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Claudia Sewig: Bernhard Grzimek – Der Mann, der die Tiere liebte. Biografie. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 2009. 447 Seiten, 24,95 Euro.
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DER
SCHERZARTIKELSAMMELNDE
HÜHNERBARON
Bernard Grzimek war nicht allein der prominente Zoologe der populären Fernsehsendung „Ein Platz für Tiere“, sondern eine vielschichtige Persönlichkeit, die Claudia Sewig in ihrer Biografie detailliert beschreibt.
Es gibt Prominente, die der geneigte Medienkonsument aufgrund ihres Auftretens in der Öffentlichkeit zu kennen glaubt. Hans-Peter Kerkeling, der immer und überall Faxen machende Entertainer, war so ein Beispiel (bis er irgendwann mit seiner Wanderlust überraschte und/oder in ernsthaften Fernsehrunden auftauchte und über den Sinn des Lebens philosophierte) - auch die inzwischen zum Allgemeingut zählende "kaiserliche Lichtgestalt" Franz Beckenbauer (von dessen Stehvermögen auf vereinsinternen Weihnachtsfeiern zumindest so einige überrascht waren). Und auch bei Bernhard Grzimek hatte man durch seine (durch die begrenzte Senderzahl begünstigte) gefühlte Dauerpräsenz auf bundesdeutschen Bildschirmen den Eindruck, viel über ihn zu wissen – gehörte er doch mit seiner über Jahrzehnte laufenden Fernsehreihe "Ein Platz für wilde Tiere", bei der er stets von einem tierischen Studiogast flankiert wurde, schon so gut wie zur Familie. Ein netter Fernsehonkel, der regelmäßig vorbeikam, um über seine neuesten Affen oder die Wanderrouten der Gnus zu informieren und um Geld für den Naturschutz einzuwerben. Dass dies jedoch nur ein kleiner Teil seines Wirkens und einer bewegten Karriere und vielschichtigen Persönlichkeit war, dürften die wenigsten wissen. Claudia Sewig, Journalistin mit zoologisch-biologischem Hintergrund, setzte dem (neben Heinz Sielmann) wohl bekanntesten deutschen Tierfilmer, der am 24. April 2009 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, mit ihrer Biografie "Bernhard Grzimek – der Mann, der die Tiere liebte" ein umfangreiches, detailliertes, größtenteils herzliches, an einigen Stellen aber auch kritisches Denkmal.
Während bei vielen Prominenten-Biografien die Zeit vor dem medialen Coming-out rasch abgehandelt wird, um sich sodann in glamourösen Anekdoten zu verstricken, nehmen Grzimeks Kindheit und Jugend in diesem Buch eine verhältnismäßig große Seitenzahl ein. Zurecht, denn wenn auch damals noch nicht abzusehen war, dass die Deutsche Post ihm einst eine Sonderbriefmarke widmen würde, so liest sich Grzimeks Lebensgeschichte doch bereits von Anfang an spannend und alles andere als gewöhnlich. Im oberschlesischen Neisse geboren, wird er bereits mit drei Jahren zur Halbwaise, als sein Vater an einem Herzleiden stirbt. Von seinen Geschwistern aufgrund seines verhältnismäßig großen Kopfes mit Namen wie Kürbis bedacht, reift in ihm früh die Begeisterung für Tiere und die Zwerghuhn-Zucht im Besonderen, was dazu führt, dass er noch als Schüler sein erstes kleines Buch verfasst: den "Taschen-Zwerghuhn-Atlas". Ein heftiger Flirt mit der katholischen Jugendbewegung und ein gesteigertes Interesse an Sprache stehen dem immer stärker werdenden Interesse an der holden Weiblichkeit gegenüber (das auch später anhält, sodass seine außereheliche Begeisterung für hübsche Frauen nicht nur zu einer unehelichen Tochter führt, sondern auch das eine oder andere Mal die Feststellung provoziert haben dürfte, er kenne sich nicht nur mit Landlebewesen, sondern auch bestens mit Vögeln aus...). Unverhohlen wird er zeitlebens die sexuelle Anziehungskraft der Frauen preisen, was in seiner späteren Autobiografie "Auf den Mensch gekommen" so zu lesen ist: Ich habe mich immer für die Säugetierart Mensch begeistern können, natürlich besonders für den weiblichen Teil davon!
Grzimek studiert Veterinärmedizin in Leipzig, bis er nach nur einem Semester das Angebot annimmt, ein Bauerngut zu bewirtschaften und an die Tierärztliche Hochschule Berlin wechselt. Noch als Student, mit 21, heiratet er eine junge Frau aus seiner Schulzeit – Hildegard Prüfer, mit der er 47 Jahre lang verheiratet bleiben wird. Bereits im folgenden Jahr kommt der erste gemeinsame Sohn Rochus zur Welt. Dem Staatsexamen folgt die Beschäftigung als Sachverständiger beim Preußischen Landwirtschaftsministerium, parallel dazu eröffnet Grzimek eine Tierarztpraxis. Als Verantwortlicher für Eierstandardisierung verfasst er weitere Publikationen zur Hühneraufzucht. Dem freudigen Ereignis der Geburt des zweiten Sohnes Michael 1934 folgt nur zwei Jahre später der Schock: Grzimeks Mutter stirbt plötzlich an einer Hirnblutung, sodass er mit 27 Vollwaise wird.
Immer die Karriere vor Augen, tritt er 1937 in die NSDAP ein, um Mitglied in der Reichsschriftentumskammer werden und als Autor veröffentlichen zu können – eine Mitgliedschaft, die er verheimlichte und später sogar unter Meineid abstritt. Direkt mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wird Bernhard Grzimek, dessen Haus zu dieser Zeit bereits von zahlreichen Tieren bevölkert ist, zur Wehrmacht eingezogen. Während eines Fronturlaubs lernt er Leni Riefenstahl kennen, die seinen Wolf "Dschingis" für Dreharbeiten benötigt – Grzimeks erster Kontakt mit dem Medium Film. Kurz vor Beginn des Unternehmens "Barbarossa" zieht die Familie von Berlin ins Allgäu. Als der Krieg schon verloren ist, bekommt Grzimek den Marschbefehl Richtung Osten. Er desertiert und versteckt sich bei seiner Geliebten in Berlin – ein Glücksfall, dass ihm später die Flucht aus Berlin gelingt und der Krieg mit dem Vergraben von Uniform und Waffe für ihn beendet ist.
Kurz darauf kommt er nach Frankfurt/Main, in die Stadt, in der er einen Großteil seines Lebens verbringen wird. Durch Empfehlung des Verlegers Wilhelm Hollbach, der von den Amerikanern als Nachkriegsbürgermeister eingesetzt wird, wird Grzimek quasi durch Zufall Direktor des beinahe vollständig zerbombten Frankfurter Zoos. Sein großes Engagement ermöglicht es, dass der Zoo bereits am 01. Juli 1945 wieder für Besucher geöffnet werden kann. Integrierte Fahrgeschäfte und Aufführungen sorgen schnell für sensationelle Besucherzahlen und eine beständige Vergrößerung des Tierbestandes. Eine schwere Zeit beginnt im Dezember 1947. Zunächst wegen seiner Parteizugehörigkeit zur NS-Zeit vom Dienst suspendiert, wird Grzimeks Reputation später aufgrund entlastender Aussagen Dritter wiederhergestellt.
1951 fliegt Grzimek erstmalig mit seinem Sohn Michael nach Afrika – der Beginn einer lebenslangen Liebe, die er in seinem Buch "Flug ins Schimpansenland" festhält. Von nun an sind die beiden regelmäßig in Afrika, beobachten, holen Tiere, fotografieren und filmen – für ihren ersten Film "Kein Platz für wilde Tiere" erhalten sie den Bundesfilmpreis und den Goldenen Bären. Im Januar 1959 dann die familiäre Katastrophe, als Michael bei den Dreharbeiten zum zweiten Kinofilm "Serengeti darf nicht sterben" bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt.
Zu dieser Zeit, zwischen dem ersten und dem zweiten Film, setzt die Popularität ein, Grzimek wird Fernsehgesicht, es folgt Buch um Buch, er wird Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten des Naturschutzes. Der Name seiner monatlich ausgestrahlten Tiersendung wäre bei „Wer wird Millionär?“ wahrscheinlich nur eine 200-Euro-Frage. Dass Grzimek als erster und bis heute einziger deutscher Dokumentarfilmer einen Oscar erhielt, auch davon könnte man unter Umständen bereits gehört haben. Vor der Lektüre dieser ausgesprochen empfehlenswerten Biografie hätte jedoch spätestens die 8.000-Euro-Frage, die sich entweder mit den Umständen seines Todes (Grzimek starb während einer Vorführung des Zirkus Althoff), seiner doch recht unkonventionellen Ehe mit der Witwe seines verunglückten Sohnes oder seiner großen Leidenschaft (dem Sammeln von Scherzartikeln aller Art) beschäftigt, den Publikumsjoker gekostet.