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27. April 2011
Jörg Auberg
für satt.org
  Brooke L. Blower: Becoming Americans in Paris.
Brooke L. Blower: Becoming Americans in Paris. Transatlantic Politics and Culture Between the Two World Wars. New York: Oxford University Press, 2011. 354 Seiten. 34,95 Dollar.
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ABENTEUER IN PARIS

Die Historikerin Brooke L. Blower entschleiert in ihrer Geschichte der Amerikanisierung von Paris in der Zeit zwischen den Weltkriegen den verkitschten Romantizismus der französischen Metropole.

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges betrachteten viele amerikanische Schriftsteller und Künstler Amerika als politisches und kulturelles Ödland, als ein – wie F. Scott Fitzgerald in seinem Roman The Great Gatsby (1925) schrieb - »Aschental«, über das die toten Augen der Reklame wachten. Auf einem im Jahre 1922 von dem Kritiker Harold Stearns initiierten Symposium über die Kultur in den USA stimmten die Teilnehmer in ihrem vernichtenden Urteil überein: In allen Sphären der amerikanischen Gesellschaft orteten sie Ignoranz und Mittelmaß, Philistertum und Kleingeistigkeit, puritanische Heuchelei und skrupellosen Egoismus und kamen zu dem Schluss, dass Kultur im modernen Amerika nicht existiere. Die Konsequenz war, dass Scharen von Künstlern und Intellektuellen den USA den Rücken kehrten und ihr Heil in Europa, vor allem in Paris, der »Hauptstadt der Moderne«, suchten.

Im kollektiven Gedächtnis dominiert die Erinnerung an das Aufeinandertreffen von Amerikanern und Parisern vor allem durch die Erinnerungsbücher der amerikanischen »Expatriates« wie Ernest Hemingway oder Malcolm Cowley. Die an der Boston University lehrende Historikerin Brooke L. Blower konterkariert in ihrem Buch Becoming Americans in Paris die impressionistische Nostalgie der Expatriates und des Hollywood-Kinos (das in Form von Musicals wie An American in Paris die gängigen Klischees der Populärkultur in Technicolor und Breitbild an seine Kunden verkaufte) mit einer akribischen erforschten geschichtlichen Realität, in der die verlorene Zeit neu zu sich kommt – ganz im Sinne Siegfried Kracauers: »Als Fremder in der von Quellen evozierten Welt« sehe sich der Historiker, schrieb er in seinem Buch Geschichte – Vor den letzten Dingen (1969), vor die Aufgabe gestellt, »ihre Oberflächenerscheinung zu durchdringen, um zu lernen, jene Welt von innen her zu verstehen«. Diese Aufgabe hat Brooke L. Blower nicht nur bravourös bewältigt, sondern ein Glanzstück engagierter Historiographie vorgelegt, die Schichten des Verborgenen offenlegt und neue Perspektiven auf eine historische Epoche des Umbruchs eröffnet.

Die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts markierten die Agonie des alten Europas am Vorabend des triumphierenden Faschismus und den Beginn des »amerikanischen Jahrhunderts«. Für Amerikaner, die ihrer geistigen Enge und provinziellen Welt entfliehen wollten und von einem Gefühl kultureller Inferiorität bestimmt waren, war das abenteuerliche Paris eine neue Grenze, ein aufregendes Territorium, das es zu erobern galt. Der starke US-Dollar und die Universalität der englischen Sprache halfen, in Paris eine amerikanische Subkultur mit Bars, Jazz und anderen Manifestationen der amerikanischen »Massenkultur« zu etablieren. Auf der Gegenseite rief diese »Amerikanisierung« jedoch Ängste und Aversionen gegen die »Eindringlinge« hervor, die mit abschätzigen Begriffen wie métèques oder indésirables belegt wurden. Konservative Publizisten fürchteten, dass Paris unter der Welle des amerikanischen Kommerzialismus seinen »wahren« Charakter, seinen Charme verliere, und echauffierten sich ob der Entstellung von Paris durch Plakatwände und Lichtreklame, wobei sie jedoch außer Acht ließen, dass das urbane Spektakel auf französischen Erfindungen beruhte: Das Automobil, das Kaufhaus, das Werbeplakat, das Kino und selbst das Neonlicht entsprangen dem Erfindergeist in der »Hauptstadt der Moderne«, die nun mit der vulgären Massenkultur Amerikas nichts zu tun haben wollte, die sie selbst entfesselt hatte.

Politisch artikulierte sich der »Antiamerikanismus« im August 1927 in den Sacco-Vanzetti-Krawallen, als Zehntausende Menschen gegen die Hinrichtung der als Bankräuber verdächtigten italo-amerikanischen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti in Boston protestierten. Neben der Zerstörung von Kiosken und dem Einwerfen von Schaufenstern und Glasvitrinen in der Pariser Innenstadt explodierte vor der amerikanischen Botschaft eine Bombe. In der militanten Revolte, die Erinnerungen an die Pariser Commune von 1871 in ihrem Kampf um die Vorherrschaft auf den Straßen von Paris evozierte, waren Sacco und Vanzetti weniger als Repräsentanten des militanten Anarchismus für die Demonstranten von Belang denn als Symbole des Kampfes gegen die Dominanz eines konservativen, militaristischen Amerikas. So wurde in den Straßenkrawallen von 1927 mit symbolischen Akten wie dem Verbrennen des Sternenbanners und dem Werfen von Pflastersteinen die Ästhetik des »Antiamerikanismus« begründet. Darüber hinaus sahen sich Amerikaner (auch wenn sie den herrschenden Verhältnissen kritisch oder unbeteiligt gegenüberstanden) Angriffen in Cafés und Bars ausgesetzt – allein weil sie sich durch ihre Sprache zu erkennen gaben. Vor allem die Kommunistische Partei versuchte, das antiamerikanische Ressentiment aus opportunistischen Gründen für die eigenen Zwecke zu nutzen (während in der Sowjetunion Anarchisten verfolgt wurden und Ikonen des internationalen Anarchismus wie Emma Goldman oder Alexander Berkman die linke Opposition gegen das bolschewistische Regime unterstützten) und die Wut und Massenaktion unter dem Vorzeichen eines »linken« Nationalismus und »Antikolonialismus« zu kanalisieren.

Auf der anderen Seite nutzte der reaktionäre Polizeipräfekt Jean Chiappe die Krawalle, um sein Projekt der épuration, der Säuberung der Stadt, zur Vorbereitung des Konvents der präfaschistischen American Legion voranzutreiben, Razzien in Nachtclubs und Buchläden sowie Verhaftungen der »üblichen Verdächtigen« durchführen zu lassen und Paris sicher für die »anständigen Amerikaner« zu machen. Paris war in deren Augen das »Paradies eines Pornographen« mit sexuellen Abgründen, wobei diese »Abgründe« ein grundlegender ökonomischer Faktor für den touristischen »Verkehr« zwischen Amerika und Europa war. Im »Sündenpfuhl Paris« konnten sich die anständigen Amerikaner, die als gewöhnliche Sextouristen die Attraktion des Verbotenen suchten, an der Unanständigkeit laben. Auf der anderen Seite waren Rechte und Linke in Paris in ihrer Aversion gegen Amoralität und Homosexualität, Libertinität und Frivolität vereint, und die Freiheit, die sich James Joyce in Paris herausnahm, konnte er nur auskosten, weil er über Zustände in Dublin, nicht aber in Paris schrieb.

Vieles von dem, was in der kollektiven Wahrnehmung Paris ausmachte, war letztlich nur eine Sammlung von Klischees: Cafés auf den Boulevards, Bistros in der Nachbarschaft, der Eiffel-Turm, amouröse Abenteuer. Als die Nazis 1940 Paris einnahmen, vermeldete der Kunstkritiker Harold Rosenberg, das Laboratorium des 20. Jahrhunderts sei geschlossen worden, wobei er die negativen Eigenschaften der Stadt Paris nicht wahrnahm. Das Verdienst Brooke L. Blowers ist es, die verschütteten Schichten des Paris zwischen den Weltkriegen offengelegt und den falschen, verkitschten Pariser Romantizismus entschleiert zu haben.