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29. November 2009
Jörg Auberg
für satt.org
  Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Die Rückkehr nach Deutschland
Ausstellung:
Die Frankfurter Schule und Frankfurt
Eine Rückkehr nach Deutschland

Jüdisches Museum
17. September 2009
– 10. Januar 2010
» weitere Infos


BLICKE AUF EINE
INFAME WELT

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt und drei Neuerscheinungen versuchen, der Frankfurter Schule neue Facetten abzugewinnen, doch können sie kaum neue grundlegende Erkenntnisse liefern.

Die Kritische Theorie, wie sie von Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Leo Löwenthal und anderen Intellektuellen zunächst in Frankfurt begründet und später in den USA unter veränderten Prämissen und Sichtweisen weiter entwickelt wurde, gilt in der Umschreibung als „Schmuggelware der Verneinung“ oder – wie Leo Löwenthal sie einmal charakterisierte – als „Anzeige und Charakterisierung einer infamen Welt“. Diese Theorie entstand nicht an einem Ort, sondern wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten über die Landesgrenzen hinaus geschmuggelt und nach 1945 wieder zurück transferiert. So entwickelte sich diese Theorie über Jahrzehnte – wie Frithjof Hager vor Jahren einmal treffend bemerkte – an „ortlosen Orten“ in Europa und Nordamerika, in denen neben der Kritik der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse auch die Utopie eines Besseren mitschwang.

Eine Ausstellung im Frankfurter Jüdischen Museum unter dem Titel „Die Frankfurter Schule und Frankfurt: Eine Rückkehr nach Frankfurt“ (die noch bis zum 10. Januar 2010 läuft) versucht, die „Remigration“ von Intellektuellen wie Horkheimer, Adorno und Friedrich Pollock (die zum inneren Kreis des Instituts für Sozialforschung gehörten) aus verschiedenen Blickwinkeln zu thematisieren und sie in einen dezidiert jüdischen Kontext zu stellen. Die Ausstellung beschreibt nicht allein die Rückkehr Horkheimers als Ordinarius für Sozialphilosophie an der Frankfurter Universität (aus der er und viele andere 1933 vertrieben wurden) und den Neuanfang im zerstörten Deutschland, sondern auch die Integration der einst verfemten Wissenschaftler ins Zentrum einer Gesellschaft, der die Rückkehrer mit Vorbehalten und teilweise auch Unbehagen begegneten. So berichtet Leo Löwenthal in einem Interview von der Begegnung mit einem Taxifahrer, in dem ihm bewusst wurde, wie wenig sich in Deutschland seit dem Ende der Nazi-Herrschaft verändert hatte. Im Gegensatz zu Horkheimer, Adorno und Pollock zogen es Kollegen wie Löwenthal, Marcuse oder Franz Neumann vor, in den USA zu bleiben. Zu den eigentümlichen Begebenheiten zählt die Mitarbeit des 1950 wiedereröffneten Instituts für Sozialforschung am Aufbau der Bundeswehr, wobei es diejenigen Offiziere beriet und schulte, welche die Bewerber auswählten.

  Monika Boll und Raphael Gross (Hg.): Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Die Rückkehr nach Deutschland.
Monika Boll und Raphael Gross (Hg.): Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Die Rückkehr nach Deutschland. Wallstein, Göttingen 2009. 304 Seiten, 24,90 Euro.

Der im Wallstein-Verlag erschienene Ausstellungskatalog besticht durch sein opulentes Bildmaterial, jedoch weniger durch die Beiträge, welche oft im Stil und Duktus einer Vereinsgeschichte daher kommen. Herausragend ist sicher ein Beitrag des amerikanischen Historikers Martin Jay zur Antisemitismus-Analyse der Kritischen Theorie, der jedoch bereits dreißig Jahre alt ist, oder der Essay Anson Rabinbachs über den Einfluss der „subversiven Kraft des Judentums“: Der Akt des Nichtbenennens, das Verbot, Gottes Name auszusprechen, sei eine verborgene jüdische Tradition in der Kritischen Theorie, lautet das Argument, das bereits Horkheimer vorgebracht hatte. In seinem Beitrag über das gespannte Verhältnis Horkheimers zu Kollegen wie Henryk Grossmann, die nach dem Krieg die DDR der Bundesrepublik vorgezogen hatten, thematisiert Hendrik Niether den autoritären Wesenszug des Institutsdirektors, der sich von seiner radikalen Vergangenheit distanzierte, „um sich mit der westlich-demokratischen Welt zu arrangieren“.

Dagegen fällt Detlev Claussens Beitrag über Adornos Heimkehr enttäuschend ab: Ausgiebig, teilweise seitenlang zitiert er aus den Texten Adornos, um ihnen ehrerbietig seine Erläuterungen anzufügen, wobei der Duktus des eilfertigen, durch zahllose Seminarexerzitien geadelten Schülers, der als Mundstück seines Lehrers fungiert, vorherrscht. „Wer diesen Satz nicht versteht, begreift den ganzen Adorno nicht ...“, konstatiert Professor Claussen, der priesterlich über die korrekte Exegese wacht.

Leider fehlt im Ausstellungskatalog der letzte Teil der Ausstellung, in dem der Umgang der Kritiker der Kulturindustrie mit den Massenmedien in den 1960er Jahren vorgeführt wird. So lauscht Adorno etwa in einem Filmbeitrag der DDR-Nationalhymne, um anschließend ihre Wirkung zu analysieren, während der Hessische Rundfunk Horkheimer beim Telefonieren filmte und Horkheimer in Dagobert Lindlaus ARD-Reportage „Frankfurt und die neue Gesellschaft“ aus dem Jahre 1964 als intellektueller Experte auftrat.

  Thomas Wheatland: The Frankfurt School in Exile
Thomas Wheatland: The Frankfurt School in Exile. University of Minnesota Press, Minneapolis 2009. 415 Seiten, 39,95 Dollar.

Während Horkheimer in der Ausstellung als humorvoller, menschenfreundlicher, leutseliger Geist in der Adenauer-Republik erscheint, zeichnet ihn Thomas Wheatland in seinem Buch „The Frankfurt School in Exile“ als paranoiden, geheimniskrämerischen Verwaltungsaristokraten, der im amerikanischen Exil alles dem Weiterbestand seines Zirkels opferte und seine Herrschaft innerhalb des Instituts gegen unbotmäßige Mitglieder wie Erich Fromm oder Franz Neumann, die sich den amerikanischen Gegebenheiten assimilieren wollten, ruchlos verteidigte. In den Augen Wheatlands war der „Horkheimer-Kreis“ (wie Wheatland die „Frankfurter Schule“ etikettiert) isoliert und in einen „teutonischen Kokon“ eingesponnen, attackierte Vertreter des amerikanischen Pragmatismus wie Sidney Hook („John Deweys Pitbull“, wie Wheatland ihn nennt) aufgrund ihres „antidemokratischen“, „höchst antiliberalen“ und mandararinenhaften Charakters.

Ähnlich argumentiert Wheatland, wenn es um die Kritik der Massenkultur geht, die in seinen Auge eine Demokratisierung der Kultur bewirkt habe. Kritik an ihr ist gleichbedeutend mit einer antidemokratischen Haltung, ohne dass er die gesellschaftlichen Verhältnisse in Rechnung stellt. „Der Kampf gegen die Massenkultur besteht in der Aufdeckung des Zusammenhangs zwischen ihr und der schlechten Herrschaft“, schrieb Horkheimer 1942. Wheatland kontrastiert die Kritik der Kulturindustrie, wie sie Horkheimer und Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ formulierten, mit der Kritik der Massenkultur, wie sie New Yorker Intellektuelle wie Dwight Macdonald, Clement Greenberg und Irving Howe artikulierten. Wheatland stellt sich dabei als Forschungsreisender auf bislang unerkundetem Terrain dar, der die Verbindungen zwischen dem Horkheimer-Kreis und den New Yorker Intellektuellen rekonstruiert, wobei jedoch vieles rein spekulativ bleibt, da für die tatsächlichen Verbindungen nur wenige faktische Nachweise existieren.

  Eva-Maria Ziege: Antisemitismus und Gesellschaftstheorie
Eva-Maria Ziege: Antisemitismus und Gesellschaftstheorie. Die Frankfurter Schule im Exil. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2009. 346 Seiten, 13,00 Euro.

In der gleichen Pose geriert sich Eva-Maria Ziege in ihrer Studie „Antisemitismus und Gesellschaftstheorie: Die Frankfurter Schule im amerikanischen Exil“, wobei der Untertitel eine große Erzählung verspricht, die das Buch in keiner Weise einlöst. Ziege inszeniert sich als Entdeckerin unterirdischer Fermente, um zum „wahren Kern“ der Frankfurter Schule vorzustoßen. Sie fühlt sich nicht allein den „Gegenständen“ ihrer Untersuchung überlegen, sondern gibt sich auch cleverer als alle anderen Historiker, die bislang diese Geschichte untersuchten, wobei diese penetrante Selbstreklame der DAAD-Stipendiatin mehr als peinlich wirkt. Vollkommen eingebunden in den akademischen Betrieb ist sie unfähig zur kritischen Selbstreflexion und wirft Adorno die „essayistische Schreibweise“ und „Esoterik“ vor. Ihr Buch selbst wabert an der Grenze zur Unlesbarkeit entlang, vermengt Deutsch und Englisch zu einer abstoßenden Maische, schleift Zitate wie Beutestücke in ihrem Sack durch den akademischen Schlamm und klassifiziert Horkheimer als Mann, der die „Niederungen der Hochkultur“ abdecke. Stünde ihr die Idiosynkrasie gegen die „essayistische Schreibweise“ nicht im Wege und verfügte sie über ein gewisses Sprachsensorium, hätte sie sich einen Ratschlag Adornos zu Herzen nehmen können: „Wo der Gedanke eine Zelle der Wirklichkeit aufgeschlossen hat, muß er ohne Gewalttat des Subjekts in die nächste Kammer dringen.“ Die akademische Forschungstechnikerin verharrt jedoch in den Katakomben eines auf sich selbst fixierten Wissenschaftsapparats, der die historische Realität nach seinen Mustern und „Frameworks“ modelt, und zieht am Ende ihres technokratisch-wissenschaftlichen Unternehmens Bilanz, wie die „Innovationen des IfS“ zu bewerten seien. Das Leben bestehe aus Addition und Subtraktion, lautet das Credo des Racketeers in dem Film-noir-Klassiker „Body and Soul“; alles andere sei Konversation. Dieser Auffassung könnte sich die akademische Controllerin mit ihrem Faible für Bilanzen in der „Wissenschaftsproduktion“ zweifelsohne anschließen.