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April 2008
Anne Hahn
für satt.org
Thomas Schöne: Tatort Himmelsscheibe. Eine Geschichte mit Grabräubern, Hehlern und Gelehrten

Bronzezeit-Krimi vom Feinsten
Über ein wahrhaft aufregendes Buch zur Himmelsscheibe von Nebra

Das Buch schaffen Sie locker auf einer Zug-Reise nach Mitteldeutschland, Berlin – Halle – Erfurt und zurück, zum Beispiel! Aber lassen Sie sich von jemandem begleiten, der nicht allzu vertieft über Zeitschriften döst, dem Sie jederzeit berichten können. Bald werden auch Umsitzende ihre MP3-Stöpsel aus den Ohren ziehen und spätestens auf der Rückreise wird sich Ihr Zugbegleiter mit Ihnen angefreundet haben ... Warum das alles?

Dieses Buch regt wahnsinnig auf. Man kann kaum still sitzen bleiben, deshalb beruhigt die vorbeiziehende schatzschwere mitteldeutsche Erde ungemein. In diesem Ausmaß haben wir das doch alles gar nicht für möglich gehalten! Es geht um den spektakulärsten Fund unserer Zeit, um die 3600 Jahre alte astronomische Himmelsscheibe unserer Vorfahren. Auf 204 Seiten erzählt der Journalist und Archäologie-Fan wie Experte Thomas Schöne, wie das alles genau war. Wie zwei Deppen die Scheibe und den Schatz – es gehören neben zwei wertvollen Schwertern u.a. Armreifen zu diesem Hortfund“ – freilegten. Beziehungsweise hackten. Es geht ganz schon brutal zu unter Schatzgräbern. Und nicht nur gegenüber den im Boden versteckten Kleinoden. Das Bergen von Kulturgütern aus dem Boden ist in (fast allen) deutschen Bundensländern illegal, es herrscht ein Schatzregal-Gesetz über die Pflicht zur Abgabe von gefundenen Kulturgütern ohne Entschädigung. Deshalb werden leider viele Funde gar nicht bekannt, da sie in der Szene des grauen Marktes“ unter der Hand verkauft werden, oft ins Ausland, nach Übersee. Und tschüß.

Dass nach der Wende Mauerspechte, Versicherungsvertreter und Autohändler über den nunmehr wehrlosen Osten Deutschlands herfielen, ist bekannt. Dass auch Scharen bestausgerüsteter Schatzgräber über die Ost-Schollen schwärmten, ist so naheliegend wie erschütternd. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass der Verlust in Mitteldeutschland im ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung einige zehntausend Pretiosen und Artefakte umfasst. Besonders im südlichen Sachsen-Anhalt, in den Wäldern um Nebra und Memleben, findet sich eine Raubgräberloch nach dem anderen, an manchen Stellen sieht die Gegend so löchrig aus wie ein Schweizer Käse.“

Auch die seltsame Scheibe, die beim Bergen aus ihrem tausendjährigen Schlaf empfindlich verletzt wurde, hätte unbemerkt verschwinden können. Wurde von einem Hehler gekauft, verkauft, geschrubbt und eingeweicht, brrrr, da rollen sich die Nägel hoch. Was hat das schöne Stück in Barbarenhänden erleiden müssen! Und jetzt würde sie weiter in Safes oder Vitrinen eitler Hobbyexperten mit fetter Brieftasche schlummern, wenn nicht – ja, wenn nicht der Retter erschienen wäre. Harald Meller, gebürtiger Westdeutscher und studierter Archäologe ist der strahlender Prinz in dieser Kriminalposse. Als neuernannter Landesarchäologe Sachsen-Anhalts bekommt er Wind von dem einzigartigen Fund. Folgenreich ist seine Entscheidung, zusammen mit der Landespolizei um die Scheibe zu kämpfen. Vom Tage ihres Fundes im Juli 1999 an sollen noch knapp drei Jahre vergehen, bis sie Meller in der Kellerbar eines Schweizer Hotels zitternd in den Händen hält ...

Dieser Mann hat unter vollstem Einsatz um die Scheibe gekämpft, gegen Lügen, Drohungen und Falschaussagen, Geldgier und Dummheit. Inzwischen sind die Begehrlichkeiten und Zweifel an der Scheibe abgewiesen, ihre Geheimnisse weitgehend gelüftet, dokumentiert und zugänglich, ein wunderbares Museum ist nahe ihres Fundortes entstanden und ab dem 23. März dieses Jahres ist das Original im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle/Saale zu sehen.

Alles Details dieser Entwicklung erklärt Schöne so spannend wie einfach. Die Dingbarmachung der Diebe und Hehler, der Prozess der wissenschaftlichen Untersuchung an der Scheibe und ihre Auswirkungen, die archäologischen Erkenntnisse für andere Fundstücke/orte und schließlich die langanhaltenden Gerichtsprozesse um die Scheibe und ihre Täter – all das finden wir unterhaltsam erzählt und dramaturgisch wunderbar komponiert in diesem Büchlein, zu dem erfreulicherweise Harald Meller selbst das Vorwort lieferte. Ein Meisterstück an detaillierter journalistischer Beobachtung, sachlicher Berichterstattung und vermittelter Begeisterung!



Thomas Schöne: Tatort Himmelsscheibe.
Eine Geschichte mit Grabräubern, Hehlern und Gelehrten

Mitteldeutscher Verlag Halle. 204 S., 16 €.
» Wikipedia
» www.himmelsscheibe-erleben.de
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