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14. Juni 2011 |
Jörg Auberg
für satt.org |
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HELDEN DER ARBEITJan Ole Arps zeichnet die »Fabrikinterventionen« von studentischen Aktivisten in den 1970er Jahren nach und erliegt der Faszination der falschen Heroisierung der Fabrik. Als die politische Bewegung nach den Ereignissen von 1968 einer Logik des Zerfalls unterlag, entdeckten die studentischen Revolutionäre die Fabrik als Ort der Einkehr und Besinnung, als Stahlbad für kleinbürgerliche Neurosen. »So hat Genosse M. aus unserer Gruppe«, schrieb der Schriftsteller Michael Schneider 1971 in einer Kritik des »linken Dogmatismus« jener Zeit, »einer Genossin, die an Liebeskummer litt, doch allen Ernstes empfohlen, sie solle in die Fabrik gehen, um sich ihren 'kleinbürgerlichen' Liebeskummer abzugewöhnen.« Der Weg revolutionärer Kader in die Fabriken war nicht allein eine Gewaltkur »kleinbürgerlicher Malaisen«, sondern eine scheinbar politisch durchdachte Strategie der Machteroberung. In abgetragenen Kostümen der 1920er Jahre führten die asketischen Missionare der Weltrevolution einen proletophilen Mummenschanz vor, tauschten die eben noch lauthals propagierte Emanzipation von den Zwängen der Gesellschaft mit der Unterordnung in autoritär geführten Kaderorganisationen und hofften, mittels dieser »rigiden Nachsozialisation« (wie Michael Schneider diesen Prozess charakterisierte) Anschluss an die sozialistische Bewegung zu finden. Diese Zeit versucht der Politikwissenschaftler Jan Ole Arps in seinem Buch Frühschicht: Linke Fabrikintervention in den 70er Jahren als Geschichte eines »vergessenen politischen Experiments« zu rekonstruieren (wie es im Klappentext heißt). Im Mittelpunkt des Buches stehen sieben Protagonisten, die als Mitglieder militanter Organisationen – wie der Frankfurter Sponti-Gruppe »Revolutionärer Kampf« oder maoistischer Zirkel wie der KPD/AO oder KPD/ML – das Studium an der Universität mit der Arbeit und Agitation in der Fabrik eintauschten. Der Alltag der Fabrikintervention ernüchterte die selbst ernannten Revolutionäre jedoch früh. Als die Kader des »Revolutionären Kampfes« merkten, dass sie in diesem Umfeld nicht rasch reüssieren konnten, fokussierten sie ihre revolutionäre Energie auf andere Geschäftsfelder wie den Frankfurter Häuserkampf und die Jugendbewegung. Die Parteikader der maoistischen Zirkel erwiesen sich dagegen als ausdauernder und anpassungsfähiger: Nicht nur äußerlich glichen sie sich dem Arbeitermilieu an, sondern gingen nach Jahren klandestiner Parteiarbeit, der Zermürbung in der Auseinandersetzung mit den zumeist sozialdemokratisch geeichten Gewerkschaftsapparaten und einer klientelorientierten Betriebsratspolitik gänzlich im Milieu auf. In den Augen Arps' ist diese Zähigkeit, in den vorgefundenen Verhältnissen eine gewisse Widerständigkeit – auch wenn sie letztlich in Resignation und Anpassung mündete – bewiesen zu haben, ein heroischer Akt. »Die Lebenswege meiner Gesprächspartner zeigen«, resümiert er am Ende seines Buches, »dass es trotz unerwarteter Verläufe und Enttäuschungen, trotz zahlreicher, manchmal erschreckender Irrwege und Sackgassen, trotz eines Alltags, der wenig Raum lässt, möglich ist, eine Hoffnung zu behalten, sie in Zweifel zu ziehen, trotzdem nicht loszulassen, und wieder neu zu finden.« Am Ende der Reise in die Vergangenheit kehrt der nachgeborene Aktivist mit einer tröstlichen Botschaft im Gepäck in die Gegenwart zurück und präsentiert als Resultat seiner Untersuchungen ein zwar brüchiges, aber dennoch geglättetes Bild der historischen Realität. Anstatt als Fremder den exterritorialen Raum der Geschichte zu durchmessen, macht er sich – trotz zaghafter Kritik an einzelnen Punkten – letztlich gemein mit seinen Protagonisten, deren Entscheidungen an den geschichtlichen Knotenpunkten nicht »alternativlos« waren. Die politische Entwicklung gerinnt in der gerafften, oft eindimensionalen Erzählung Arps' zur plumpen Juxtaposition klischeehafter Episoden einer linksradikalen Seifenoper. So heißt es über einen seiner Protagonisten: »Mitte der 1960er Jahre hatte er damit begonnen, Texte von Adorno zu lesen; im Zuge der allgemeinen Politisierung war er zum überzeugten Marxisten-Leninisten geworden.« Ein kritisches Verständnis der Geschichte vermag Arps nicht zu entwickeln, und so bleiben die Protagonisten, die er in seinem Buch vorführt, schemenhafte Ausführungsorgane jener Organisationen, denen sie sich verschrieben hatten. Die Motivation, warum sie sich – nach dem Aufbegehren gegen Autoritäten und verkrustete Strukturen – entgegen Bob Dylans Warnung »Don’t follow leaders« neuen rigiden Hierarchien unterordneten, bleibt im Verborgenen. Symptomatisch ist Arps' Unvermögen, die Geschichte der Protagonisten mit jener ihrer Organisationen zu verknüpfen: So reiht er Aus- und Einlassungen der vermeintlichen Revolutionäre aus dem sogenannten Sponti-Theorieorgan Autonomie oder Verlautbarungen des KPD/ML-Wochenblattes Roter Morgen aneinander, ohne sie mit den konkreten Erfahrungen seiner Protagonisten verbinden zu können, die hinter dem ideologischen Wust als Komparsen eines abstrakten Klassenkampfes verschwinden. Erst als sich die Phantome des Maoismus in den frühen 1980er Jahren aufzulösen beginnen, gewinnen die Protagonisten allmählich wieder Gestalt, kehren – nachdem sich der ideologische Schleier aufgelöst hat – als Individuen in die Realität zurück, die um die eigene Geschichte ringen. Die Problematik des Buches liegt in der Verklärung des Mythos Fabrik. Zu keinem Zeitpunkt stellt Arps die Strategie der »Selbstproletarisierung« der studentischen »Revolteure« (klassifizierten sie sich nun als »antiautoritär« oder »maoistisch«) infrage. Die Fabrik ist kein Ort der Emanzipation, sondern stets die permanente Praxis der Unterdrückung. »Die Fabrik ist ein Gefängnis«, erklärt ein militanter Streikposten in dem Film Der Weg der Arbeiterklasse ins Paradies (1971), dem zweiten Teil von Elio Petris »Neurotischer Trilogie«. Auch bei der Philosophin Simone Weil, die 1934-35 in Pariser Metallbetrieben arbeitete, hinterließ die Fabrikarbeit eine tiefe Spur des Entsetzens. Für sie war die Fabrik, wie sie in ihrem Fabriktagebuch schrieb, ein trostloser Ort, »wo man gezwungen ist, nur zu gehorchen, seine menschlichen Bedürfnisse zu zerbrechen, sich der Maschine zu unterwerfen«. Wie Adorno 1969 bemerkte, weste in den Antiautoritären die Autorität fort, und der Wunsch, sich in Reihe und Glied ins Proletariat einzuordnen, entsprach der psychologischen Disposition autoritätsgebundener Charaktere. Im Zerfallsprozess der Neuen Linken triumphierten nicht zufällig Rackets wie »Revolutionärer Kampf« oder verschiedene maoistische Mikro-Parteien: Für das Publikum inszenierten sie ideologische Kämpfe, während sie die Territorien lokal unter sich aufteilten (der »Revolutionäre Kampf« operierte im Rhein-Main-Gebiet, während die KPD-Gruppierungen in erster Linie im Ruhrgebiet ihren Fokus hatten). Die »Fabrikintervention« hatte keinen emanzipatorischen Charakter; es ging einzig um die strategische Besetzung von Gesellschaftsräumen, um Okkupation im Sinne purer Herrschaft, um die »Ergatterung des größtmöglichen Anteils am zirkulierenden Mehrwert« (wie Max Horkheimer die Herrschaftspraxis der Rackets beschrieb). Fast schon sentimental beschreibt Arps den Rückzugsraum der »revolutionären Kader« in ihrer jeweiligen realitätsabgewandten Organisation, in der sie – wie Soldaten im Stellungskrieg – neue Energie für den alltäglichen Kampf tanken konnten, ehe die proletarischen Kleinunternehmen abgewickelt wurden. Der falschen Heroisierung der »Arbeiterhelden«, die Arps betreibt, wäre die Utopie einer »vom Racket freien Gesellschaft« (wie sie Horkheimer bereits in den frühen 1940er Jahren beschwor) entgegenzusetzen. Angesichts der herrschenden Zustände, an deren Zementierung auch vermeintliche Linke mitarbeiten, bleibt sie jedoch nur eine vage Hoffnung.
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