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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




28. Oktober 2008
Christina Mohr
für satt.org
  Holm Friebe, Thomas Ramge: Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion
Holm Friebe, Thomas Ramge: Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion
Campus Verlag
288 Seiten, € 19,90
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Marke Eigenbau

Marke Eigenbau: Dieser Begriff hatte bis vor kurzem noch einen piefigen Beigeschmack, evozierte er doch unschöne Erinnerungen an Papa beim Vogelhäuschenbauen im Hobbykeller, Muttis Makramée-Objekte und nicht zuletzt an den King of Selbermaching, Jean Pütz und seine Sendung „Hobbythek“.

Stricken, Nähen, Basteln galt bis in die frühen Nullerjahre hinein als spießig, einzig das durch TV-Shows von Jamie Oliver oder Alfons Schuhbeck rehabilitierte Kochen erlebte eine Renaissance an heimischen Herden. Seit einiger Zeit kann man jedoch auch in anderen Disziplinen den Trend zum Selbermachen beobachten, gern mit einem Tick Subversion: in US-amerikanischen Städten fand man sie zuerst, inzwischen wurden auch hierzulande erste Strick-Graffitti gesichtet, kunstvolle Umhüllungen von Straßenschildern oder Parkbänken, in Nacht-und-Nebelaktionen gefertigt. Aber Marke Eigenbau bedeutet mehr als artsy Guerilla-Aktionen: die Menschen sind der Übermacht von Mega-Marken wie H&M, Ikea oder Nike überdrüssig, suchen nach Individualität in Konsum und Lebensstil. Dazu kommt der Protest gegenüber Turbokapitalismus, Neoliberalismus, Globalisierung, Prekarisierung in den verschiedensten Bevölkerungsgruppen – und warum nicht mit Kochlöffel, Stricknadel oder einer anderen guten Idee aufbegehren und endlich gutes, weil selbstbestimmtes Geld verdienen? Holm Friebe („Wir nennen es Arbeit“) und Thomas Ramge („Die Flicks“) identifizieren den Trend zum Selbermachen als neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Bewegung, die großen Unternehmen durchaus gefährlich werden kann. „My Logo statt No Logo“ lautet die Parole und es sieht so aus, als sei “Marke Eigenbau“ endlich die Bewegung, an der viele teilhaben können. Im Campus Verlag erschien kürzlich das Buch zum Trend, selbstredend im Eigenbau-Outfit: jedes Buch ist ein handgemachtes Unikat, die Umschlagklappe ist gleichzeitig eine Schablone, mit der man Eigenkreationen mit dem Logo „Marke Eigenbau“ versehen/besprühen kann.

Hier das Post-Buchmesse-Interview mit Holm Friebe und Thomas Ramge, die neugierigen Fragen stellte Christina Mohr

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Wie war die Buchmesse für Euch, wie war die Resonanz?

Holm Friebe: Toll war es. Ich hab zum ersten Mal - nach -zig Jahren Buchmesse - alles richtig gemacht: die überrannten Buchmessenfeiern mit Gratisgetränken gemieden, statt dessen einen schönen Abend mit Lesung und Konzert von Karen Duve, Almut Klotz und Reverend Christian Dabeler, sowie meinem Bruder Jens verbracht. Einen Tag bin ich fast überhaupt nicht auf die Messe gegangen, sondern habe mir die wirklich umwerfende Murakami-Ausstellung im Museum für Moderne Kunst angeschaut und den Rest des Tages im Wellnessbereich des Hotels verbracht. Den Samstag, wo man sich auf den Gängen vor lauter Cosplayern und Studienräten nicht mehr bewegen kann, haben wir in einer Koje am Stand unseres Verlages verbracht und uns konsequent mit Sekt zugelötet. Ein Modell für die kommenden Jahre. Auch unsere Buchpräsentation zu "Marke Eigenbau" muss anscheinend ganz gut angekommen sein. Jedenfalls schrieb die Taz, dass man "solche unterhaltsamen und informativen Vorträge" auf der diesjährigen Buchmesse gerne mehr gehört hätte. Und beim abschließenden Gespräch mit Christian Rickens am Spiegel-Stand fiel fast gar nicht auf, dass wir komplett blau waren.

Schönstes/skurrilstes/schrecklichstes Messeerlebnis?

HF: Eindeutig Mike Krüger, der am Messestand vor unserem Buch stehen bleibt. Aber er macht ja auch Werbung für einen Baumarkt, von daher muss ihn das Thema logischerweise interessieren.

Thomas Ramge: Die Schlägerei der Türken mit den Kurden haben wir leider nicht mitbekommen. Aber der Cosplay-Sensemann war auch recht furchteinflößend. Eigentlich sah er ein bisschen wie Mike Krüger aus.

HF: Und dann war da noch der Mönch mit schwarzer Kutte, der die ganze Zeit mit einem Flyer von Ruth Westheimers "Silver Sex" herumlief. Eigentlich vermisste man bei ihm nur die Sense, und er hätte den Cosplay-Hauptpreis für das beste Kostüm abgeräumt.

Gab es einen initiatorischen Moment, wann wußtet Ihr, dass "Marke Eigenbau" Euer neues Buchthema ist? War das die Geschichte mit dem Lampenladen?

HF: Ich hatte schon eine ganze Weile auf dem Begriffspaar herumgekaut und überlegt, ob da nicht etwas drinstecken könnte, wenn man den Markenanteil mal wörtlich nähme. Die Initialzündung kam dann bei mir eher durch das Strike Bike: Thüringische Fahrradwerker, die ihre durch eine Finanzheuschrecke zur Abwicklung freigegebene Fabrik besetzen und auf Anraten von Hamburger Anarchisten aus der totalen Defensive heraus beginnen, wieder Fahrräder zu produzieren und über das Web zu vertreiben. Natürlich hab ich sofort die 275 Euro auf das Treuhandkonto überwiesen. Pünktlich zum angekündigten Auslieferungstermin stand dann das feuerrote Strike Bike, eines von 1873 Exemplaren, vor der Tür. Als ich damit durch Berlin radelte, ging mir auf, dass den Arbeitern unter der Hand eine starke Marke gelungen ist, die eine klare Identität hat, eine gute Geschichte erzählt und extrem emotionalisiert. Das merkt man spätestens, wenn man von anderen Strike-Bike-Fahrern oder Passanten, die die Geschichte kennen, solidarisch mit erhobener Faust gegrüßt wird.

Wie seid Ihr beiden zusammen gekommen - und konntet Ihr Euch auf dieses Thema einigen/fandet Ihr es beide gleich wichtig?

TR: Wir haben uns auf einer Podiumsdiskussion in Hamburg kennengelernt, auf der Holm mit "Wir nennen es Arbeit" saß und die ich moderiert habe. Danach sind wir trinken gegangen und haben festgestellt, dass wir eine ganze Reihe Anknüpfungspunkte haben. Wenig später haben wir einen gemeinsamen Vortrag auf den Mainzer Tagen der Fernsehkritik gehalten. Das hat prima funktioniert. Die Idee zum Buch stammt von Holm. Als er mich gefragt hat, ob ich mitschreiben möchte, konnte ich kein besseres Thema dagegensetzen.

HF: Ich schreibe nicht gern Bücher allein. Bzw. wenn ich versuchen würde, sie allein zu schreiben, würde ich sie vermutlich gar nicht schreiben. Deshalb finde ich es wichtig, einen starken Partner an meiner Seite zu haben, der Dinge kann, von denen ich keine Ahnung habe - Journalismus zum Beispiel - mit dem man sich aber auch inhaltlich und formal auseinandersetzen kann. Nur so erreiche ich die zum Schreiben nötige Betriebstemperatur.

Findet ME auch in Eurem Privatleben statt? Wenn ja, wie? Was macht Ihr selbst?

TR: Mein Vater backt selbst Brot, solange ich denken kann. Ich selbst bin leider nur Theoretiker mit zwei linken Händen. Wenn ich könnte, würde ich mir ein Mini-U-Boot bauen. Ich bin als Jugendlicher allerdings schon beim Mofa-Frisieren gescheitert.

HF: Ich habe es mal mit einem klassisch zweckfreien Hobby versucht, nämlich Bonsaizucht. Hat überhaupt nicht funktioniert. Die Dinger sind immer sofort eingegangen. Das einzige, was ich zu Hause selbst mache, ist Sprossen ziehen. Das dauert nur drei bis sechs Tage, ist mehr so eine Schwundstufe des Gärtnerns, hat dafür aber praktischen Nutzwert. Ansonsten bin ich ein großer Freund der Arbeitsteilung und versuche, die Ökonomie, die wir beschreiben, eher als zahlungskräftiger Nachfrager zu unterstützen.

Sind die Menschen von den Nebenerscheinungen der Globalisierung angeödet (= dass es überall dasselbe zu kaufen gibt) oder ist die Marke Eigenbau auf dem Vormarsch, weil eben doch nicht alle an den Segnungen des kapitalistischen Systems teilhaben können? Kurz: Marke Eigenbau aus Überdruß oder Mangel?

HF: Beides, würde ich sagen. Wobei wir stärker auf den westlichen Überdruss fokussieren, weil wir uns da naturgemäß besser auskennen. Es ist aber nicht nur Überdruss, sondern eine durchaus kritisch motivierte Ablehnung bestimmter Produkte, Marken und Produktionsweisen. Oder besser: Die bewusste Entscheidung, andere Produktionsweisen auch durch die eigene Nachfragemacht zu unterstützen, und im Zweifel etwas mehr Geld dafür auszugeben, das Dinge von anderen Herstellern auf eine vielleicht etwas humanere Art und Weise produziert werden. Das gewandelte Konsumentenbewusstsein ist - neben allen anderen Faktoren, die die Macht der Konzerne erodieren lassen - der stärkste Treiber hinter dem Phänomen, das wir beschreiben. Das allein ist natürlich nicht ausreichend, und es setzt natürlich freie Einkommensspitzen jenseits der nackten Existenzsicherung voraus. Die Leute kaufen ja nicht bei Kik und Aldi, weil sie die Marken so geil finden. Dennoch stehen viele vor der Entscheidung, ob sie ihr Geld für den symbolischen Mehrwert oder das "Markenpremium" einer Premiummarke verbraten und damit zweifelhafte Statuseffekte erzielen, oder ihn für Produkte einsetzen, die für eine andere Arbeitswelt und eine andere Wirtschaftsweise stehen - und als solche durchaus auch Prestigegewinn versprechen.

Könnte man verkürzt sagen, dass ME den DIY-Punk, die Marmeladen-Oma und den bewußten Unternehmer (á la Teekampagne) zusammenbringt?

TR: Das wäre wohl etwas sehr verkürzt. Im Kern geht es um eine ökonomische Strukturveränderung hin zu einer kleinteiliger organisierten Wirtschaft. Die Welt ist flach, und zwar wirklich für alle. Ein-Personen-Unternehmen können mit Konzernen konkurrieren, wenn sie sich geschickt anstellen und die Nischen mit den richtigen Produkten bedienen. Und dann können sie, wie Günter Faltins Teekampagne, auch zum größten Darjeeling-Importeur der Welt werden.

Wenn man sich Seiten wie dawanda.de oder etsy.com anschaut, werden dort in erster Linie "nice to have"-Produkte angeboten wie z.B. Schmuck - sind ME-Produkte oder -Dienstleistungen denkbar, die lebensnotwendig sind?

HF: Was diese Marktplätze für Selbst- und Handgemachtes angeht, hast Du Recht. Aber das ist ja auch nur die Spitze des Eisbergs. Von dort aus geht es hinein in die Felder des gehobenen täglichen Bedarfs. Wer sich schon mal einen Anzug hat maßschneidern oder ein Regal anfertigen lassen, kann berichten, dass die Freude über den Gegenstand in keinem Verhältnis gegenüber der Massenware vom Band und von der Stange steht, auch wenn der Preis vielleicht höher liegt. Interessant wird es da, wo andere Produktionsweisen wie Open Source und Prosuming auch komplexere Produkte und Herstellungsverfahren transformieren. Die Einträge auf diesem Gebiet jenseits der Software sind noch recht mau, und auf das Open-Source-Elektroauto werden wir noch ein paar Jahre warten müssen. Aber mit den Fabbing-Technologien steht uns die nächste industrielle Revolution bevor, in der auch die Losgröße eins wirtschaftlich wird.

Auch jemand, der/die niedliche gehäkelte Topflappen in Blümchenform anbietet, möchte diese verkaufen und muß schlußendlich andere Anbieter ausstechen. Gibt es gerade im ME-Bereich moralische Vorbehalte gegen das schmutzige Thema Geldverdienen?

HF: Das interessante an Etsy und der Crafting-Bewegung in den USA ist ja, dass sie sich nicht als "antikapitalistisch" begreifen, in dem Sinne, dass sie marktwirtschaftliche Prinzipien ablehnten. Im Gegenteil geht es eher darum eine Art Gegenökonomie zu installieren, in der der einzelne Produzent als solcher in Erscheinung tritt und auch wahrgenommen wird. "Make a living making things" heißt der Slogan von Etsy. Es geht also durchaus um Professionalisierung. Und es geht um den Kick, den man daraus zieht, das andere Menschen den eigenen Produkten so viel Relevanz beimessen und Wertschätzung entgegenbringen, dass sie bereit sind, einen Preis am Markt dafür zu bezahlen. Gleichzeitig entkommen diese Produzenten aber dem gnadenlosen Wettbewerb der Massenproduktion dadurch, dass sie individuelle Produkte herstellen, die eben nicht generisch sind und somit nur über den Preis in Konkurrenz zueinander treten. Von daher stehen sie auch nicht in unmittelbarem Konkurrenzverhältnis zueinander. Wenn man sich in diese Produzenten-Szenen und Freiberuflernetzwerke hineinbegibt, hat man selten den Eindruck, es herrscht Konkurrenz. Stattdessen überwiegt das freundliche Interesse an dem, was der andere macht, die Bereitschaft zum Austausch und Miteinander. Diese Idee der atomistischen Konkurrenz, dass der eine dem anderen die Butter vom Brot nimmt, ist aus meiner Sicht eine reine Projektion derer, die genau dieses Verhalten von ihren Kollegen aus den hierarchischen Großorganisationen kennen, und sich schlicht nicht vorstellen können, dass es auf dem freien Markt anders zugeht.

Die derzeitige Finanzkrise zeigt mal wieder, dass nichts sicher ist im Leben, auch nicht die großen Bankhäuser. Birgt gerade der Zusammenbruch solcher kapitalistischer Kathedralen Chancen für Produkte/Unternehmen Marke Eigenbau?

HF: Ich glaube schon, dass der Zusammenbruch des "magischen Realismus" der Finanzmärkte, wie Leonard Cohen die Sache unnachahmlich präzise auf den Punkt gebracht hat, zu einer Rehabilitierung der Realwirtschaft führt. Lange Zeit galt sie ja als bloßes anachronistisches Anhängsel der Zirkulationssphäre, wo irrsinnige Renditen möglich schienen, die weit über jeder realen Verzinsung lagen. Dass da ein guter Anteil von Pilotenspiel-Logik drin war, hätte eigentlich jedem einigermaßen ökonomisch gebildeten Menschen klar sein können. Es wurde aber vorsätzlich ignoriert. Insgesamt ist die Stärkung der realwirtschaftlichen Betrachtung Wasser auf unsere Mühlen. Und es liegt auf der Hand, dass eine stärker auf regionale Wirtschaftskreisläufe und kleinere Einheiten ausgerichtete Wirtschaftsstruktur insgesamt weniger krisenanfällig ist, auch gegenüber externen Schocks wie etwa Transportkosten durch steigende Ölpreise. Trotzdem sollte man nicht in naive Euphorie angesichts des Kollapses - der vermutlich keiner sein wird - ausbrechen, denn gerade die Menschen in den Entwicklungsländern sind auf eine unangenehme Weise davon betroffen. Die Mechanismen die zur Vermachtung von Märkten führen, sind im Hintergrund weitgehend ungebrochen am Werk, auch wenn es den ein oder anderen Konzern jetzt aus der Kurve haut. Darüber darf man sich nicht täuschen und die Auswirkungen der aktuellen Krise sind völlig unübersehbar.

Ist „Marke Eigenbau“ derzeit noch ein Trend oder gibt es schon ganz konkrete Hinweise, etwa, dass H&M Verluste macht, weil die Leute keine Lust mehr darauf haben, immer und überall gleich auszusehen?

HF: Es gibt zum Beispiel den Hinweis, dass eBay derzeit zum ersten Mal in einem Quartal weniger Umsatz macht als im Quartal zuvor. Als Hauptursache wird die Abkehr vom ursprünglichen Geschäftsmodell des privaten Flohmarktes und die Öffnung für professionelle Großhändler angeführt, die über Ebay dieselbe industrielle Massenware verkloppen, die es überall anderswo auch gibt. Die User finden das uninteressant und bleiben weg. Etsy und Dawanda dagegen prosperieren. Natürlich kann man sagen, eBay ist viel größer und konnte in diesem Kernmarkt nicht weiter wachsen. Aber vielleicht ist genau diese Größe Teil des Problems. Genau was wir sagen: "Size does matter" und "Small is beautiful again."

Individuell hin oder her, wer erfolgreich sein möchte, muß aus der Masse herausstechen - so manche Band beklagt sich inzwischen darüber, dass man im myspace-Dschungel untergeht und man dort eben nicht gefunden wird (und man doch ein Label / einen Verlag benötigt). Was tun?

TR:Nun denn: Natürlich landet in einer Ökonomie Marke Eigenbau nicht jeder einen Seller. Auch das Angebot wächst, wenn es keine Flaschenhälse mehr gibt. Aber unter dem Strich gibt es mehr Marktteilnehmer, die zumindest die Chance auf Erfolg haben. Zentral ist in diesem Kontext die Fähigkeit, Eigenbau-Marken-Botschafter zu finden, also Kunden/Fans, die das Produkt weiterempfehlen.

HF: Am langen Ende der Nachfragekurve ist viel Platz, wenn auch vielleicht nicht für jeden. Insgesamt wachsen die Märkte von denen wir sprechen, aber sie wachsen vielleicht nicht so stark, dass sie den gesamten Ansturm aushalten könnten. Dahinter schlummert das unauflösliche Problem, dass nicht alle genau das machen können, was sie sich in den Kopf gesetzt haben, und wenn der Markt überschwemmt wird mit jungen Menschen, die aus unerfindlichen Gründen etwas mit Holz oder Medien machen wollen, dann fällt womöglich nicht genug für alle ab. Es ist einfach eine Hochrisikostrategie, darauf zu setzen, Popstar zu werden. Das sollte Dieter Bohlen den jungen Menschen vielleicht noch mal deutlicher sagen. Wenn man den Markt grundsätzlich akzeptiert, dann muss man auch damit klarkommen, dass eventuell das, was man sich dafür überlegt hat, auf Anhieb nicht genügend Anklang findet, dass man daraus einen Lebensunterhalt bestreiten kann. Dann muss man tiefer buddeln, sich etwas neues überlegen, und die Zeit bis dahin intelligent überbrücken. Es mag ja stimmen, dass man Chancen auch als Gefahr begreifen muss. Aber erst einmal muss man Chancen auch als Chancen begreife. Grundsätzlich ist die Tatsache, dass es durch das Internet immer mehr Felder gibt, auf denen einem niemand mehr die Erlaubnis erteilen muss, seine Meinung kund zu tun, seine Expertise zu offerieren oder sein Produkt der Marktöffentlichkeit mit Bitte um wohlwollende Beurteilung zur Kenntnis zu bringen, ein historischer Glücksfall, den man vorbehaltlos umarmen sollte.

Gibt es LeserInnen, die mit konkreten Fragen auf Euch zukommen (wie kann ich, wie soll ich starten) - müßt Ihr "Starthilfe" geben?

TR: Wir sind freilich keine Gründungsberater. In unserem Buch porträtieren wir allerdings eine ganze Reihe toller Gründer, die vorgemacht haben, wie es gehen kann. Das taugt gewiss zur Inspiration. Derweil bieten wir auf unserer Webseite marke-eigenbau.org die Möglichkeit, Eigenbau-Produkte kostenlos zu bewerben und damit ein wenig bekannter zu machen. Wir sind selbst überrascht und erfreut, wie gut dieses Angebot angenommen wird und wie groß die Bandbreite der Produkte ist, die auf der Seite hochgeladen werden.

Was sollen Leute machen, die nichts tolles können - also weder Fahrräder bauen noch Silberschmuck löten noch aufwändige Menüs zubereiten. Wie können Nicht-Kreative und handwerklich unbegabte Menschen Eigenbauer werden?

HF: Es gibt diese Geschichte von Brecht über den Fisch Fasch, der nichts konnte und nichts hatte als seinen weißen Arsch. In guten Zeiten lachten die Leute über ihn, und ließen ihn mitessen am Tisch. Als dann aber eine Krise kam, versohlten sie ihm seinen weißen Arsch. So sieht es leider aus. Es gibt Menschen, die qua Sozialisation, mangelnder Bildung oder Schicksalsschlag tatsächlich außer Stande sind, irgendeinen relevanten Beitrag zum ökonomischen Geschehen zu leisten. An diesem Punkt können auch wir nur auf die Politik verweisen mit der Forderung, diesen Menschen so gut materiell auszustatten und entsprechende öffentliche Angebote zu schaffen, das ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Ganzen ermöglicht wird. Darüber hinaus glaube ich persönlich, dass es eine Frage der Bedingungen und des Umfeldes, vor allem der persönlichen Ängste ist, ob sich überhaupt erst einmal die Phantasie gestattet, darüber nachzudenken, was dieser individuelle Beitrag sein könnte, der sich unter Umständen zum robusten Geschäftsmodell transformieren ließe. Um dann im zweiten Schritt praktisch auszuloten, wie das in der Praxis aussieht. Interessanterweise bringen oft Menschen aus den sogenannten bildungsfernen Schichten jene street smartness mit, die einerseits für kriminelle Karrieren taugt, sich aber andererseits auch in cleveres Unternehmertum umbiegen lässt. An dieser Stelle sind tatsächlich politische Weichenstellungen gefragt, letzteres zu begünstigen, um ersterem wirksam zu begegnen.