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11. Juli 2010
Jörg Auberg
für satt.org
  Tom Cerasulo: Authors Out Here. Fitzgerald, West, Parker and Schulberg in Hollywood
Tom Cerasulo: Authors Out Here. Fitzgerald, West, Parker and Schulberg in Hollywood. Columbia: University of South Carolina Press , 2010. $ 29,95.
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SCHREIBEN IM PURGATORIUM

Tom Cerasulo beschreibt die Schicksale von F.Scott Fitzgerald, Nathanael West, Dorothy Parker und Budd Schulberg im Hollywood der 1930er Jahre und versucht die These zu widerlegen, die Filmindustrie habe ihre künstlerischen Talente zerstört.

Im Dezember 1940 starben in Kalifornien mit F.Scott Fitzgerald und Nathanael West kurz hintereinander zwei der herausragenden US-amerikanischen Schriftsteller. Fitzgerald erlag drei Tage vor Weihnachten in Hollywood einer Herzattacke, während West einen Tag später in El Centro bei einem Autounfall ums Leben kam. Für den Literaturkritiker Edmund Wilson wurden beide Autoren durch Hollywood zerstört. Ihr Scheitern, das Beste aus ihren besten Jahren zu machen, habe teilweise an Hollywood mit seinem Trieb zur Verschwendung und Verkrüppelung von künstlerischem Talent gelegen, konstatierte er in seinem legendären Essay „The Boys in the Backroom“ (1941), der die klassische Antipathie der New Yorker gegenüber der Massenkultur widerspiegelte.

Siebzig Jahre später versucht der Literaturwissenschaftler Tom Cerasulo in seinem Buch Authors Out Here, Wilsons Urteil zu widerlegen. Hollywood habe diese Autoren nicht getötet, ist er sich gewiss. „Schlechtes Fahren erledigte West, und Jahre des Alkoholmissbrauchs forderten ihren Tribut von Fitzgerald.“ In seinem Buch verfolgt er den Weg von Fitzgerald, West, Dorothy Parker und Budd Schulberg von den 1920er bis zu den 1950er Jahren, wobei er die These vertritt, dass Hollywood diese Autoren nicht korrumpierte und zerstörte, sondern ihre Karrieren belebte und ihre literarische Arbeit neu befruchtete.

Entgegen der populären Auffassung, Fitzgerald sei erst in seinen letzten Jahren, als er den Zenit seiner Karriere überschritten hatte, einen Pakt mit der Kulturindustrie eingegangen, beschreibt Cerasulo, wie Fitzgerald schon zu Beginn der 1920er Jahre sich selbst als Autor vermarktete und von Beginn an die Filmindustrie als Mittel betrachtete, um zu Geld und Ruhm zu gelangen. Dennoch ist Fitzgerald von allen Autoren-Protagonisten des Buches die tragischste Figur, da er im Gegensatz zu West, Parker und Schulberg sich am wenigsten mit dem industriellen Prozess des Schreibens arrangieren konnte. Die Hollywood-Studios pflegten eine Verachtung gegenüber der Hochkultur, als deren Repräsentant Fitzgerald galt. Wenn sie renommierte Autoren wie Fitzgerald oder William Faulkner einkauften, stellten sie sie zum einen als Beute im Oberflächenzirkus zur Schau und demütigten sie, indem sie sie zu austauschbaren Angestellten in ihren Schreibfabriken degradierten. „Sie wollen keine Autoren“, heißt es in Fitzgeralds Pat Hobby Stories (1940). „Sie wollen Schreiber – wie mich.“ Der Autor beschwor die Autorität, während der Schreiber sich als fungibles Partikel in einen gleichförmigen Prozess einfügte, in dessen Verlauf ein Stoff in mehreren Stadien geschrieben, überarbeitet und neu geschrieben wurde. Selten vermochten Drehbuchautoren einem Film ihren „Stempel“ aufzudrücken. Als inferiore Figuren im industriellen Prozess mussten sie stets darum kämpfen, dass ihre Namen in den „Credits“ auftauchten. Erst die Gewerkschaft der Screen Writers Guild konnte in den 1930er Jahren im Kampf mit den Studios den Stellenwert der Drehbuchautoren erhöhen.

Während West an zweitrangigen Filmstoffen arbeitete und ein groteskes Hollywood in seinem Roman Der Tag der Heuschrecke (1939) schilderte, die New Yorker Autorin Dorothy Parker als Drehbuchautorin für den Oscar-prämierten Film A Star is Born (1937) reüssierte und Schulberg Hollywood zunächst in seinem Roman What Makes Sammy Run? (1941) anprangerte und später als Drehbuchautor für Elia Kazans On the Waterfront (1954) mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, blieb Fitzgerald ein Verlierer in der Glitzerstadt, da er sich nicht den dortigen Verhältnissen anzupassen verstand. Psychologie und Adjektive ließen sich nicht einfach in die Filmsprache übersetzen, und erst nach und nach eignete er sich die Grammatik des Films an. Oft beklagte er sich über die Arbeitsweise in Hollywood und bemängelte, dass untalentierte Schreiberlinge seine Arbeit beurteilten. Film war Fließbandarbeit, und Autoren wurden im Laufe des Produktionsprozesses des Drehbuches gegeneinander ausgespielt. Dieses System hatte Irving Thalberg im Studio Metro-Goldwyn-Mayer entwickelt, der als Vorbild für den Filmproduzenten Monroe Stahr in Fitzgeralds Fragment gebliebenem Hollywood-Roman The Last Tycoon diente. Ironischerweise stilisierte Fitzgerald so den Urheber der Zustände, unter denen er litt und die er permanent beklagte, zum Gatsby-haften Titan, zum genialen Schöpfer eines eigenen Kosmos.

Der Vorzug von Cerasulos Buch besteht darin, dass er die einzelnen Autoren mit ihren Schicksalen in der Kulturindustrie nicht in voneinander separierten Kapiteln, sondern als miteinander agierende Protagonisten innerhalb des geschichtlichen Verlaufs beschreibt. Im Gegensatz zu Morris Dickstein, der die Geschichte von Fitzgerald, West und Schulberg unter der Überschrift „What Price Hollywood“ in seiner jüngst erschienenen Kulturgeschichte der Großen Depression Dancing in the Dark (2009) subsumierte, geht Cerasulo über die bloße literarische Verarbeitung der Hollywood-Erfahrung hinaus und beschreibt die Produktionsbedingungen, unter denen die Autoren arbeiteten (und litten). Das Manko des Buches besteht allerdings darin, dass Cerasulo ein lediglich in Ansätzen kritisches Verständnis der Kulturindustrie entwickelt: Letztlich werden die Autoren an den Erfordernissen des Apparates gemessen. Vor allem Fitzgerald ist das Opfer seiner selbst: Er sei nicht von Hollywood gedemütigt worden, sondern habe sich selbst gedemütigt, urteilt Cerasulo scharf. Eine Kritik der Produktionsverhältnisse findet nicht statt. Er zeichnet die Entwicklung des Autors vom „unabhängigen ökonomischen Agenten“ in den 1920er Jahren zum Mitglied in Kollektiven in der Medien- und Kulturindustrie nach, ohne diesen Prozess kritisch zu hinterfragen. Auch wenn Walter Benjamins Überlegungen zum Autor als Produzent, der die Veränderung von Produktionsformen und Produktionsinstrumenten zum Anlass nimmt, den Produktionsapparat nicht nur zu beliefern, sondern auch zu verändern, im Nachhinein sich als weitgehend illusorisch erwiesen haben, so bleibt doch seine Insistenz, dass der Autor seine Stellung im Produktionsprozess zu reflektieren habe, immer noch gültig. Cerasulo jedoch urteilt über seine Protagonisten ausschließlich hinsichtlich ihrer geglückten oder gescheiterten Assimilation ans Bestehende.