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7. November 2010 |
Jörg Auberg
für satt.org |
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TUNNELBLICKEBill Ayers zeichnet in seiner Autobiografie »Flüchtige Tage« ein geschöntes Bild der amerikanischen Stadtguerillagruppe Weather Underground und betätigt sich als Weißwäscher der Geschichte, während Daniel Burton-Rose mit seinem Porträt der George-Jackson-Brigade eine verborgene Geschichte offenlegt. In ihrem Roman Vida aus dem Jahre 1979 erzählt Marge Piercy die Geschichte einer in den Untergrund abgetauchten, flüchtigen Antikriegsaktivistin namens Vida. »Ich bin keine Terroristin«, insistiert sie. »Wir haben es nicht auf Menschen abgesehen, wir terrorisieren nicht.« Die Ziele ihrer Aktionen sind staatliche und kapitalistische Einrichtungen. »Was wir tun, machen wir vorsichtig, und wir verletzen niemanden körperlich.« Diese archetypische Argumentation wiederholte nicht allein Dana Spiotta in ihrem Roman Eat the Document (2006), der um die Existenz einer jahrelang untergetauchten, polizeilich gesuchten Kriegsgegnerin kreist, sondern sie gehört auch zum Repertoire ehemaliger Aktivisten der amerikanischen Untergrundorganisation Weather Underground, die in den 1970er Jahren aus Protest gegen den Vietnamkrieg eine Reihe von Bombenattentaten auf staatliche Einrichtungen und multinationale Konzerne ausführte, bei denen niemand verletzt wurde. Den Vorwurf, Terrorist gewesen zu sein, streitet auch Bill Ayers ab, der 1969 zu den aktionistischen Wortführern der militanten SDS-Fraktion Weatherman gehörte und 1970, nachdem eine Weatherman-Bombenfabrik im New Yorker Greenwich Village versehentlich explodiert war, für zehn Jahre in den Untergrund abtauchte. Während des letzten Präsidentschaftswahlkampfs kam Ayers, mittlerweile ein »angesehener Professor für Erziehungswissenschaften in Chicago« (wie ihn die taz beschrieb), noch einmal zu nationaler Prominenz, als ihn die republikanische Wahlkampfmaschine zu Barack Obamas »terroristischen Freund« stilisierte, da beide in den gleichen sozialen Organisationen aktiv waren. In seiner 2001 erschienenen und nun auf deutsch vorliegenden Autobiografie Flüchtige Tage erscheint der Weather Underground weniger als eine hierarchisch organisierte und autoritär geführte marxistisch-leninistische Kaderorganisation denn als eine Gruppe romantischer Outlaws. Schon in den Jahren zwischen 1968 und 1969 erlag Ayers dem amerikanischen Mythos der Regeneration durch Gewalt und zelebrierte eine aktionistische Militanz, die an die Stelle einer radikalen Politik trat. Ayers und Terry Robbins (der später bei der Greenwich-Explosion ums Leben kam, als er durch das Verbinden der Drähte die Bombenvorrichtung zur Explosion brachte) gehörten in Ann Arbor (Michigan) zur SDS-Gruppe, die sich »Jesse-James-Bande« nannte. Blind rannte sie in die Falle einer Gewalt, die zum Selbstzweck wurde und sich nicht allein gegen die Staatsgewalt, sondern auch »Mitstreiter« richtete. Ayers war wie die übrigen Angehörigen der »action faction« durch einen ausgeprägten Antiintellektualismus geprägt. »Das Kommunistische Manifest las ich vor allem, weil es so kurz war«, bekennt er entlarvend in seinen Memoiren. Das Kapital habe er dagegen »nie ganz durchgeackert, weil es größtenteils unlesbar und meiner Meinung nach auch unverständlich ist«. Dass die New York Times ihn im Januar 1970 als einen der »Cheftheoretiker der Weathermen« bezeichnete, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Stellenwert der »Theorie« des Weather Undergrounds. Auch die Überhöhung Jesse James' zum Sozialrebell zeugte von Geschichtsblindheit: Der Outlaw »enteignete« nicht nur Banken und begehrte gegen die Staatsmacht auf (wie die populäre Mythologie behauptet), sondern terrorisierte als Mitglied der Südstaaten-Guerilla im amerikanischen Bürgerkrieg den »Feind« und hing einer reaktionären, rassistischen Konföderierten-Ideologie an. Ohnehin nimmt es Ayers mit der historischen Wahrheit nicht so genau und zieht sich mit einem postmodernen Relativismus aus der Affäre. »Die Erinnerung ist ein Scheißding« [im Original: »Memory is a motherfucker«], eröffnet Ayers seine »Erinnerungen« und räumt ein, dass er sich selbst an fast nichts erinnere. Dieses Nichts breitet er dann über nahezu vierhundert Seiten aus. Bereits vor Jahren bezeichnete der linke Historiker Jesse Lemisch in der Zeitschrift New Politics Ayers' »Autobiografie« als fragwürdige Erzählung und wies darauf hin, dass der Autor sich ungenannter sekundärer Quellen bediene, um über Ereignisse, an denen er nicht beteiligt gewesen sein konnte, zu berichten, sie aber als Teil seiner »Erinnerungen« ausgebe. Darüber hinaus deckte Lemisch eine Reihe von historischen Fehlern auf, wobei jedoch Ayers' Versuch, den Weather Underground als Refugium des libertären Widerstandes zu mythologisieren, weitaus gravierender ist. Ayers zeichnet nicht nur eine groteske Unaufrichtigkeit aus (in Jean-Paul Sartres Diktion wäre er als »salaud« zu titulieren), sondern er ist sprachlich und intellektuell in der Zeit stecken geblieben, unfähig zur kritischen Selbstreflexion. Mit Recht warf ihm die Feministin Katha Pollitt in der New Yorker Wochenzeitung The Nation vor, er sei ein unbelehrbarer Weißwäscher, der mit einem Schwall von Plattitüden und Unwahrheiten Geschichtsklitterung betreibe. »Der Weather Underground stand da wie ein Leuchtturm«, schwadroniert Ayers, »ein extremes Beispiel, an dem andere ihr Engagement und ihren Mut messen konnten.« Kein Wort verliert der rasende Mitläufer aus der Oberschicht Chicagos über die bizarren Herrschaftsmethoden innerhalb des Kollektivs, das keineswegs die Zelle des Besseren in sich trug, sondern vielmehr den Keim des Alten. »Weather«, schreibt Lemisch mit Recht, tötete und begrub das basisdemokratische Projekt SDS und bereite so das Terrain für den konservativen Rollback der 1970er und den Triumph des Reaganismus im darauffolgenden Jahrzehnt. Anders als die jüngeren, weitaus lesenswerteren Autobiografien ehemaliger Weather-Mitglieder wie Cathy Wilkerson (Flying Close to the Sun: My Life and Times as a Weatherman, 2007) oder Mark Rudd (Underground: My Life with SDS and the Weathermen, 2009) verliert Ayers, das ehemalige Mitglied des »Zentralkomitees« des Weather Undergrounds, kein Wort über die zynischen Positionswechsel vom Pop-Maoismus der späten 1960er Jahre zum proletophilen Marxismus-Leninismus der 1970er Jahre oder über die stalinistischen Methoden der selbsternannten »neuen roten Armee«. Durch alle Wendungen der Zeit manövrierte sich Ayers, ohne Schaden zu nehmen. Während andere ihr Engagement das Leben oder hohe Gefängnisstrafen kostete, blieb Ayers – obgleich er zu den Wortführern zählte, die zunächst eine aktionistische, von Gewalt besessene Militanz propagierten und später zu Sprachrohren eines kruden Marxismus-Leninismus wurden – stets auf der Gewinnerseite. Das »white-skin privilege«, gegen das er in seiner Jugend vorgeblich aufbegehrte, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen, bewahrte ihn davor, für seine Revolte einen hohen Preis zahlen zu müssen. So stellt sich die Frage, was den deutschen Verlag bewegt haben mochte, diese fragwürdige Autobiografie nach fast zehn Jahren in einer trashigen Aufmachung mit qualitativ minderwertigem Bildmaterial auf den Markt zu werfen. Ayers Buch eröffne die Möglichkeit, heißt in der deutschen Einleitung, darüber nachzudenken, wie gesellschaftliche Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden könnten. Ein Buch, das historische Fakten verfälscht und sich gegen kritische Reflexion abschirmt, konterkariert dieses Ansinnen jedoch in frappanter und abstoßender Weise. Dem kritischen Anspruch kommt eher Daniel Burton-Roses akribisch recherchierte und gut geschriebene Studie Guerilla USA über die kurzlebige George-Jackson-Brigade nahe, die zwischen 1975 und 1978 im Raum Seattle (Washington) Bombenanschläge und Raubüberfälle beging. Kompiliert aus Interviews, unpublizierten Autobiografien und Tagebüchern sowie Presseberichten erzählt Burton-Rose die Geschichte gesellschaftlicher Außenseiter, die zunächst als Kriminelle gegen die Gesellschaft aufbegehrten und sich schließlich im Kontext ethnischer und rassischer »Befreiungsorganisationen« der 1970er Jahre wie der Black Liberation Army, dem American Indian Movement oder den Young Lords radikalisierten. Auch die George-Jackson-Brigade (benannt nach einem schwarzen Militanten, der 1971 bei einem Fluchtversuch aus dem Gefängnis von San Quentin erschossen wurde) wehrte sich gegen die Bezeichnung »Terroristen« und nahm für sich in Anspruch, einen »bewaffneten Kampf« gegen das »System« zu führen. Anschaulich und detailliert beschreibt Burton-Rose den Weg von »Sozialrebellen« wie Ed Mead oder Rita Brown im häufig bizarren Lauf der Zeit, der an einen überdrehten Gangsterfilm der 1970er Jahre erinnert. Ihre Revolte gegen die amerikanische Gesellschaft bezahlten einige mit dem Leben und die übrigen mit langen Haftstrafen, die erst in den 1990er Jahren oder später endeten. Das Verdienst Burton-Roses ist es, die verborgene Geschichte dieser Outlaws in all ihrer Vielschichtigkeit zu erzählen, ohne sie zu verklären. Guerilla USA legt auf beeindruckende Weise ein verschlossenes, weit entferntes historisches Terrain frei und beschreibt das Verglimmen einer Hoffnung, die in den 1960er Jahren mit dem Projekt einer partizipatorischen Demokratie begann und im darauffolgenden Jahrzehnt in einer wüsten Landschaft grotesker Sekten verendete, ohne dass der Grund für die Revolte – die gravierenden gesellschaftlichen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten – aus der Welt verschwunden wäre. |
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