einen pragmatischen, aktionsbestimmten, „sachbuchigen“ Ansatz gewählt, Hensel und Raether gehen biografisch vor und erzählen von ihren eigenen Erfahrungen in Studium und Beruf, von ihrer Kindheit, vom Verliebtsein und ihrer heutigen Lebenssituation. satt.org hat die Autorinnen beider Bücher zum Interview gebeten und ihnen ganz ähnliche Fragen zum Thema „moderner Feminismus“ gestellt. Die „neuen deutschen Mädchen“ Jana Hensel und Elisabeth Raether machen den Anfang, in der kommenden Woche gibt es dann die Antworten der Alphamädchen.

Jana Hensel, Elisabeth Raether: Neue Deutsche Mädchen


Über die Autorinnen:
Jana Hensel wurde 1976 in Leipzig geboren. Sie lebt als Autorin und Journalistin in Berlin. Ihr Roman «Zonenkinder» war über ein Jahr auf der Spiegel-Bestsellerliste und verkaufte sich 300.000-mal.

Elisabeth Raether, geboren 1979 in Heidelberg, arbeitete von 2005 bis 2007 im Lektorat der Rowohlt Verlage. Sie lebt jetzt als Autorin und Lektorin in Berlin.


Lesungen:
  • Berlin, Backfabrik Literatur Station – 5.4.2008
  • Halle, Haus des Buches – 8.4.08
  • Leipzig, Haus des Buches – 9.4.08
  • Rostock, Thalia Buchhandlung – 14.4.08
  • Cottbus, Haus des Buches – 15.4.08

satt.org: Warum "Neue Deutsche Mädchen"? Und nicht Frauen?

Elisabeth Raether: Mädchen ist einfach das schönere Wort. Wir sind da nicht so streng. In anderen Sprachen, im Französischen oder Englischen, bezeichnen Frauen sich ganz selbstverständlich als Mädchen.

satt.org: Feminismus ist zur Zeit in aller Munde - befürchtet Ihr, dass Feminismus "schick", zu einer Mode wird und deswegen auch schnell wieder aus dem öffentlichen Interesse verschwinden kann?

Jana Hensel: Die Medien haben ihre eigenen Gesetze und generieren natürlich Themen in einer immer höheren Geschwindigkeit. Da kann auch das Thema des Feminismus schnell wieder vorbei sein. Aber was soll man anderes tun, als Inhalte zu liefern, von denen man glaubt, dass sie wichtig sind. Außerdem glaube ich, dass von jeder Debatte etwas übrig bleibt.

satt.org: Ihr schont Euch beide nicht – in „Neue Deutsche Mädchen“ schreibt über Eure Erfahrungen als Geliebte und Praktikantinnen; auch darüber, dass Euch Euer Gewicht durchaus wichtig ist und ähnliches. War Euch von Anfang an klar, dass Euer Buch so biografisch-persönlich-literarisch wird, oder kam das während des Schreibens?

ER: Wir wollten aufrichtig sein, auch wenn es manchmal vielleicht anstrengend war. Es gibt immer noch viele Klischees über Frauen: wie sie sind, was sie denken und fühlen. Diesen Stereotypen wollten wir etwas entgegensetzen, und deshalb mussten wir damit anfangen, ehrlich über uns selbst erzählen, genau hinsehen, und nicht den bequemsten Weg der Selbstbeschreibung gehen. Dabei ist dann eben auch die eine oder andere Schwäche sichtbar geworden. Unsicherheit zum Beispiel. Das ist ja so eine Eigenschaft, die als typisch weiblich gilt; man geht davon aus, dass Frauen von Natur aus so sind, schüchtern, ohne Machtbewusstsein. Ich wollte nicht einfach das Stereotyp übernehmen, sondern anhand meiner eigenen Geschichte herausfinden, woher das eigentlich kommt, diese typisch weiblichen Selbstzweifel.

satt.org: Was Elisabeth über ihre Zeit mit Alain in Paris schreibt, wird für Kritik sorgen: junge Frau shoppt auf Kreditkarte des älteren Liebhabers, gefällt sich als kosmopolitische Luxusfrau. Was wolltest Du, Elisabeth, damit zeigen - dass es Zeiten im Leben gibt, über die man später einmal sagen wird, "es war damals eben so, ich war verliebt", beziehungsweise dass nicht alle Mosaiksteinchen einer Biographie einem selbst gesetzten feministischen (oder anderen) Ideal entsprechen können?

ER: Nein, es geht mir bei der Geschichte überhaupt nicht darum, mich zu rechtfertigen. Das mit der Kreditkarte, die Tatsache, dass der Mann, mit dem ich zusammen war, viel mehr Geld als ich hatte, ist für mich zu einem Motiv geworden. Das Geld stand für etwas anderes: Alain hat mir eine Sicherheit gegeben hat, die ich selbst nicht hatte. Viele Frauen wollen jemanden an ihrer Seite haben, der ihnen überlegen ist. Sie heiraten erwiesenermaßen ungern „nach unten“. Und erfolgreiche Frauen haben dann einen Mann an ihrer Seite, der noch ein Stückchen erfolgreicher ist. So bleibt die alte Rollenverteilung bestehen, an der wir, Männer wie Frauen, hängen, weil alles andere ziemlich anstrengend ist. Ich wollte eben auch von dieser Anstrengung erzählen, von der Mühe, die es kostet, neue Rollenbilder zu finden.

satt.org: Eine Frage zu Charlotte Roches Buch "Feuchtgebiete": Ist dieses Buch wichtig für den Feminismus - in einem kathartischen Sinn. War es einfach an der Zeit, dass eine weibliche Autorin derart drastisch über Körperöffnungen, -flüssigkeiten, Schmerz, Sex und Hämorrhoiden schreibt; weibliches Schreiben also auf gewisse Weise "entzaubert" und aus der Katzenpoesie-Ecke holt? Oder seht Ihr "Feuchtgebiete" ganz anders?

JH: Zugegebenermaßen habe ich das Buch noch nicht gelesen, aber was mir auf jeden Fall gefällt ist, dass sich mit Charlotte Roche eine Frau zu Wort meldet, der man den Feminismus nicht schon an der Nasenspitze ansieht. Sie ist jung, klug und erfolgreich und außerdem feministisch. Elisabeth und ich kommen ja auch aus dem Leben und nicht aus dem Gender-Seminar.

satt.org: Nicht nur Ihr, auch (z.B.) die "Alphamädchen" Barbara Streidl, Meredith Haaf und Susanne Klingner grenzen sich stark von Alice Schwarzer als öffentlichster Vertreterin des Feminismus ab. Ist sie für Euch jüngere tatsächlich ein darart rotes Tuch? Habt Ihr sie schon mal getroffen?

ER: Wir kennen ihre Texte, Jana hat schon einmal in der Jury für den „Emma“-Journalistinnen-Preis gesessen und hatte daher mit Alice Schwarzer tun. Wir haben auch das eine oder andere Mal in die Emma reingelesen. Aber offen gestanden, ihre Themen sind nicht unsere. Alice Schwarzer tut gern so, als hätte sich die Situation der Frauen in Deutschland in den letzten dreißig Jahren nicht geändert. Überhaupt scheint sie lieber zurückzublicken statt sich mit den Komplexitäten der Gegenwart zu befassen. Nicht zufällig spricht sie so viel über den Islam: in den so genannten „Parallelgesellschaften“ findet sie die rückständigen Zustände vor, die noch zu ihrer ollen Rhetorik zu passen scheinen. Allerdings ist ja auch dieses Thema komplizierter, als Alice Schwarzer es darstellt, und ich finde es sogar verantwortungslos, der Lage der muslimischen Migranten in Westeuropa allein mit der Kategorie „gender“ beikommen zu wollen. Wenn ich die jungen türkischen Männer in Berlin-Neukölln sehe, die ihre Tage damit zubringen, billiges Speed zu ziehen und sich gegenseitig zu verprügeln, wenn ich mich dann in meinen Volvo-Kombi setze, um in meine hübsche Altbauwohnung in Mitte zurückzukehren, vorher noch schnell beim Biomarkt vorbei, dann ist doch offensichtlich, um wen man sich hier wirklich Sorgen machen muss.

satt.org: Da das Modell Schwarzer/Emma offensichtlich ausgedient hat: wen seht Ihr als neue rolemodels? Wen wünscht Ihr Euch? Wie sieht "moderner Feminismus" aus?

JH: Ich glaube schon, dass das Modell Charlotte Roche zukunftstauglich ist. Also, dass Frauen aller Couleur den Feminismus zum Thema machen sollten, sodass sich das Wort Feminismus von selbst erledigt. Ich mag es, ehrlich gesagt, nicht besonders. Es klingt nach Bewegung, Kampf, schlechtem Gewissen und Besserwisserei. Ich vermeide es, so oft es geht.

satt.org: Verfolgt Ihr das Schreiben und Arbeiten anderer junger Feministinnen wie eben den Alphamädchen, den "Missy"-Macherinnen und anderen?

JH: Ich verfolge das Schreiben und Arbeiten anderer Frauen. Gerade habe ich die Berliner Schriftstellerin Kirsten Fuchs für den SPIEGEL porträtiert. Eine wahnsinnig interessante Autorin.

satt.org: Annette Anton schreibt in Ihrem Buch "Raus aus der Mädchenfalle", dass Frauen sich durchaus männliche Verhaltensweisen abgucken sollen, um im Beruf erfolgreich zu sein. Stimmt Ihr ihr zu? Wie sehen Eure Erfahrungen aus?

ER: In den achtziger Jahren und noch bis in die Neunziger bedeutete Gleichberechtigung, dass Frauen männliches Verhalten imitieren. Diese Idee ist mir völlig fremd, weil das ein so offensichtlich defensiver Ansatz ist. Ehrlich gesagt, erscheint mir diese Forderung heute auch überholt. Wir sind doch jetzt schon seit einer Weile dabei, das männlich geprägte Wertesystem zu hinterfragen und durch ein weibliches zu ersetzen. Es gelten heute ganz andere Tugenden: Gesprächsbereitschaft, Zusammenarbeit, Integrationsfähigkeit. Ich meine ja nicht, dass Frauen jetzt am Zug sind und Männer die neuen Idioten. Aber die gesellschaftliche Mentalität hat sich doch geändert. Frauen können deshalb selbstbewusster sein, weil die Fähigkeiten, die ihnen gemeinhin zugeschrieben werden, heute höher geschätzt werden als vielleicht noch zu Beginn der neoliberalen achtziger Jahre.

satt.org: Ich als (altersmäßige) Vertreterin der "Generation Ally" bin ein wenig enttäuscht, dass sich meine Generation, abgesehen von Thea Dorn und ihrer „F-Klasse“ wenig zum Thema Feminismus äussert. Was glaubt Ihr, warum sind es jetzt in der Mehrzahl Frauen ab Jahrgang 1975, die sich ganz selbstverständlich als Feministinnen bezeichnen und dabei cooler und selbstbewußter auftreten als die älteren?

JH: Das sehe ich anders. Es gab vielmehr eine gewisse Zeit, die gefühlten neunziger Jahre, in denen der Feminismus als Thema genauso verschwunden war wie alle anderen Weltverbesserungsideen, salopp formuliert. Das lag aber mehr an den Zeitumständen: Mauerfall, Wiedervereinigung, das Ende der Geschichte, New Economy. Heute sind die Debatten längst zurück, und zum Thema Feminismus äußern sich im Moment Frauen aller Altersgruppen.



Jana Hensel, Elisabeth Raether:
Neue Deutsche Mädchen

Rowohlt, 224 S., geb., € 16,90
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